assets Magazin: Fifteen Seconds Festival Graz
Festival Main Stage

Schlaue Feste

Fifteen Seconds – das steht für die Fünfzehn-Sekunden-Schwelle, die unser Bauch braucht, um zu entscheiden, ob wir etwas gut oder doch nur eher mäßig prickelnd finden. Und seit 2014 steht es ebenso für Festivalflair in Graz, hoch dotierte Speaker aus aller Welt, einen Haufen Inspiration und flächendeckend ausgebuchte Hotelzimmer. Was als visionäre Idee zweier Marketeers begonnen hat, wurde über die Jahre zu einem Fixpunkt in der österreichischen Veranstaltungsszene. Teilnehmerzahlen stiegen jährlich trotz stolzer Ticketpreise jenseits von 500 Euro. Die Community, die sich um das Event bildete, das nichts Gerin­geres als ein neues Bildungsformat für alle Neugierigen darstellen wollte, wuchs und wuchs. Mehr Stages, mehr Shuttles, mehr Partnerfirmen. Der Aufstieg des Fifteen Seconds Festivals schien unaufhaltbar. Und dann kam Corona.

Drei Visitenkarten für 1.000 Euro

Die Anfänge des Fifteen Seconds Festivals liegen einige Jahre zurück. 2012 schlossen sich der heute 35-jährige Grazer Stefan Stücklschweiger und sein – damals noch keine 20 Jahre alter – Businesspartner Thiemo Gillissen unter dem Namen Marketing Rockstars zu einer Kommunikationsagentur zusammen. Das Problem: kein Netzwerk und keine Lust, nur eine weitere „Webseiten-Schubse“ für Klein- und Mittelbetriebe zu werden, wie Stücklschweiger es ausdrückt. Kontakte müssen her. Also besuchen sie etliche Konferenzen, um ein Netzwerk aufzubauen. Für die Teilnahme an einer Konferenz in London zahlt Stücklschweiger schließlich 1.000 Euro. Und kommt mit drei Visitenkarten und einer gehörigen Portion Frustration im Gepäck zurück nach Graz. Seine Conclusio: Das muss besser gehen.

assets Magazin: Fifteen Seconds Festival - Stefan Stücklschweiger

„Wir vermitteln Inhalte, die einen messbaren Impact auf das Leben haben.“

– Stefan Stücklschweiger –
Organisator Fifteen Seconds Festival in Graz
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Begnadeter Netzwerker:
Stücklschweiger begeistert renommierte Speaker. Geld bekommen sie für ihren Auftritt keines.

Aus Frust wird Festival

Das neue Geschäftsmodell der Steirer nach der Enttäuschung an der Themse: ein Konferenzformat, das Spaß macht, spannende Inhalte bietet und all jene anzieht, die neugierig sind – auf Wissen und auf Menschen. Das Anstrengendste waren freilich die Laufarbeit und das viele Klinkenputzen am Anfang. Denn ohne Line-up keine Gäste. Und ohne Gäste Privatkonkurs. Dieser rückte nur wenige Monate vor dem ersten Event auch tatsächlich in greifbare Nähe, als Verkäufe nicht anliefen und die beiden Gründer sich über beide Ohren verschuldet hatten, um den Laden zum Laufen zu bringen. Die Rettung kam damals unverhofft über Facebook. Stücklschweiger und Gillissen waren unter den Ersten, die das damals noch in den Kinderschuhen steckende Facebook-Marketing und Digitaltracking zu bedienen wussten und es zu hohen organischen Reichweiten brachten. Oder wie es ein späterer Investor ausdrückte: „Nicht einmal Schmuddelseiten konnte man ansehen, ohne an euren Werbungen vorbeizukommen.“ Und so füllten sich bereits im Jungfernjahr des Festivals die Veranstaltungshallen.

Top-Speaker um kein Geld

Geboten wird: inspirierender und praxisnaher Content, vorgetragen von Top-Speakern. Diese bekommen allerdings kein Geld für ihre Auftritte. Und das hat sich auch seither nicht geändert. Die Idee soll zählen: Wissen vermitteln, Menschen zusammenbringen, Netzwerke aufbauen. Und das funktioniert bis heute. Inhaltlich erinnert Fifteen Seconds auf den ersten Blick an Ted Talks. Inspirierendes und spannendes Wissen aus Technik, Neuropsychologie, Kommunikation und Mindfulness. Das will Stücklschweiger nicht so stehen lassen. „Unsere Inhalte sind viel näher an der Praxis. Wir wollen Wissen vermitteln, das sofort anwendbar ist und einen messbaren Impact auf das Leben unserer Teilnehmer haben kann.“

Für globalen Impact sorgten Ende 2019 jedoch nicht die Inputs des Festivals in Graz, sondern die ­Outputs eines Viehmarkts in Wuhan. Stücklschweiger gehörte damals zu den ersten Österreichern, denen klar wurde, dass man das Jahr 2020 und wohl auch einen guten Teil von 2021 als Eventorganisator abschreiben kann. Die letzte große Sause, an der er Ende 2019 beteiligt war, fand ausgerechnet in Wuhan statt, dem Ausgangspunkt der Pandemie. Bereits damals beäugten er und sein Team argwöhnisch das schmale Rinnsal an Infos über eine mysteriöse Lungenkrankheit in der chinesischen Millionenstadt. Anfang 2020 war dann schnell klar – die Sache wird ernst.

Nahbarkeit übersteht Krisen

Die Beziehungen zu Speakern, Partnerfirmen und Teilnehmern hält Stücklschweiger seit Beginn bewusst sehr persönlich. Das kommt ihm jetzt zugute. Denn nur so kam er mit Teilen seines Teams gut durch die Krise und auch der entstandene Schaden nach der Komplettabsage 2020 hielt sich im Rahmen. Vereinbarungen mit Investoren, Partnerfirmen und Teilnehmern für die Übertragung zugesagter Leistungen ins Folgejahr bewahrten das Fifteen Seconds Festival vor schwerwiegenden ­Liquiditätsproblemen.

Ganz ohne Opfer ging es dennoch nicht. Ein Überbrückungskredit half Fifteen ­Seconds über die Runden. Und für die Mit­arbeiter, die aufgrund der Pandemie ihre ständige Anstellung bei Fifteen ­Seconds verloren, fand Stücklschweiger in seinem Netzwerk neue Jobs.

Kein Glaube an Screen only

Trotz der treuen Community wurden nicht alle für 2020 geplanten Inhalte einfach eins zu eins digital aufbereitet. Daran glaubt Stücklschweiger nicht. Virtual Reality, Augmented Reality? „Bei uns geht es ums Erleben, Angreifen, Dabeisein. Da kannst du dir noch so gute Marketingtexte überlegen, das kannst du nicht einfach ins Digitale übersetzen.“ Hybride Formen hätten durchaus Potenzial, aber es muss weiterhin menscheln. Der Schlüssel liege daher in einer gesunden Portion Entschleunigung und Entdigitalisierung im persönlichen Kontakt. Und dafür gibt es kein Substitut. Den Netzwerker zieht es in die Menge und zu anderen Wissbegierigen. „Es geht uns ja um zeitgemäße Bildung.“ Und während man sich zu Beginn der Pandemie der Dauerbeschallung mit den immer gleichen Inhalten, Podcasts und Streamings allerlei A- bis Z-Promis kaum erwehren konnte, kehrte man sich in Graz nach innen, um ein Konzept zu entwickeln, dem auch das Virus nichts anhaben kann.

Festivalstadt Graz

Die Eventbranche erwirtschaftet in Österreich jährlich eine Wertschöpfung von neun Milliarden Euro. Diesen Wegfall spürte 2020 auch Graz als Veranstaltungsort. 2021 findet das Fifteen Seconds Festival wieder statt. Allerdings unter ganz anderen Bedingungen und mit neuem Konzept. Vorbild ist das South by Southwest Festival für Film, Musik und Medien in Austin, Texas, das seit den 80er-Jahren über einen Zeitraum einer ganzen Woche das komplette Stadtgebiet zum Festivalgelände erklärt. Fifteen Seconds wird wohl kleiner und kürzer ausfallen, aber die Idee ist dieselbe: Menschen sollen an verschiedenen Tagen zu unterschiedlichen Themen häppchenweise mit Inspiration und spannenden Inhalten versorgt werden, und das in ganz unterschiedlichen Locations der ganzen Stadt. Die Teilnehmer sollen so Lust auf das „richtige“ Festival bekommen, das – wenn alles gut geht – kommendes Jahr auch wieder indoor über die Bühne geht.

Graz goes worldwide

Zwar sei die Hauptstadt der Steiermark „die schönste Stadt, um nach Hause zu kommen“, aber ein bisschen Fernweh plagt den Gründer dann doch. „Ich liebe das Reisen. Das internationale Netzwerken geht mir echt ab.“ Die Liebe zur Internationalität spiegelt sich demnach nicht nur im Publikum wider, auch die Veranstaltungsorte waren gerade im Begriff, internationaler zu werden, bevor die Pandemie zugeschlagen hat. Fifteen Seconds und seine drei Säulen Content, Education & Events sollen sich, wenn möglich, über den ganzen Erdball verteilen. Es gibt eine Zweigstelle in Istanbul; auch Kapstadt und New York sowie Städte in Kanada und Mittelamerika sollen mit kleineren Lizenzen die Idee von Fifteen Seconds in die Welt tragen. Einzige Vorgabe: Kosten­deckend soll es sein und die Speaker müssen neues Wissen unter die Leute bringen. „Es gibt schon so viele Eventformate mit Key-Notes. Wir brauchen wirklich nicht more of the same.“

Impact mit Zukunft

Seinen eigenen Lebensmittelpunkt sieht Stücklschweiger weiterhin in Graz. Denn dort liegt nicht nur die Zukunft von Fifteen Seconds, sondern auch die seiner beiden Kinder. Dass jungen Grazern ihre Heimatstadt zu klein ist, um dort etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen, hat er noch nie gelten lassen. „Mich ärgert Raunzen“, meint Stücklschweiger. „Wir haben damals nicht geraunzt, als wir kein Netzwerk hatten. Und wir haben letztes Jahr nicht geraunzt, als wegen Corona alles zusperren musste. So viele Talente gehen aus Graz weg und beschweren sich, weil es hier angeblich nichts gibt. Dann muss ich eben dafür sorgen, dass es etwas gibt. Nicht alles, was gut ist, muss unbedingt in eine Großstadt oder Metropole ziehen.“ Der Erfolg gibt ihm recht. Erfolg ist aber ohnehin subjektiv. Befragt nach seinem schönsten Erfolgserlebnis, fällt dem Unternehmer nämlich als Erstes der Stammbucheintrag seines Sohnes Henri ein: „Wenn ich groß bin, will ich in der Firma von meinem Papa arbeiten.“ Es menschelt eben.