assets Magazin: woom Führungscrew
Mathias Ihlenfeld, Christian Bezdeka, Marcus Ihlenfeld, die Führungscrew von woom

Wir haben uns für jeden Kunden abgerackert

Dass woom bikes noch nicht auf der ganzen Welt begehrt sind, liegt eher daran, dass das weltweite Vertriebsnetz noch nicht geflochten ist, aber die bisherige Firmengeschichte trägt alle Ingredienzien eines Senkrechtstarts: 286 verkaufte Kinderräder waren es im ersten Geschäftsjahr 2013, heuer werden die 230.000 Auslieferungen des Vorjahres wohl ordentlich überboten werden.

Wie es sich für eine gute Erfolgsgeschichte gehört, lagen die Anfänge in einer Garage, und getrieben waren die beiden Firmengründer, Fahrradnerds und Jungväter Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld von Unzufriedenheit und Enthusiasmus. Christian Bezdeka, damals mit seinem Designbüro für die Fahrradindustrie tätig: „Als ich Vater wurde, habe ich über das ideale Kinderrad nachgedacht, aber alles, was ich fand, war enttäuschend. Also wollte ich es selbst und besser machen und mir einen Rahmen bauen lassen.“ Gleichzeitig lernte er Marcus Ihlenfeld kennen, damals noch Marketingdirektor bei Opel Österreich, der als Jungvater in einer ähnlich misslichen Lage steckte, „und da hatten wir die Idee, uns gleich 50 Rahmen fertigen zu lassen“. Je zehn Stück in fünf Größen sollten es werden, also sprachen die beiden bei einem tschechischen Rahmenbauer vor. „Der wollte uns zwar mehrmals rausschmeißen, weil der Auftrag so klein war, aber wir sind einfach hartnäckig geblieben.“ Die 50 Rahmen sollten dann nach Feierabend in Marcus Ihlenfelds Garage mit Komponenten bestückt werden, „aber weil wir doch hie und da ein Bier geöffnet haben, ging es nicht so schnell“. Abhilfe brachte das Engagement eines Mechanikers, der auch tagsüber schraubte, und er ist heute noch gerne bei woom beschäftigt.

Die 50 Fahrräder waren erstaunlich schnell verkauft, dann wurden die nächsten 500 geordert, wie Christian Bezdeka erklärt: „Unsere ersten Kinderräder gingen an Freunde, Nachbarn, Bekannte, dann an deren Freunde, Nachbarn und Bekannte und so weiter. Wir sind von innen heraus gewachsen, es war einfach nur viel Arbeit, jeder Puzzlestein davon. Wir haben uns aber auch für jeden Kunden abgerackert, um ihn glücklich zu machen, also zum Beispiel die Kinderräder nicht per Post verschickt, wenn wir sie auch selbst liefern konnten. Bis heute wollen wir zum Topprodukt auch den Topservice bieten.“

Naiv ist besser

Im März 2013 gründeten die beiden woom, und da sie mit Entscheidungen immer schnell waren, kündigte Marcus Ihlenfeld schon fünf Monate später seinen sicheren Marketingjob. Christian Bezdeka: „Wir hatten schon Ahnung, waren aber auch ziemlich naiv. Das war die perfekte Mischung, denn alle nicht Naiven haben uns prophezeit, dass wir auf die Nase fallen.“

Die Nasen blieben unversehrt, immerhin waren die Räder extrem durchdacht, also nicht einfach maßstabsgetreue Verkleinerungen der Erwachsenenräder. Sondern auf die Proportionen und Bedürfnisse der Kinder abgestimmt, denn sie brauchen kein Renngerät, sondern müssen erst Balance entwickeln und lernen, geradeaus zu fahren statt schnell. Wichtig ist auch das Gewicht, so waren schon die ersten woom bikes bis zu 40 Prozent leichter als andere Kinderräder, auch die Durchmesser der Griffe oder die Größe der Bremshebel waren auf Kindermaße verkleinert, ein paar schlaue Details gab es obendrein, und es gibt sie noch immer: So begrenzt ein Gummiband sanft den Einschlagswinkel des Vorderrads, es kann sich somit nicht mehr gefährlich verdrehen, der Hebel der hinteren Bremse ist grün, damit die Kinder wissen, wo bevorzugt gebremst werden soll. Gemeinsam mit Schwalbe wurden Reifen für die kindlichen Bedürfnisse optimiert: „Es war der einzige Reifenhersteller, der uns nicht den Stinkefinger gezeigt hat wegen des kleinen Auftrags – bei Schwalbe weiß man, dass die Kinder, die heute mit Sternderln in den Augen Rad fahren, auch später einmal Fahrradreifen kaufen werden.“ Überhaupt, die kindliche Freude: „Unsere Mission ist, Millionen von Kindern die Liebe zum Radfahren weiterzugeben, und zwar weltweit. Wenn ein Fahrrad die Kinder in Wien erfreut, warum dann nicht auch in Paris, Stockholm, Schanghai?“

Als erste Testfahrer fungierten freilich die eigenen Kinder. Christian Bezdeka: „Sie waren bald richtig gut trainiert, Feedback zu geben. Mittlerweile arbeiten wir mit Gruppen von Kindern, die Forschung passiert streng wissenschaftlich: Was brauchen Kinder in jedem Alter, wie groß sind die Hände, wie lang die Arme, wie sind die Körperproportionen? Als Designer arbeitet man mit statistischen Körperproportionen Erwachsener, für 95 Prozent der Erwachsenen passt ein Produkt dann. Für Kinder gab es diese 95-Prozent-Daten aber nicht, also mussten wir uns den Datensatz selbst schaffen. Wir haben historische Quellen erschlossen, mit Kinderärzten zusammengearbeitet, mittlerweile ist unsere Datensammlung komplett.“

Das woom ORIGINAL ist in sechs Größen am Markt, seit 2019 auch ein Mountainbike mit Starr- oder Federgabel in drei Größen, obendrein ein E-Mountainbike.

Klingel mit Nachhall

Auch abseits der Fahrradentwicklung ist viel geschehen. Marcus Ihlenfelds Bruder Mathias hat woom in den USA etabliert, kürzlich wurden die beiden Firmen fusioniert, was juristisch ein ziemlicher Brocken Arbeit war. Der asiatische Markt ist gut mit woom bikes versorgt, immerhin liegt ein Gutteil der Produktionsstätten dort. Neue Wege der Kundenberatung wurden erschlossen, so helfen 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Social Media, E-Mail oder Telefon beim Kauf des passenden Kinderrades, bei Fragen des Service oder auch beim Aushecken der besten Radroute. Dazu gibt es woom-Zubehör wie Helme oder eine besonders melodisch nachhallende Klingel, so ist die Ausrüstung aus einem Guss.

Die Entwicklungsabteilung besteht längst nicht mehr aus Christian Bezdeka allein, jetzt sind 18 Personen dort beschäftigt. Seit heuer erfolgt die Endmontage der für Europa bestimmten woom bikes in Polen, damit dürfen die Transportwege schlanker ausfallen. Die Produktion soll nämlich möglichst nahe am Markt bleiben, aber in den Koordinaten einer globalen Wirtschaft, die global gedacht wird – schließlich kann man das Bauxit zur Aluminiumherstellung nicht sinnvoll in Österreich abbauen. Letztes Jahr wurden auch erstmals Investoren an Bord geholt, zum Beispiel Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner, denn „wir haben uns die Leute ausgesucht und nicht sie uns“.

Moderne Klassik

Freilich werden auch die Fahrräder ständig weiterentwickelt, aber auf stille Art, sagt Christian Bezdeka: „Unsere Räder sind mittlerweile in der siebenten Evolutionsstufe, aber sie sehen absichtlich nicht wesentlich anders aus. Wir wollen moderne Klassiker schaffen, auf denen sich mehrere Generationen von Kindern wohlfühlen – unsere Räder sind nicht modisch, daher kommen sie nie aus der Mode, machen länger Freude und sind damit deutlich nachhaltiger. Würden wir hingegen den König der Löwen auf unsere Räder draufkleben, dann wären sie in zwei Jahren optisch alt.“

Zum Erreichen aller Ziele sind Menschen nötig, derzeit wächst woom um zehn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen monatlich, und das wird noch eine Zeit lang so weitergehen.

Es darf als gutes Zeichen gelten, dass 40 Prozent der Belegschaft weiblich sind, in der Zentrale Männer genauso lange in Babykarenz gehen wie die Mitarbeiterinnen, Diskriminierungen jeder Art per Firmenstatuten ausgebremst werden und die Chefs auf keinem Pressefoto mit Anzug zu sehen sind. Deutet das alles auf ein familiäres Betriebsklima hin, Herr Bezdeka?

„Wir sind keine Firma von Schlipsträgern, aber wir wollen der bestmögliche Arbeitgeber sein. Wir haben Wachstumsziele, und die schaffen wir nur, wenn wir alle unser Bestes geben. Wenn wir die allergeilsten Mitarbeiter wollen, dann müssen wir die
allergeilsten Arbeitgeber sein.“

Das kann als Schlusssatz durchaus so stehen bleiben.