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Diabetes-Arzneien, die auch stark gewichtsreduzierende Effekte haben, gelten als das aktuell heißeste Eisen für Unternehmensgewinne in der Pharmawelt. Auf sozialen Medien werden Wegovy & Co gehypt, an den Börsen lösten sie eine mittlere Revolution aus. 

Text: Paul Billisich

Der reichste Mann der Welt ist dafür bekannt, dass er den persönlichen Gebrauch von Substanzen schon einmal über seinen eigenen Kurznachrichtendienst öffentlich macht. Im Herbst des Vorjahres wurde der 51-jährige Multimilliardär Elon Musk von einem Bewunderer auf Twitter in einem Tweet gefragt, ob er denn Gewichte hebe, weil er gar so gut aussehe. „Fasten“, antwortete Musk, sei der Grund für seine Gewichtsreduktion. „Und Wegovy.“

Aufstieg in die Top Ten

Musk postete dies Anfang Oktober 2022. In etwa zur gleichen Zeit startete die Aktie des Herstellers von Wegovy, des vor allem auf Diabetes-Medikamente spezialisierten dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk AB, einen spektakulären Höhenflug. So hat – die 1923 gegründete und im Mehrheitseigentum der vermögendsten Wissenschaftsstiftung der Welt stehende – Novo Nordisk seit dem Vorjahr zu den Top Ten der wertvollsten Pharmaunternehmen weltweit aufgeschlossen. Lag das Unternehmen im Jahr 2020 noch auf Platz zwölf nach Marktkapitalisierung, erreicht es derzeit Platz fünf.

Wegovy ist der Handelsname für ein sogenanntes Semaglutid. Der blutzuckersenkende Wirkstoff ist ein „GLP-1-Rezeptor-Agonist“. Er wirkt auf die gleiche Weise wie ein natürliches Hormon im Körper, das den Appetit reguliert. Es wird als flüssige Lösung unter die Haut am Oberschenkel oder in den Bauch gespritzt, vom Anwendenden selbst mithilfe eines Injektionsstiftes. Eine Therapie dauert 16 Wochen, die Dosis wird stufenweise erhöht, um die Nebenwirkungen – vor allem Übelkeit – zu kontrollieren. Ziel ist eine deutliche Gewichtsreduktion von adipösen Menschen. Als adipös gelten Personen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 kg/m2.

Novo Nordisk stellt auch ein Medikament mit dem Handelsnamen Ozempic her, das den gleichen Wirkstoff Semaglutid beinhaltet, nur in einer deutlich niedrigeren Dosierung. In dieser Form gilt es schon länger als Diabetes-Arzneimittel, das zur Behandlung von Erwachsenen angewendet wird, deren Typ-2-Diabetes nicht hinreichend eingestellt ist oder die etwa Met­formin, den seit Jahrzehnten weltweit meistverschriebenen Diabetes-Wirkstoff, nicht vertragen. Weitere Präparate im Pro­gramm sind Rybelsus (Semaglutid, orale Anwendung) und Victoza (Liraglutid), die ähnlich wirken.

Novo Nordisk machte im Vorjahr den Kopenhagener Vorort Bagsværd zum Nabel der Börsewelt.

Rasant abnehmen

Studien zeigen, dass man mit Wegovy bis zu 15 Prozent des Körpergewichts verlieren kann. Von der Europäischen Arzneimittelbehörde zugelassen ist Wegovy in Kombination mit einer Diät und körperlicher Aktivität für Erwachsene mit Adipositas, also einem Body-Mass-Index (BMI) über 30, sowie Erwachsene mit erhöhtem Übergewicht (BMI über 27) und damit verbundenen Gesundheitsproblemen. In Österreich ist es zurzeit noch nicht erhältlich.

Ebenfalls einen mehr als aufsehener­regenden Zuwachs beim Unternehmenswert konnte zuletzt der US-Pharmakonzern Eli Lilly hinlegen – auch dieser hat einen Diabetesschwerpunkt und auch dieser konnte ein Medikament auf den Markt bringen, das ebenfalls als Wundermittel gegen Fettleibigkeit gilt – möglicherweise mit noch besseren Ergebnissen als die Konkurrenz.

600 Millionen Dollar im Halbjahr

Eli Lillys Antwort auf Wegovy nennt sich Mounjaro, ebenfalls ein zu injizierendes Diabetes-Arzneimittel. Es setzt auf den Wirkstoff Tirzepatid. Dieser besetzt Rezeptoren von zwei Darmhormonen. Es erhöht so die Insulinausschüttung, senkt die Blutzuckerspiegel, verzögert die Magenentleerung und reduziert somit das Körpergewicht. Allein die Zulassung des Medikaments in den USA im Mai 2022 ließ den Aktienkurs des Pharmakonzerns um sechs Prozent steigen. 570 Millionen Dollar verdiente man damit bis Jahresende. Und das ist erst der Anfang.

Lilly war vor drei Jahren auf Platz sieben der an den Kapitalmärkten bestbewerteten Pharmafirmen zu finden, zu Redaktionsschluss ist man auf Platz zwei hinter dem Branchenprimus Johnson & Johnson und hat Größen wie Roche, Novartis und Merck verdrängt. Sogar Viagra-Erfinder und Branchenriese Pfizer, einer der Profiteure des weltweiten Coronapandemie-Impfstoffwettlaufs, wurde beim Unternehmenswert von Eli Lilly (und auch von Novo Nordisk) laut einer Auswertung von statista.com überholt. Zur Nummer eins, Johnson & Johnson, ist anzumerken, dass es eigentlich ein Mischkonzern ist, der auch stark bei Medizintechnik und rezeptfreien Präparaten ist. Somit ist ein seit seiner Gründung 1876 in Indianapolis vor allem organisch gewachsener Konzern wie Eli Lilly vor allem aufgrund der großen Erwartungen an Mounjaro plötzlich nach der Markt­kapitalisierung Nummer eins – auch wenn man beim Umsatz noch immer weit hinter der sich durch viel Zukäufe hervortuenden Konkurrenz wie Pfizer zurückliegt. Ein ähnliches Phänomen kennt man aus dem Automobilsektor: Der nach seinem Output kleine US-Hersteller Tesla ist mehr wert als die Stückzahlenkaiser Toyota und VW, aber auch mehr als Luxusbrand Mercedes-Benz.

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Die Kontrahenten

Eli Lilly: Das 1876 vom Pharmakologen Eli Lilly gegründete Unternehmen mit Sitz in Indianapolis fokussiert sich auf die Bereiche Diabetes, Immunologie und Krebstherapie. 2022 verzeichnete der Konzern mit 39.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 28,5 Milliarden US-Dollar, der Jahresüberschuss lag bei 6,24 Milliarden US-Dollar. Die Marktkapitalisierung lag Ende 2022 bei 324,9 Milliarden US-Dollar.

Novo Nordisk: Seit 1923 arbeitet das Unternehmen mit Sitz in Bagsværd in Dänemark am Aufstieg zum führenden Unternehmen im Bereich Diabetes, auch Medikamente zur Blutgerinnung, für Wachstumshormontherapien und Hormonersatztherapien sind eine Stärke der Dänen. Mit 54.393 Mitarbeitern setzte der Konzern im Vorjahr 176,96 Milliarden Dänische Kronen (DKK) um (26,2 Mrd. US-Dollar). Der Jahresüberschuss lag bei 55,26 Milliarden DKK (8,2 Mrd. US-Dollar), die Marktkapitalisierung bei 289,6 Milliarden US-Dollar.

Lars Fruergaard Jørgensen: Der CEO von Novo Nordisk freut sich über ein Kursplus von 20 Prozent seit Jahresbeginn. Verantwortlich dafür: Wegovy und Ozempic.
Dave A. Ricks: Der Eli-Lilly-CEO hofft, mit dem Diabetes- und Abnehmmedikament Mounjaro zum weltweit wertvollsten Pharmakonzern der Welt zu werden

Multimilliardenpotenzial

Auf den Finanzmärkten setzt man große Erwartungen in die neuen Mittel als „möglichen Verkaufsschlager mit Multimilliardenpotenzial“, wie etwa das deutsche „Handelsblatt“ schreibt. Die Märkte sehen einen „Showdown“ der beiden Konzerne, Diabetes-Marktführer Novo Nordisk und Herausforderer Eli Lilly, dräuen: Anfang April 2023 gab Lilly bekannt, man führe eine direkte Vergleichsstudie zwischen Mounjaro und Wegovy durch, die nachweisen soll, welches Medikament in einer 72-wöchigen Behandlung von 700 zumindest übergewichtigen, aber nicht diabetischen Testpersonen mehr körperfettreduzierende Erfolge erzielt. Dies hängt auch damit zusammen, dass Wegovy in den USA zwar oft vergriffen ist, aber bereits als Anti-Obesity Drug anerkannt ist, Mounjaro „nur“ als Diabetes-Arznei. Die Studie läuft bis 2025. Konzernchef Dave A. Ricks ist jedenfalls zuversichtlich: Obwohl das erste Quartal 2023 wegen bröckelnder Covid-Umsätze eher verhalten verlief, wurde der ange­peilte Jahresumsatz für 2023 von ursprünglich 30,8 Milliarden auf nunmehr bis zu 31,7 Milliarden US-Dollar angehoben. Der Grund dafür: die enorme, selbst die optimistischsten Prognosen übertreffende Nachfrage nach Mounjaro, das bald auch offiziell als Medikament gegen Übergewicht eingesetzt werden soll.

20 Prozent Kursplus

Die dänische Konkurrenz erntet bereits die Erträge von Ozempic und Wegovy. Im ersten Quartal wuchs man robust, auch Novo-Nordisk-CEO Lars Fruergaard Jørgensen erwartet von den beiden Medikamenten mittlerweile höhere Umsätze als geplant. Die Analysten sind jedenfalls begeistert, der Aktienkurs legte seit Jahresanfang um mehr als 20 Prozent zu. Obwohl es in Großbritannien zuletzt Wickel mit dem nationalen Branchenverband gab. Der hat Novo Nordisk vor Kurzem rausgekickt, nachdem durch Recherchen der Tageszeitung „The Observer“ ruchbar geworden war, dass einige Ärzte, die den neuen Wirkstoff propagiert hätten, auf der Payroll des Herstellers gestanden wären und diesen „Conflict of Interest“ aber nicht – wie heutzutage üblich – öffentlich bekanntgegeben hätten. Die Aufregung war in ganz Europa groß, die Auswirkungen an der Börse überschaubar: Nach einem kurzen Dämpfer ist die Aktie schon wieder im Aufwind.

Was eigentlich niemanden verwundert. Schließlich gelten die neuen Medikamente als „Gamechanger“, das bestreitet niemand mehr. Selbst die auf bariatrische Chirurgie spezialisierten Ärztinnen und Ärzte geben zu, dass die nicht operativen Therapien mitunter annähernd gleich gute Ergebnisse zeigten wie Magenverkleinerungen, Magenschläuche oder Magenbänder. Diese werden heutzutage zwar fast ausschließlich laparoskopisch – also per Knopfloch-Chirurgie – ohne größere Schnitte durchgeführt, sind aber trotzdem ein belastender Eingriff, vor allem wenn bereits viele Zusatzerkrankungen bestehen.

Teure Fettsucht

Ozempic wird in Österreich verschrieben. Die Österreichische Adipositas Gesellschaft fordert von den Gesundheitskassen jedoch, mehr, auch teurere, Therapien kostenmäßig zu übernehmen. Gefordert werden „individuell angepasste multifaktorielle Adipositastherapien, bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie“, ebenso wie „die Erstattung von diätologischen Beratungen, Einheiten für körperliches Training und eine psychologische Betreuung zur langfristigen Verhaltensänderung“. Falls diese Lebensstilinterventionen nicht zum ausreichenden Erfolg führen würden, „müssen auch unterstützend zugelassene und wirksame medikamentöse Therapien sowie die bariatrische Chirurgie gegen Adipositas von der Sozialversicherung erstattet werden“. Derzeit müssten von der Adipositas-Gesellschaft geschätzte zwei Drittel der Therapiekosten von Adipositas-Betroffenen privat gezahlt werden. Das sei nicht fair, denn: „Betroffenen anderer chronischer Erkrankungen wie Asthma oder Rheuma hingegen stehen zugelassene Therapien ganz selbstverständlich zur Verfügung.“

Die Lifestyle-Verwendung – oder korrekt: „Off-Label“-Anwendung – für etwaige phar­makologische Gestaltungseingriffe am Beach-Body bliebe natürlich nach wie vor „Privatvergnügen“.

Der Hype in den USA beeinflusst die weltweite Verfügbarkeit der Arzneimittel. Kein Wunder, wenn neben Elon Musk auch Celebritys wie Unternehmerin und TV-Star Kim Kardashian davon öffentlich schwärmen. Und wenn im Fahrwasser der großen Namen Tausende Lifestyle-Influencer die Medikamente auf ihren Social-Media-Kanälen als magische Garantie für eine Traumfigur anzupreisen beginnen: Junge Frauen filmten sich dabei, wie sie sich lächelnd Injektionspens in den Bauch stecken, und dokumentieren den Gewichtsverlust mit wöchentlich aufge­nommenen Bildern. Auf der Plattform TikTok sind Hashtags wie #wegovy oder #ozempic Hunderte Millionen Mal aufgerufen worden. Der britische „Independent“ fasste das Phänomen so zusammen: „TikTok machte aus der Diabetes-Arznei Ozempic eine Diätpille.“

Teure Behandlung

In den USA – wo fast drei Viertel aller Erwachsenen als übergewichtig gelten, mehr als ein Drittel als „obese“, also fettleibig – ist so der Run auf die neuen Wundermittel riesengroß. So groß, dass Ärzte schon klagen, sie bekämen keine Medikamente mehr für jene Patientinnen und Patienten, die wegen ihrer von der Fettleibigkeit stark beeinträchtigten Gesundheit dringend eine Therapie notwendig hätten, aber eben nicht so finanzstark seien wie Tech-Milliardäre und diverse Hollywood-Stars, die sich ebenfalls wöchentlich die Anti-Fett-Spritze geben. Kostet doch eine Behandlung rund 1.300 Dollar pro Monat. Hinter dem Problem der Adiposität steht auch eine soziale Frage, nicht nur in den USA. Die Fettleibigkeit sinkt mit steigendem Einkommen, das ist in mehreren Studien nachgewiesen. Fettleibigkeit gilt somit als eine moderne Form der Folgen von „Unterernährung“ in sozial benachteiligten Schichten – also eine Unterversorgung an hochwertigen Nahrungsmitteln und auch weniger zeitliche und finanzielle Möglichkeiten, in der Freizeit Sport zu betreiben. Gerade in diesen Schichten kommen die neuen Mittel aber oft nicht einmal an, wird von vielen Ärzten kritisiert. Wie so oft, zeigen sich auch bei den neuen „Wonder Drugs“ Symptome einer Mehrklassengesellschaft: So formulierte die Onlineplattform Huffington Post zugespitzt: „Rich are fitter, poor are fatter.“

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Gewichtiges Problem für die Volkswirtschaft

Dass der Kampf gegen eine immer dicker werdende Bevölkerung auch volkswirtschaftlich ein Thema wird, hat die Österreichische Adipo­sitas Gesellschaft in ihrem Forderungskatalog vorgerechnet. „Die mehr als fünfzig gewichtsbedingten Begleit- und Folgeerkrankungen wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Krebs, Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats sowie psychische Erkrankungen verursachen sowohl im extramuralen wie auch insbesondere im intramuralen Bereich der Gesundheitsversorgung erhebliche Kosten“, heißt es hier. „Adipositas sowie ihre Folgen und Kosten müssen ganzheitlich betrachtet werden: Adipositas schadet der Gesundheit, dem Gesundheitssystem und der Wirtschaft.“ Im Jahr 2019 wären demnach 3,5 Milliarden Euro für die Bekämpfung und Behandlung von Adipositas ausgegeben worden, das entspräche acht Prozent der ­gesamten Gesundheitskosten in Österreich. Die Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft, die unter anderem Krankenstandstage, Frühpen­si­onierungen sowie Sozialleistungen miteinbeziehen, seien „um ein Vielfaches höher. Laut OECD reduziert Adipositas Österreichs BIP um 3,3 Prozent pro Jahr, das entspricht rund zwölf Milliarden Euro.“