Uhren – Schöne Stunden

Wer denkt, den großen Schweizer Uhrenherstellern gehen 2023 die Ideen aus, dem beweisen diese fünf Modelle das Gegenteil. 

Foto: Hersteller / Franz J. Venzin

Inventur lohnt sich. Das hat wohl auch Georges Kern festgestellt, als er sich 2017 mit dem Wiener Unternehmer und leidenschaftlichen Uhrensammler Fred Mandelbaum zusammensetzte und sie gemeinsam den Backkatalog der Uhrenmarke Breitling durchforsteten. Dabei stießen der Breitling-Fan Mandelbaum und der gerade frisch gebackene Breitling-CEO Kern auf die Premier – ein Modell, das Breitling 1943 lancierte. Mitten im Weltkrieg wollte Willy Breitling, Enkel des Firmengründers Léon, mit diesem Chronographen ein Zeichen des Optimismus setzen: Es werden einmal bessere Zeiten kommen, da war sich Breitling sicher.

Für Georges Kern war es ein Glücksfall, wies der Zeitmesser mit seinem Erscheinungsbild doch weit darüber hinaus, wofür die Marke vor allem bekannt war: nützliche Chronographen. Denn die Premier verband Funktionalität mit Eleganz. Ideal also für einen Neustart. 2021 erhielt das Modell einen eigenständigen, von Luxus geprägten Platz im Produktportfolio. Heuer, anlässlich des 80. Jubiläums, bereichert der Schweizer Uhrenhersteller das Premier-Sortiment mit sechs Neuzugängen. Deren Design bewahrt unverkennbare Vintagedetails, ohne auf moderne Noten zu vergessen.

Alle sechs Modelle werden durch die neueste Version des Breitling-Manufakturkalibers 01 mit Automatikaufzug angetrieben. Erstmals 2009 lanciert, ist es eines der renommiertesten Chronographenuhrwerke der Branche. Wie alle mechanischen Kaliber von Breitling erfüllt jedes die COSC-Zertifizierung für eine besonders hohe Ganggenauigkeit. Das Uhrwerk kommt mit einer Gangreserve von etwa 70 Stunden. Im Einklang mit Willy Breitlings Wunsch, Nützlichkeit mit Eleganz zu vereinen, verfügt die Premier jetzt über eine Wasserdichtigkeit von 100 Metern (10 bar). Bewundert werden kann es durch den transparenten Saphirglasboden.

Noch ein Jubilar ist die ikonische Daytona. Ihre 60 Jahre merkt man ihr nicht an.
Neu ist, dass Rolex das Werk nicht mehr hinter einem Gehäuseboden versteckt, sondern stolz herzeigt. Zumindest beim Platinummodell der Daytona.

Tiefer Einblick

Letzterer ist bei hochfeinen Uhren mittlerweile quasi Standard. Warum sollte man der stolzen Besitzerin oder dem stolzen Besitzer auch den Blick darauf verweigern? Aber nicht alle Uhrenmarken folgten dieser Philosophie. Rolex zum Beispiel. Umso erstaunter waren Fans des Uhrengiganten heuer, als man auf der Genfer Uhrenmesse „Watches & Wonders“ gleich zwei Modelle mit transparentem Gehäuseboden vorstellte – die elegante 1908 und eine Version der legendären Daytona aus Platin. Dieses Rolex-Modell, benannt nach der berühmten Rennstrecke, zählt zu begehrtesten und bekanntesten Chronographen der Welt. Eine Ikone, die noch dazu heuer ihren 60. Geburtstag feiert. Grund genug für Rolex, das Gehäuse der Oyster Perpetual Cosmograph Daytona, wie sie mit vollem Namen heißt, dezent zu überarbeiten und ihr gleich ein neues Innenleben zu verpassen. Und zwar in Form des Chronographenkalibers 4131. Es zeichnet sich durch verbesserte Leistungen in Sachen Präzision und Gangreserve aus. Die Brücken des Kalibers 4131 sind mit Rolex Côtes de Genève verziert. Darauf ist man offensichtlich so stolz, dass man es im Platinmodell nicht mehr verbergen wollte.

Die Wege von einer Topmarke zur nächsten sind auf der „Watches & Wonders“ nicht weit. Und so musste man nur einmal umfallen, um von Rolex zu Patek Philippe zu gelangen. Letztere hatte ihren gläsernen Palast gleich gegenüber der Krone aufgebaut und zeigte wieder Modelle zum Niederknien. Hochkomplizierte Preziosen waren zu sehen, darunter eine brandneue Calatrava 24 Stunden Travel Time Referenz 5224R-001, ein bemerkenswertes, zeitlos-elegantes Modell mit marineblauem Zifferblatt und einem Twist – der Name verrät es schon – einer 24-Stunden-Anzeige. Diese besitzt zwei Stundenzeiger, die in 24 Stunden eine Umdrehung vollführen. Die Manufaktur hat diese Anzeigenform in der Vergangenheit schon einmal verwendet, insbesondere im frühen 20. Jahrhundert bei den Chronometro-Gondolo-Uhren. Für die neue Referenz 5224R-001 haben die Designer diese Anzeige neu interpretiert. Zudem haben sie die Mittagsstunde bei zwölf Uhr platziert statt bei sechs Uhr, wie es bei den meisten 24-Stunden-Zifferblättern üblicherweise der Fall ist. Was das bringt? Es vereinfacht das schnelle Ablesen aller Tages- und Nachtstunden. Obwohl man sich zugegebenermaßen erst einmal daran gewöhnen muss.

Natürlich versteckt auch Patek Philippe seine technische Kompetenz nicht: Das neue automatische Kaliber 31-260 PS FUS 24H mit Minirotor aus Platin ist durch den Saphirglasboden zu sehen. Man braucht nicht extra zu erwähnen, dass sich die Uhrmachermeister bei Patek genau überlegt haben, was sie da machen. Immerhin wurden drei Patente für dieses Kaliber beantragt. So wurde zum Beispiel auf die herkömmlichen Drücker in der linken Gehäuseflanke zum Korrigieren der Ortszeit verzichtet. Die Manufaktur hat sie durch ein patentiertes Stellsystem ersetzt. Dank diesem System lässt sich der Ortszeitzeiger mit der in die Mittelposition gezogenen Aufzugskrone in Ein-Stunden-Schritten vor- und zurückstellen. Das vereinfacht die Bedienbarkeit enorm.

„Calendario Annuale“ prangt auf dem Zifferblatt der Radiomir PAM01363 bzw. PAM01432 von Panerai. Was, typisch italienisch, selbstverständlich besser klingt als das schnöde Wort „Jahreskalender“. Aber warum überhaupt so viel Aufhebens um diese weithin bekannte Komplikation? Die Antwort: Es ist der erste Jahreskalender für die italienische Marke, deren Wurzeln eng mit dem Element Wasser verbunden sind. Letzteres erklärt vielleicht auch, warum man sich damit so viel Zeit gelassen hat. Eine Taucheruhr braucht nicht zwangsläufig eine Kalenderfunktion.

Unverkennbar: Panerai bleibt seiner Linie treu und verpasst der legendären Radiomir einen Jahreskalender.
Relativ neu im Game ist Norqain. Gegründet wurde die Marke von einem ehemaligen Breitling-Mitarbeiter.
 
Wie langsam (oder schnell) 24 Stunden vergehen, kann man an dieser Calatrava mit 24-Stunden-Anzeige ablesen.

Wahre Größe

Wie von Panerai gewohnt, steht die gute Ablesbarkeit im Vordergrund. So erlaubt das Zifferblatt klar die Anzeige der gesamten benötigten Informationen. Wochentag und Datum erscheinen durch Fenster bei drei Uhr. Der Pfeil daneben weist auf den aktuellen Monat, der über eine außen liegende, sich drehende Scheibe angezeigt wird. Konsequenterweise sind die Kalenderangaben auch auf Italienisch. Ebenso konsequent und dabei gegen den Trend, der eindeutig hin zu kleineren Uhren geht, kommt das kissenförmige Radiomir-Gehäuse mit einem Durchmesser von 45 Millimetern daher. Der Saphirglasboden gibt den Blick auf das automatische Manufakturkaliber P.9010/AC frei. Materialien der Wahl sind Panerais hauseigene Legierungen mit den schönen Namen Goldtech bzw. Platinumtech. Um den Kreis zu schließen, werfen wir noch einen Blick auf Norqain. Dort ist mit Ben Küffer ein ehemaliger Breitling-Brandmanager am Werk (und im Verwaltungsrat mit Ted Schneider der Sohn des ehemaligen Inhabers von Breitling). Eine gute Lehrzeit, sollte man meinen. Immerhin hat Küffer es in fünf Jahren geschafft, die junge, unabhängige Marke auf die –doch recht volle – Schweizer Uhrenlandkarte zu setzen. Die Zeitmesser sind solide und erschwinglich. So kann man sich gut vorstellen, mit der robusten und funktionalen Neverest GMT den einen oder anderen Berggipfel in fernen Gegenden zu erklimmen. Ohne dabei die Heimatzeit aus den Augen zu verlieren. Verfügt die Edelstahluhr doch über eine zweite Zeitzone. In technischer Hinsicht sei noch das Automatikkaliber NN20/2 erwähnt, das den Ticker antreibt. 70 Stunden Gangreserve bringt es mit und eine offizielle Chronometer-Zertifizierung. Es stammt von Kenissi, jenem Werkeproduzenten, der eng mit Rolex-Schwester Tudor (zum Teil auch mit Breitling) verbandelt ist.