assets Magazin: Round Table Privatbanken

Warum Privatbanken jetzt immer wichtiger werden

Der Mix aus niedrigen Zinsen und hoher Inflation wirke wie ein Förderprogramm für Privatbanken, sagt Constantin Veyder-Malberg, Vorstand Schelhammer Capital Bank AG, am traditionellen asset-Round-Table der Privatbanken im Fünf-Sterne-Luxushotel Palais Hansen Kempinski Wien. Ohne professionelle Beratung schrumpfen Vermögen derzeit in Windeseile, weshalb sich die Branche über regen Kundenandrang freue. Warum manche Medien dennoch über eine schwierige Lage der privaten Geldhäuser berichten, wie sich die strengen ökologischen Direktiven der EU auf die Geldanlage auswirken und warum Digitalisierung Vermögende nicht unbedingt glücklicher macht, diskutierte er mit Manfred Huber, CEO der Euram Bank, Nils Kottke, Vorstand Bankhaus Carl Spängler & Co. Aktiengesellschaft, Hermann Wonnebauer, CEO der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, Maximilian Clary und Aldringen, Leiter des Private Bankings der Erste Bank AG in Österreich und CEE, und Robert Löw, CEO der Liechtensteinischen Landesbank (Österreich) AG.

assets: Zuletzt hörte man viel über die angeblich schlechte Lage von Privatbanken. Wie schätzen Sie die Marktsituation ein? Wird es eine Marktbereinigung geben?
Manfred Huber: Viele Privatbanken gab es in Österreich ohnehin nie. Wobei man grundsätzlich definieren müsste, was eine Privatbank überhaupt ist. Als ausgelagertes Unternehmen einer Großbank hat man wahrscheinlich keinen Überlebenskampf. Ein unabhängiges Haus muss seine Nische finden. Wenn es dort erfolgreich ist, kann es sich im Weltmeer der Finanzmärkte gegen große Universalbanken durchsetzen, weil die kleine Privatbank wie ein Schnellboot schneller und flexibler agieren kann. An das Speedlimit muss sich selbstverständlich auch die kleine Privatbank halten. Nichtsdestotrotz sind wir in Österreich nach wie vor overbanked, Marktbereinigungen sind zudem ein normaler Prozess, den wir aus der Industrie kennen. Es gibt also weiterhin genug Platz für Privatbanken in Österreich, manche werden vielleicht anders heißen.

Also ist Österreich auch im Bereich Privatbanken overbanked.
Huber: Die Konkurrenz nimmt zu. Wofür braucht man noch eine Bank? In manchen Großbanken muss man Einzahlungen als Kunde nicht nur mittlerweile selber durchführen, dafür werden auch noch Gebühren berechnet. Das wäre in einer Privatbank undenkbar. Dieses System wird aus meiner Sicht nicht ewig funktionieren. Aber Dienstleistungsgedanken und Beratung werden immer einen Platz haben. Privatbanken sind dafür eine gutes Beispiel, weil man sich dort noch entsprechend Zeit nimmt.
Max Clary: Entscheidend für unser Geschäft ist das Vertrauensverhältnis zwischen unseren Kunden und unseren Beratern bzw der Bank. Diese Kundenbeziehung muss jede Privatbank weiterentwickeln, allerdings in einem Umfeld von sinkenden Margen. Private Banking in einer Großbank hat den großen Vorteil, dass die Investitionen in digitale Services bzw. in die IT-Infrastruktur, die von Kunden einfach mittlerweile erwartet werden, wesentlich besser skalieren und somit rentabler sind. Dies erlaubt eine permanente Weiterentwicklung der Services. Insofern ist es für alle verbleibenden Privatbanken gut, wenn der eine oder andere Mitbewerber aus dem Markt geht, denn sie können ihre Marktanteile erhöhen. Aber derzeit können wir über das Marktumfeld nicht klagen: Die Aktienmärkte performen positiv, die Kunden müssen sich mehr mit dem Thema Veranlagung auseinandersetzen, um eine vernünftige Performance zu erzielen, denn Anleihen, die früher viele Portfolios bestimmten, sind unattraktiv geworden. Dazu kommen Themen wie Private Equity, Venture Capital etc. In diesen Bereichen müssen wir uns für die Kunden relevante Services einfallen lassen.
Nils Kottke: In der 200-jährigen Geschichte unserer Privatbank haben wir noch nie so viele Neukunden gewonnen und sind auch im Volumen noch nie so stark gewachsen wie in den letzten eineinhalb Jahren. Wir profitieren vom Marktumfeld mit niedrigen Zinsen und hohen Inflationsraten, weil dadurch Wertpapieranlagen stärker gefragt sind. Wer Kunden in dieser Situation ein gutes Angebot mit qualifizierter Beratung machen kann, profitiert, weil der vermögende Kunde fundierte Beratung anderswo kaum findet.
Constantin Veyder-Malberg: In dieser Konkurrenzsituation der Privatbanken geht auch um Größe. Wir haben einen Regulierungstsunami, der mit der MiFID begonnen hat und in Disclosure-Verordnungen zur Nachhaltigkeitsthematik übergeht. Die Eintrittsbarriere in das hochkomplexe Wertpapiergeschäft wird immer höher. Wer es bisher geschafft hat, in diesem Umfeld zu überleben und zu wachsen, ist dadurch eine immer schwerer einzunehmende Bastion geworden. Gleichzeitig habe ich in meinen 40 Jahren als Private Banker noch nie so viel Rückenwind verspürt wie derzeit. Früher trug der Kunde sein Geld auf das Sparbuch, die Bank machte das Risikomanagement und zahlte sichere Zinsen. Mit den Negativzinsen wurde dieses Modell unrentabel, die Banken haben sich aus dem Einlagengeschäft zurückgezogen, Sparbücher werden mit hohen Gebühren belegt. Dadurch hat sich aber das Risikomanagement von den Bankprofis zu den Laien verschoben, weil der Kunde jetzt selbst veranlagen muss. Was liegt da näher, als sich wieder einen Profi zu suchen, der sich auf Vermögensmanagement spezialisiert hat? Eine Privatbank ist nun einmal per definitionem eine Spezialbank für Vermögende. Und die Vermögenden brauchen so dringend wie noch nie diese Beratung. Die Negativzinsen wirken wie ein Förderprogramm für uns. Ich habe immer gedacht, die goldenen Jahre, die waren früher und sind längst vorüber. Dabei beginnen die goldenen Jahre erst. Aber nicht, weil wir so tolle Margen haben, sondern weil wir uns auf unser Geschäft so konzentrieren können, dass wir echten Mehrwert bringen. Als es auf deutsche Staatsanleihen noch sechs Prozent Zinsen gab, waren Privatbanken viel weniger notwendig als heute, wo man ohne Privatbank-Beratung real Geld verliert.
Hermann Wonnebauer: Wir haben nicht nur goldene Zeiten für Privatbanken, sondern auch für die Wirtschaft. Es wird eine Spreizung geben. Besonders vermögende Privatkunden werden eine noch höher stehende Beratung brauchen, die auch teuer sein wird. Auf der anderen Seite wird es zu einer Demokratisierung der Vermögensverwaltung kommen. Die Geduld der Sparer mit den Negativzinsen und den hohen Gebühren auf Sparbücher ist irgendwann zu Ende. Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als aktiver zu veranlagen. Deshalb wird es auch von uns Angebote für kleinere Vermögen brauchen. Wenn man das Cash-Volumen in Österreich bedenkt, brauchen wir uns nicht um ein paar Millionäre raufen. Wir sollten nachdenken, wie wir kleinere Vermögen servicieren können. Die Regulierung verursacht natürlich Kosten, die zur Hürde werden. Aber ob ich jetzt 50.000 Euro veranlage oder 500.000, ist kein sehr großer Unterschied im Aufwand.

Unterscheidet sich die Situation der Privatbanken in Österreich von jener in Liechtenstein, der Schweiz oder Deutschland?
Robert Löw: Der Unterschied ist die Profitabilität der schweizerischen und der liechensteinischen Banken. Wir neigen in Österreich dazu, uns bei den Konditionen ein bisschen unter Wert zu verkaufen. Die Deutschen sind noch schwächer als wir. Es liegt an uns, den Mehrwert dem Kunden so zu kommunizieren, dass er bereit ist, dafür eine entsprechende Vergütung zu bezahlen. Der Private-Banking-Markt in Österreich wird auch in diesem Jahr um viele Milliarden wachsen. Trotzdem haben wir ein Kostenthema. Nicht nur wegen der Regulatorik, der Negativzinsen und der Konkurrenzsituation. Sondern vor allem wegen der Digitalisierung, die Investitionen in die IT sind enorm. Dazu braucht es aber Skaleneffekte, sonst fressen einen diese Digitalisierungskosten auf. Es gibt dazu aber auch keine Alternative, um State of the Art zu bleiben.

Das heißt, es braucht eine Mindestanzahl an Kunden?
Löw: Volumen ist es nicht unbedingt. Nennen wir es Profitabilität, am Ende des Tages müssen die Erträge über den Kosten liegen. Das geht auch mit wenigen Kunden, wenn man ertragsstark ist. Deshalb wird auch in den nächsten Jahren die Beratung für vermögende Kunden im Mittelpunkt stehen.
Clary: Neben den Kosten geht es auch um Talente: Bekommen wir überhaupt noch die geeigneten Mitarbeiter, um Digitalisierung voranzutreiben? Der Markt ist eng, selbst wir als Großbank tun uns schwer, die richtig guten Leute in ausreichender Anzahl zu bekommen. Aber daran hängt unsere Zukunft, Employer Branding wird sehr wichtig für uns werden.

Wenn es schon schwierig ist, Digitalisierungsexperten zu gewinnen – wie überzeugt man dann junge Millionäre, die Services der Bank in Anspruch zu nehmen?
Malberg: Wir haben die Capital Bank mit Schelhammer & Schattera fusioniert. Einer der Gründe war, dass wir in dieser neuen Privatbank einen ETF-Sparplan ab 50 Euro für jeden Österreicher im Angebot haben. Wir haben über die Marke Dadat ein digitales Angebot aufgebaut, wo man alle abholt, die traden wollen. Das probieren auch viele Vermögende aus, die sich dann in die Beratung der Privatbank hineinbewegen. Es macht also Sinn, das breite Spektrum anzubieten.

Sind kleinere Vermögen nicht beratungsintensiver, weil sich die Besitzer weniger mit Anlagestrategien auseinandersetzen?
Malberg: Das Wissen über Anlagen ist nicht abhängig vom Vermögensstand.

Wer mit dem Smartphone aufgewachsen ist, hat oft schon mit Wertpapier-Apps wie Wikifolio Erfahrung aufgebaut. Wissen die Jungen dadurch mehr über Aktien?
Wonnebauer: Die Möglichkeiten, über das Handy ein Wertpapierdepot anzulegen und es auszuprobieren, sehe ich positiv. Der Nachteil ist, es schaut aus wie ein Spiel, viele merken erst später, dass dabei echtes Geld verloren gehen kann. Wenn das Vermögen wächst, kommen aber auch jene zu uns, die vorher ihre Bankgeschäfte am Handy erledigt haben. Zwar müsste die Finanzbildung eigentlich schon in den Schulen beginnen, durch Robo-Advisors und Fintechs ist das Wissen der Jungen in diesem Bereich aber gewachsen. Durch diese neuen digitalen Möglichkeiten im Finanzbereich sinkt auch das Alter unserer Kunden, früher waren ja meist schon die Kinder unserer Kunden um die 60 Jahre alt. Services wie Trading-Apps verschaffen also mehr Menschen Zugang zu aktiver Vermögensverwaltung, auch das fällt für mich unter Demokratisierung.
Kottke: Aber auch sehr internetaffinen Menschen geht es in Vermögensfragen um Vertrauen. Das findet man im Internet aber nicht. Wir merken das auch bei unserem Robo-Advisor CARL. Wir haben schon lange Erfahrung damit, über 500 Kunden nutzen ihn. Reine Online-Abschlüsse sind dennoch selten, 80 Prozent der Kunden wählen das hybride Modell und kommen nach einer Vorauswahl online für offene Fragen und den Abschluss in eine Niederlassung. Dort holen sie sich dieses Vertrauen ab, dem man im Internet nicht begegnet. Solche hybriden Modelle werden in Zukunft sehr wichtig werden.
Clary: Man muss auch die Risikotoleranz berücksichtigen. Ein 25-Jähriger findet fünf Prozent Zinsen auf seine 1.000 Euro an Rücklagen wenig attraktiv, das verändert nichts in seinem Leben. Also geht er oft in hochspekulative Assets oder Kryptowährungen. Sobald die jungen Leute aber zu Geld kommen, etwa durch eine Erbschaft oder Unternehmensverkauf, dann verändert sich ihr Verhalten massiv. Sie wissen nicht, wie man das Vermögen erhält oder auf risikoadjustierter Basis vernünftig vermehrt. Dafür brauchen sie die Beratung von Privatbanken bzw. von einem verlässlichen Berater, dem sie vertrauen können.

Investieren junge Millionäre nicht lieber in Start-ups? Sind Privatbanken langweilig?
Huber: Kapitalerhalt ist auch für Start-up-Unternehmer nicht fad. Nichts zu verlieren, ist heutzutage ein großer Gewinn. Gleichzeitig geht die Schere zwischen risikoavers und risikoaffin auseinander – unabhängig vom Alter. Was in Österreich wichtig wäre: Finanzbildung und ein viel besser aufgestellter Finanzmarkt. Einige Abgeordnete im Parlament sind sogar stolz darauf, keine Aktien zu besitzen. Wie soll man in Finanzmarkt-Angelegenheiten versiert sein, wenn es bildungspolitisch nicht entsprechend gefördert wird? Unser Kapitalmarkt als solcher ist mehr oder weniger tot. Dagegen wird auch viel zu wenig unternommen. Was uns als Privatbank sogar zugutekommt: Wir übernehmen für Vermögende eine Rolle, die die Politik außen vor lässt.
Malberg: Man darf auch nicht vergessen: Als Privatbanken haben wir nicht nur das Wertpapierdepot als Produkt. Das wäre für den Start-up-Unternehmer todlangweilig. Unsere Aufgabe ist nicht Wertpapier- und Anlageberatung, unsere Aufgabe ist es, der CFO des Kunden zu sein und über seine Vermögensstruktur zu diskutieren. Für Junge gehört dazu vielleicht die Investition in ein Start-up. Universalbanken müssen ihre Produkte vertreiben, Privatbanken nicht. Dieser Unterschied ist wesentlich. Wenn es um sehr spezielle Themen geht, bei denen der Kunde vielleicht sogar mehr weiß als der Berater, sind wir der Sparringpartner. Es ist längst wissenschaftlich belegt, wie gut solche Sparringpartner helfen, Fehler in Geldfragen zu vermeiden. Ich könnte viele Beispiele aufzählen, wo wir nur durch Gespräche Menschen vor Fehlentscheidungen abhielten. Deshalb sind Kunden durchschnittlich 23,5 Jahre bei einer Privatbank, weil sie eine enge Beziehung zu ihrem Berater haben, er ist ihr Ansprechpartner in allen Vermögens- und Investitionsfragen.

Sind junge Anleger risikoaffiner als ältere?
Löw: Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Alter und Risikofreude. Natürlich macht es Sinn, in jungen Jahren mehr Risiko in Kauf zu nehmen als mit 70. Ich finde auch toll, was sich in der österreichischen Start-up-Szene tut, und verstehe, warum dieser davon ausgehende Spirit viele junge Menschen begeistert. Aber bei aller Euphorie wissen die Jungen auch, dass man in solche Unternehmen nur einen Teil seines Geldes investiert und den Rest brav veranlagt, gut gestreut und diversifiziert.
Clary: Am Ende des Tages geht es um die Fristigkeit des Geldes. Je langfristiger man veranlagen kann, desto mehr sollte man in „risikoreiche“ Anlageklassen wie Aktien gehen. Das Effektivste, um langfristig ein Vermögen aufzubauen, ist, möglichst früh mit einem Kapitalsparplan anzufangen, und wenn es nur 50 Euro im Monat sind. Früh anfangen und die Einstiegszeitpunkte streuen, das ist die wichtigste Message.
Wonnebauer: Das Beste wäre überhaupt, wenn jedes Neugeborene einen staatlichen Aktiensparplan bekommt. Nur so wird Vermögen aufgebaut. Selbst unsere Kunden sind da beratungsresistent. Darum müsste da der Staat einspringen.
Kottke: Die junge Generation setzt teilweise auch auf ganz andere Anlageformen. Ich habe schon mit Leuten gesprochen, die in Non-Fungible Tokens digitaler Sneakers investiert sind. Aber das sind Nebenaspekte. Wenn es um wirkliche Veranlagung geht, kommen altbewährte Instrumente ins Spiel. Aktien sind dabei wesentlich. Allerdings muss man bedenken: Die junge Generation hat noch keinen richtigen Crash miterlebt. Die Coronakrise war schnell vorbei, die ist vergessen. Unsere Aufgabe ist es daher auch, Risiken zu erklären, entsprechendes Expectation Building zu betreiben, auch bei jüngeren Kunden.

Verändert sich die Rolle der Privatbanken? Weg vom Vermögensverwalter hin zum Berater, der alles weiß?
Malberg: Unsere Kerndienstleistung, unser Produkt, ist Zeit. Die geben wir jenen, die keine haben, indem wir uns um ihr Vermögen kümmern und ihnen den Organisationsaufwand abnehmen, das ist oft bei jungen Firmenchefs sehr gefragt. Oder wir geben Zeit verknüpft mit unserem breiten Markt-Know-how. Etwa, wie man so in Kryptowährungen investiert, dass man auch wieder rauskommt.Es gibt genug potenzielle Kunden, die ihre Kryptowährungen nicht mehr zurücktauschen können, weil die Banken strenge Richtlinien gegen Geldwäsche beachten müssen. Viele haben auch keine Ahnung über steuerliche Regelungen zu Gewinnen aus Kryptowährungen. Unser Job ist, dem Kunden zu zeigen, wie man es richtig macht. Natürlich gibt es auch viele neue Themen, aber das macht es ja spannend.

Das heißt, Sie müssen Ihre Berater laufend in neuen Assetklassen schulen.
Malberg: Ein Berater kann nicht alles wissen. Deswegen muss man die Berater den Kunden richtig zuordnen. Als Manager einer Privatbank muss man verstehen, welches Wissen ein Kunde abfragt. Niemand kennt sich in der Kryptowelt genauso gut aus wie etwa bei Oldtimern, NFTs in der Kunst oder raren Weinen. Wir haben dafür online eine Matching-Plattform aufgesetzt, auf der sich Kunden ihre Berater selber aussuchen können.
Kottke: Unser Leitsatz lautet „Best in Family Banking“. Das heißt: Wir betrachten den Kunden nicht isoliert, sondern sein gesamtes Umfeld, und wir versuchen auch, Unternehmen und Familie mit zu berücksichtigen. Dafür haben wir spezifische Dienstleistungen mit wirklich guten Experten. Für die Eigentümer von Familienunternehmen haben wir in unserem Bereich Family Management ganz spezielle Dienstleistungen. Da geht es um Themen wie Eigentümervision, Familienverfassung oder Nachfolgeberatung. Das beinhaltet auch Workshops für die junge Generation über Unternehmertum. Wir wollen hier helfen, die Next Generation für den Betrieb zu begeistern. Dieser gesamtheitliche Ansatz stiftet echten Mehrwert für Kunden.
Huber: In Wahrheit ist ein Private Banker nichts anderes als ein Family-Office. Das Problem dabei: Die allumfassende Betreuung ist sehr zeitintensiv. Für die Akquise neuer Kunden bleibt kaum Zeit. Neue Kunden kommen nur durch Referenzen und Empfehlungen alter Kunden. Dadurch fokussiert man sich noch stärker auf eine bestimmte Kundengruppe.

Wie wichtig ist Digitalisierung? Findet man ohne Chatbots noch Kunden?
Löw: Digitale Kanäle ergänzen die klassische Beratung. Die persönliche, zwischenmenschliche Interaktion bleibt. Aber natürlich schauen die Kunden, wie das E-Banking aussieht, ob es einen Robo-Advisor gibt und ob die Homepage verstaubt oder effizient und innovativ ist.

Braucht es Robo-Advisors?
Malberg: Durch Covid sank die Hemmschwelle, ein Bankkonto ohne menschlichen Kontakt davor zu eröffnen, wir hatten in dieser Zeit bei unserer Digitalbank Dadat 100 Neukunden pro Tag. Viele davon haben den Robo-Advisor ausprobiert. Man muss das alte Zielgruppendenken aufgeben. Auch Millionäre lieben Online-Services, es geht um Convenience. Wir haben einen zweistelligen Millionenbetrag in eine Private-Banking-App investiert, damit der Kunde seine Depots einem Stresstest unterziehen kann, die Ertragserwartung sieht, sein Risiko auf Fonds runtergebrochen ansehen kann. Der Kunde kommt nicht wegen dieser App zu uns und sie ersetzt auch kein Beratungsgespräch. Aber wenn man diese digitalen Services nicht bietet, droht man den Kunden zu verlieren.
Clary: Digitalisierung muss Convenience bringen. Aber natürlich erwarten unsere Private-Banking-Kunden den persönlichen Kontakt und Beratung in der Vermögensverwaltung und im Beratungsdepot. Aber viele nutzen zusätzlich unser Onlinebanking George zum Selbertraden. Der Robo-Advisor per se ist aber kein klassisches Private-Banking-Produkt, sondern eher für Kunden in einer früheren Phase des Vermögensaufbaus.
Kottke: Wenn es an den Märkten unruhig wird, erwartet der Kunde, dass wir aktiv auf ihn zugehen und die Situation bewerten. Die Digitalisierung bietet viele Wege, diese Kommunikation zu verbessern. Die Videotelefonie etwa ist so eine zusätzliche Möglichkeit. Wir haben sogar ein kleines Filmstudio, um schnell und kurzfristig zu Kapitalmarktsituationen Stellung beziehen und über Social-Media-Kanäle breit ausspielen zu können. Damit erreichen wir noch einmal viele Kunden. In den digitalen Kanälen steckt noch viel ungenutztes Potenzial für uns, da können wir von Digitalanbietern lernen.
Wonnebauer: Wir sind keine Pioniere in der Digitalisierung, gewisse Services werden wir jedoch auch einführen. Ich glaube aber nicht, dass es für den Kunden sehr entspannend ist, täglich sein Depot zu beobachten. Es erzeugt Hektik und macht eigentlich meine Arbeit zunichte. Auf der einen Seite predigen wir langfristigen Vermögensaufbau und die Betrachtung von Aktiendepots über Jahrzehnte, auf der anderen Seite erzeugen wir mit digitalen Services Hektik. Aber natürlich braucht es Convenience. Die Customer Journey ist wichtig, weil es das Vertrauen zur Bank aufbaut. Aber wir sollten nicht versuchen, mit immer mehr Services den Kunden nervöser zu machen.
Malberg: Diesen Aspekt haben wir bei der Einführung unserer App genau überlegt. Kahneman und Tversky haben den Nobelpreis für die Prospect Theory bekommen. Sie besagt, dass jeder Verlust 2,6-mal stärker wahrgenommen wird als ein Gewinn. Das heißt: Je seltener man auf sein Depot schaut, desto mehr Lebensfreude hat man. Da ich meine Kunden glücklich machen will, empfehlen wir auch nicht, täglich die Performance des Depots zu überprüfen. Das soll man beim Trading Fun Depot machen, da geht es ja in der Regel nicht um viel Geld.

Wie wichtig sind den Kunden ESG-Kriterien in der Veranlagung?
Malberg: Das Interesse ist da, vor allem von den Jungen. Sie wissen, dass sie mit jeder Entscheidung in der Vermögensveranlagung auch Verantwortung tragen. Allerdings ärgert mich der Versuch des Regulators, die ökologische Sichtweise per Gesetzbuch aufzuoktroyieren. Dieser Weg führt in die Irre und verursacht nur enorme Papierberge. Dass die EZB ihren neuen Auftrag darin sieht, statt Hüter der Stabilität des Geldes zu sein, lieber Klimaverbesserung zu betreiben, halte ich für problematisch.
Clary: Nachhaltiges Investieren ist gekommen, um zu bleiben. Wir wollen nachhaltiges Investieren zum Standard des Investierens machen. Das bedeutet, in nachhaltig erfolgreiche Geschäftsmodelle zu investieren. Der regulatorische, der gesellschaftliche und auch der politische Druck auf Unternehmen wird so hoch sein, dass erfolgreiche Unternehmen nach ESG-Kriterien ausgerichtet werden. Es sind Billionen an Euros und Dollar, die in nachhaltige Investitionen fließen, und daher werden sie dem einfachen Prinzip „Follow the Money“ folgend über Zyklen hinweg die bessere Performance bringen.
Kottke: Jeder Kunde versteht etwas komplett anderes unter Nachhaltigkeit. Wir als Finanzindustrie müssen auf unsere Glaubwürdigkeit aufpassen, dass wir nicht in Green Washings hineingezogen werden. Es kann auch zu Fehlallokationen kommen. Von den Nachhaltigkeitsfonds profitieren vor allem zwei große Gruppen. Einerseits Technologieunternehmen, deren Geschäftsmodell per se nachhaltig ist. Zusätzlich zu der Dynamik aus ihrer Geschäftsentwicklung fließen Gelder aus Nachhaltigkeitsfonds in diese Unternehmen, ihre Kurse steigen stark. Da könnte eine Bubble entstehen. Zweiter Profiteur sind kleinere Unternehmen aus dem Bereich Nachhaltigkeit. Sie sind teilweise enorm hoch bewertet, obwohl noch kein Proof of Concept erfolgt ist. Da könnte es negative Überraschungen geben. Ein großes Thema ist auch Green Inflation. Durch die Ökologisierung der Wirtschaft müssen die Energiepreise zwangsläufig steigen. Dadurch steigt das Inflationsniveau, manche Volkswirte schätzen um bis zu einem Prozent pro Jahr.

Fließt zu viel Geld in ein zu schmales Branchensegment?
Huber: In den letzten Jahren hat sich im Sustainability-Bereich sehr viel getan, auch wenn es nach wie vor Etikettenschwindel gibt bei dem, was alles als nachhaltig eingestuft wird. Es geht aber ganz klar in die richtige Richtung. In den kommenden Jahren werden entsprechende Standards implementiert sein und leichter nachvollziehbar sein.

Inflation, Evergrande in China, die Taiwan-Frage, gerissene Lieferketten und vieles mehr – wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass es zu einem unsanften Erwachen aus der Post-Lockdown-Euphorie kommt?
Wonnebauer: In den 40 Jahren, die ich im Private Banking bin, gab es noch nie grüne Ampeln. Man hat immer einen Grund gehabt, sich zu fürchten. Trotzdem konnte man immer richtig anlegen. Der gefährlichste Moment kommt, wenn alle Ampeln auf Grün stehen. Denn dann haben wir Risiken übersehen. Das wahre Problem ist der schwarze Schwan. Wenn jede Zeitung schreibt, es kommt eine Inflation, kann man vorausschauend agieren. Das ist nicht dramatisch. Gegen unvorhergesehene Einbrüche kann man aber nichts machen. Gleichzeitig muss man auch Chancen sehen. Etwa die ESG-Thematik. Sie wird die Welt verändern, neue Industrien werden entstehen, neue Produkte und neue Chancen. Trillionen Dollar fließen in den Markt. Das ist der größte Marshallplan der Geschichte! Das wird oft vergessen. Aktuelle Ängste und Gefahren werden in sechs Monaten durch andere Ängste, Sorgen und Themen abgelöst. Die richtige Frage ist: Was ist in drei oder fünf Jahren? Die Antwort darauf heißt Asset Allocation. Dafür sind Privatbanken da. Sie analysieren die Trends und reagieren entsprechend.
Löw: Wir sehen derzeit auch keine großen Gefahren. Vielleicht hält die Inflation etwas länger an. Man darf aber auch nicht übersehen: Vor einem halben Jahr haben wir über explodierende Preise für Bauholz diskutiert. Diese haben sich mittlerweile fast wieder gedrittelt. Es gibt auch noch geopolitische Faktoren und den Fachkräftemangel, der Druck auf die Lohn-Preis-Spirale ausübt. Aber all das wird keine Hyperinflation erzeugen. Solange aber die Inflation in einem Korridor bleibt, werden die Zentralbanken am Zinsniveau kaum etwas verändern. Inflation und tiefe Zinsen sind für die Politik angesichts der hohen Staatsverschuldungen perfekt.
Huber: Es gibt zehn Gründe, warum der Dow Jones weiter steigt, und wahrscheinlich gleich viele, warum er fallen kann. Der Veranlagungsdruck ist nach wie vor zu groß. In Ermangelung von Alternativen bleibt der Trend zu Sachwerten. Früher gab es den risikolosen Zinssatz. Heute sind wir im zinsenlosen Risiko. Wie lange das gut geht, weiß man nicht. Fundamental betrachtet ist der Aktienmarkt per se nicht günstig. Die Frage ist, wie lange möchte man noch überbewertete Märkte haben? Wegen der Liquiditätssituation sprechen gute Gründe dafür.
Kottke: Ich bin nicht sicher, ob die Kurs-Gewinn-Verhältnisse, wie wir sie kennen, noch geeignete Maßstäbe sind. Vielleicht sind die hohen Aktienbewertungen das neue Normal, weil wir auch auf der Zinsseite ein neues Normal haben. Wenn erwartet wird, dass die Zinsen langfristig sehr niedrig bleiben, geben sich die Anleger mit niedrigeren Renditen zufrieden. Weil es keine Alternative gibt. Ein zweiter Grund ist die Psychologie: Im letzten Jahr haben wir eine V-Formation gesehen, die aber sehr schnell bereinigt war. Das ist noch in den Köpfen der Investoren präsent. Bei kleineren Korrekturen wird schnell wieder gekauft, weil wieder eine V-Bewegung erwartet wird.
Wonnebauer: Das Schlimmste, was uns passieren kann, sind leicht steigende Zinsen. Man hat dann Verluste bei den Bonds, aber noch keine Kupons, weil die noch zu niedrig sind, und einen Aktienmarkt, dem langsam die Luft ausgeht. Wenn ein Jahr lang mit geringer Volatilität die Kurse nach unten gehen, werden viele die Nerven verlieren. Dann geht das Vertrauen verloren.

Das ist dann der Punkt, wo man die Zähne zusammenbeißt und durchtauchen muss?
Malberg: Wenn wir in den Rückspiegel schauen, haben unsere Kunden unglaublich viel verdient. Aber man darf nicht fortschreiben, was bisher passiert ist. Und man muss Kunden darauf hinweisen, dass wir eine Ertragserwartung haben, die nicht größer ist als das nominelle Wirtschaftswachstum.
Clary: Natürlich gibt es Schwankungen, wenn die Zinsen steigen werden. Die werden wir aushalten. Ich bin überzeugt, dass die Märkte in zehn Jahren wesentlich höher sind. Alle, die nicht investiert haben, werden sich ärgern, weil sie immer auf einen richtigen Einstiegszeitpunkt gewartet haben. Es ist unsere Aufgabe, dass unsere Kunden langfristige Chancen nutzen.

Herzlichen Dank für die Diskussion.