Familienunternehmen Neue Ausfahrt

Seit Tesla ist alles anders. Erst gerieten traditionelle Automarken unter Druck, dann die Händler. Trotzdem haben die Auto-Stahl-Betreiber Isabella und Gernot Keusch 25 Millionen Euro in einen neuen Standort investiert. Und wollen dort den Kfz-Handel neu erfinden. 

Text: Stefan Schatz

Endlich Frühsommer. 30.000 Sträucher blühen hier auf 1,7 Hek­tar um die Wette, dahinter Gebäude mit viel Glas und leistungsstarken PV-Anlagen, die Dächer sind sogar begrünt. Ein ungewöhnlicher Anblick am nordöst­lichen Rand von Wien, wo die Straßen breit, mehrspurig und von industriellen und gewerblichen Zweckbauten geprägt sind. Zumal der florale Ausreißer auch kein Gartencenter ist, das um Kunden buhlt – sondern das Autohaus Stahl.

25 Millionen Euro haben die Eigentümer Gernot und Isabella Keusch im Jahr 2020 dafür lockergemacht, um Jaguar, Land Rover, Honda, Kia, Volvo, Mazda und Ford eine neue Heimat zu bieten. Eine gewaltige Investition in Zeiten von Klima­klebern, Autokauf per Internet und galoppierender Inflation.

Grünes Feng-Shui

Aber das Projekt überrascht nicht nur Risi­koaverse. Ungewöhnlich ist hier vieles. Etwa die Waschanlage für Kundenfahrzeuge. Sie wird großteils mit recyceltem Wasser betrieben, der Rest kommt aus dem hauseigenen Brunnen. Oder die Fassaden: Sie wurden ohne Verbundwerkstoffe gebaut. Das heißt: Sie können ­sor­­ten­rein getrennt und einfach wiederverwertet werden. Auch die schlaue Beschattung des Werkstättentraktes und die dick gedämmten Mauern verblüffen: Das spart Heiz- und Kühlenergie. Soll das ein allenfalls schlechtes Gewissen von Autokäufern beruhigen? „Die Kunden nehmen das grüne Gebäude gar nicht wahr. Aber nur weil wir Autos verkaufen und reparieren, heißt das ja nicht, dass wir die Natur nicht mögen“, erklärt Gernot Keusch entwaffnend. Er hatte zudem geplant, den 12.000 Quadratmeter umfassenden Gebäudekomplex mit Wärmepumpe zu heizen. Was ihm aber von der Stadt untersagt wurde.

„Weil das Grundwasser im Osten Wiens schon zu warm ist. Ich bin gespannt, wie das jetzt mit dem Ausstieg aus Gasheizungen funktionieren soll.“ Der 49-Jährige nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Er ist keiner, der poltert, sondern einfach und mit charmantem Lächeln in eleganter Formulierung sagt, was Sache ist. Und gerne seinen eigenen Weg geht. Doch dazu später.  Bleiben wir noch beim Gebäude. Architekt Bernhard Hamann errichtete es nach Feng-Shui-Kriterien.  Keusch: „Das war uns wichtig, wir wollten eine gewisse Hotelatmosphäre im Ge­bäude haben.“  Tatsächlich gibt es eine ein­ladende Cafeteria mit imposanter Kaffeemaschine, die in jeder italienischen Bar ein Blickfang wäre. Und Business-Lounges, damit Kunden Wartezeiten etwa beim Reifenwechsel gleich beruflich nutzen kön­nen. Das kleine Appartement mit Duschraum, Couch und Esstisch ist Rückzugsraum für Isabella und Gernot Keusch, Mitarbeitern steht ein E-Learning-Raum für konzentriertes Arbeiten zur Verfügung. Es dominieren freundliche, warme Farben, einladende Möbel und wohnliche Details. Also nicht unbedingt das, was man von einem sonst auf Zweckmäßigkeit getrimmten Autohaus erwartet.

Viele dieser für die Branche so atypischen Ideen kommen von Isabella Keusch. Sie ist der kreative Kopf des Duos – und hatte bis vor wenigen Jahren nur sehr wenig mit dem Autohandel am Hut. Was eben den Blick von außen schärft. „Ich wollte immer etwas mit Menschen machen“, erklärt die 46-Jährige ihren spektakulären Lebenslauf. Am Anfang stand eine Ausbildung an der Tourismusschule Modul. „Als Kind weiß man ja noch gar nicht, welche Möglichkeiten und Chancen die Welt bereithält und was man einmal als spannend empfindet. Aber schöne Hotels und gutes Essen haben mich immer interessiert.“ Wahrscheinlich hat sie deshalb beim Gourmetmagazin „Falstaff“ ihre Karriere begonnen. Und es dort bis zur Chefin vom Dienst geschafft. Parallel dazu absolvierte sie den Master im Tourismus-Management an der FH Wien der WKW.

Wissensdurst

Die nächste Station ist noch luxuriöser. Sie steigt bei Davidoff ein. Erst als Österreich-Repräsentantin, acht Jahre später
ist sie Chefin der feinen Markenfamilie rund um ausgesuchte Zigarren in Österreich. 2016 wird sie zum Global Director Training & Development der Oettinger Davidoff AG ernannt. „Ich war für Strategie, Aufbau und Training der Depositeure und Vertriebsmitarbeiter in den Shops verantwortlich“, erklärt sie die reiseintensive Aufgabe. Parallel dazu studiert sie immer weiter: Erst folgt der Master in PR, dann ein Post-Graduate-Zertifikat in Service Excellence an der Kalaidos Fachhoch­schule in Zürich, schließlich die Schule des Sprechens und die Werbeakademie. „Ich hatte das Glück, dass sich immer neue Herausforderungen ergeben haben. Teil­weise hatte ich das Vorwissen dazu nicht. Aber das habe ich mir angeeignet.“ Eine Aussage, die sehr gut charakterisiert, wie Isabella Keusch tickt: Geht nicht, gibt’s nicht. Wenn etwas ihr Interesse weckt, wird es erlernt. Notfalls per Trial and Error.

Auch so kann ein Autohaus sein: Im neuen Auto-Stahl-Standort herrscht Cafeteria-Flair mit Chill-out-Möbeln.

Mut mit Plan

Dann wurde ihr Kind geboren. Und alles wurde anders. Obwohl: Alleinverantwortlich für den Wechsel in die Autobranche ist Sohnemann Konstantin nicht. Es waren mehrere Faktoren. Etwa, dass sie des vielen Reisens müde wurde. „Ich war drei, vier Tage pro Woche im Ausland. Und ich habe ja keine Familie, damit ich sie nur am Wochenende sehe.“ Ihren Mann hat sie schon viel früher kennengelernt. 2007 eröffnete Gernot Keusch den Land-Rover-Schauraum. Und wollte für das Auftakt-Event auch Zigarren servieren. Natürlich besonders edle. So stieß er auf Davidoff. Und ihre Österreich-Chefin. „Der Rest war Schicksal“, lachen beide. 2012 wurde geheiratet. Was Isabella Keusch an ihrem Mann fasziniert? „Sein unglaublicher Zug aufs Tor. Und dass er immer einen Plan, einen Reserveplan und einen Notfallsplan hat.“

Den hat Gernot Keusch auch gebraucht. Seine Familie zog in den Siebzigern nach Wien, „mit nicht viel mehr als der Bett­wäsche in der Tasche“, so Gernot Keusch heute. Vater Willibald stieg in einer Werkstatt ein und baute sie mit immensem Fleiß zum florierenden Autohandel aus. Der Aufstieg japanischer Autos zum Bestseller ist in Ostösterreich untrennbar mit Toyota Keusch verbunden. Sohn Gernot absolvierte die HTL für Kfz-Technik. („Ein Wunsch, den ich meinem Vater erfüllte, mir wäre Betriebstechnik lieber gewesen.“) 1994 fing er im elterlichen Betrieb an, 1998 übernahm er die Leitung. Und stieg 2005 aus. „Ich wollte auf eigenen Beinen stehen, mein eigenes Geld riskieren.“ Er übernahm den Traditionsbetrieb Auto Stahl.

Ein harter Schlag für die Familie: Gernot war der designierte Nachfolger. Aber auch für ihn war es kein einfacher Beginn: „Die ersten Jahre schaffte ich den Break-even nicht, bis 2009 war das hart an der Grenze.“ Eine Erfahrung, die seine Einstellung zu Geld prägte: „Ich gehe mit Geld immer sehr sorgsam und redlich um. So einen Schritt wie 2005 würde ich heute nicht mehr machen, weil ich jetzt selber Familie habe.“

„Als Kind weiß man noch gar nicht, welche Chancen die Welt bereithält.“
– Isabella Keusch –
über ihren ungewöhnlichen Karriereweg
„Ich wollte auf eigenen Beinen stehen und mein eigenes Geld riskieren.“
– Gernot Keusch –
über die Trennung vom elterlichen Betrieb
 

Der Wald und das Rauschen

Trotzdem: Für ein Happy End war es noch zu früh. 2020 kündigte ihm ein langjäh­riger Partner die Vertretungsbefugnis. „Da haben meine Frau und ich überlegt, die Zelte in Wien abzubrechen und anders­wo anzufangen.“ Aber das Grundstück in der Donaustadt, wo er jetzt den neuen Firmensitz gebaut hat, war schon per Option gesichert. Und der Nachwuchs unterwegs. Ende 2019 beschloss das Paar, in Wien weiterzumachen. Und zwar ab sofort gemeinsam.

Das war allerdings vor Corona. Und vor der Zinswende. Bereuen die Keuschs die Megainvestition? Gernot Keusch ist ehrlich: „Ich weiß nicht, ob es der Weisheit letzter Schluss war, so viel Geld zu investieren. Aber von meiner Schwiegermutter habe ich gelernt: Wer in den Wald geht, darf das Rauschen nicht fürchten.“

Außerdem hat er natürlich wieder einen Plan. Und eine Expertin für Markenführung und Kundenservice an seiner Seite. Natürlich sinken die Margen im Autohandel weiter, „weil Tesla nur zehn Prozent Vertriebskosten hat und alle anderen Autohersteller, die 25 Prozent in die Distribution stecken, an den Börsen vor sich hertreibt. Also nimmt man uns Händlern Geld weg.“ Trotzdem ist er überzeugt: Der Direktvertrieb, das sogenannte Agenturmodell, bei dem die Hersteller nur ein paar Fahrzeuge in eine Auslage stellen und der Kunde wird per Internet bedient, sei nicht der Weisheit letzter Schluss. „Ich höre auch schon von Repräsentanten, dass sie sich das leichter vorgestellt haben.“

Isabella Keusch kennt auch den Grund dafür. „Retail is Detail“, zitiert sie eine Marketingweisheit. Sie ist überzeugt, dass der Autohändler selbst zur Marke werden müsse. Und der Kunde Betreuung braucht: „Das hört nicht bei der Unterschrift unter dem Kaufvertrag auf. Manche Kunden rufen auch nach einem Jahr noch an.“ Etwa, weil man sich mit einer Funktion nicht auskennt oder weil ein Lämpchen aufleuchtet. „Wenn ich dem sage, die Lösung finden Sie auf einem YouTube-Video, kommt der nie mehr wieder.“ Also wird auf das Detail geachtet. Isabella Keusch hat etwa Hochstühle und geneigte Bildschirme für Verkäufer eingeführt. Damit sich niemand hinter Schreibtischen verstecken kann und dem Autohausbesucher auf Augenhöhe begegnet. Auch am Wir-Gefühl wird gearbeitet.
Keine leere Attitüde: „Mein Mann verwendet in den Betriebsversammlungen, die wir einmal monatlich an jedem Standort machen, niemals ‚ich‘, sondern immer ‚wir‘. Und er meint es auch so.“ Als Familienbetrieb tue man sich in Sachen Mit­arbeiterloyalität ohnehin leichter als bei ano­nymen Managementstrukturen.

Der Briten-Corner in der Donaustadt: Hier wählt man die Lackierung und die feinen Ledersitzbezüge für Land Rover und Jaguar.

Fehlende Töpferlust

Zudem hat Gernot Keusch natürlich einen Plan, wie sich die Investition amortisiert. Etwa durch ein sehr schlaues Werkstattmanagement, das die Anforderungen moderner und vor allem voller Elektronik steckender Fahrzeuge berücksichtigt. Und mit einer hypermodernen und zentralen Lackiererei am Hauptsitz, die andere Standorte mitbetreut. In dieser Art des Autohandels steckt viel Zukunft – aber auch viel Arbeit, die beide aber sichtbar gerne erledigen. Vergessene Kaffeetassen räumen sie selbst weg und greifen auch zum Lappen, wenn ein Tisch nicht perfekt gewienert ist. Isabella Keusch: „Trotzdem koche ich für meinen Sohn jeden Tag selbst, frisch und gesund. Das geht, weil ich Privates und Beruf nicht strikt trenne. Mir machen die Aufgaben Spaß. Und Freizeitkurse wie Ausdruckstöpfern hätten mich sowieso nie angesprochen.“

Infos

Auto Stahl wurde in den 50er-Jahren gegründet und 2005 von Gernot Keusch übernommen. Der Firmensitz wurde im Vorjahr ins neue ­Gebäude in Wien-Donaustadt verlegt, weitere Standorte finden sich im 21. und 23. Bezirk in Wien. Gehandelt, repariert und serviciert werden die Marken Jaguar, Land Rover, Mazda, Ford, Kia, Volvo, Honda und Honda Motorräder. Das Unternehmen beschäftigt 145 Mitarbeiter, der Umsatz (2022) liegt bei mehr als 60 Millionen Euro.