(c) Thomas Meyer
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120 Millionen Euro Testamentsspenden

Der internationale Trend, Spendenzwecke im letzten Willen zu verankern, ist auch aus dem österreichischen Spendenwesen nicht mehr wegzudenken. Noch nicht dagewesene 120 Mio. Euro wurden im Vorjahr an gemeinnützige Einrichtungen vererbt – darunter eine einzelne Testamentsspende über 25 Mio. Euro. Das entspricht einer Steigerung von 140% in den vergangenen zehn Jahren.

Damit stellen Spenden aus dem Nachlass mittlerweile eine der wichtigsten Stützen für die Finanzierung gemeinnütziger Hilfsprojekte dar.

„Sowohl das Interesse aus der Bevölkerung als auch die tatsächlichen Nachlässe zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen nehmen in Österreich seit Jahren kontinuierlich zu“, unterstreicht Günther Lutschinger, Geschäftsführer Fundraising Verband Austria, der vor über zehn Jahren die Plattform „Vergissmeinnicht“ initiiert hat, um dem steigenden Informationsbedarf zum Thema Testament und Erbrecht neutral und niederschwellig nachzukommen. Seither informiert „Die Initiative für das gute Testament“ gemeinsam mit der Österreichischen Notariatskammer kostenlos in ganz Österreich, was beim Wunsch nach einer Testamentsspende beachtet werden sollte und warum es generell wichtig ist, seinen Nachlass zu regeln. Dieses umfassende Service zeigt Wirkung: „2012 wussten noch die wenigsten, dass man einen Teil des Testaments einer gemeinnützigen Einrichtung vermachen kann, heute sind es 92 Prozent der Bevölkerung über 40 Jahre“, weiß Lutschinger mit Verweis auf die aktuelle Market-Studie im Auftrag von Vergissmeinnicht.

Jeder neunte Spendeneuro aus einem Testament

Fast 800.000 Österreicher (16% der über 40-Jährigen) – vor allem Menschen ohne Erben – können sich laut der Studie vorstellen, eine gemeinnützige Organisation im Testament zu bedenken. Damit hat sich das Interesse an dieser Möglichkeit in zehn Jahren mehr als verdoppelt. Einen noch steileren Anstieg zeigt das tatsächliche Aufkommen an Testamentsspenden, das sich fast verdreifacht hat. „Für dieses außerordentliche Spendenengagement der Österreicher im Rahmen ihres letzten Willens möchten wir stellvertretend für den gesamten Dritter Sektor herzlich Danke sagen“, so Lutschinger beim heutigen Vergissmeinnicht-Pflanzen in Schönbrunn. Vom gesamten Spendenaufkommen (900 Mio. Euro 2022) stammten 120 Mio. Euro aus testamentarischen Zuwendungen, die damit mittlerweile mehr zum Gemeinwohl beitragen als Unternehmen oder gemeinnützige Stiftungen (je 10% der Gesamtspenden). Eine einzelne Testamentsspende an das Institute for Science and Technology Austria machte 25 Mio. Euro aus – eine absolute Ausnahme, wie Lutschinger betont: „Tendenziell vererben Testamentsspenderinnen und -spender moderate Vermögen zwischen 50.000 und 100.000 Euro.“

Österreicher möchten über den Tod hinaus Gutes tun

Einen besonders großen Interessensanstieg verzeichnet „Vergissmeinnicht“ unter der wachsenden Zahl an kinderlosen Personen. 40% von ihnen sehen im gemeinnützigen Testament eine sinnstiftende Möglichkeit, ihr Vermögen nach dem Tod gemeinnützigen Anliegen zu widmen, die ihnen schon zu Lebzeiten wichtig waren. Auch die bereits erfolgten Testamentsspenden stammen zu über 90% von alleinstehenden und kinderlosen Personen. „In unseren österreichweiten Infoveranstaltungen sehen wir aber auch bei Personen mit Nachkommen die Tendenz, dass sich immer mehr bewusst als Familie dafür entscheiden, einen Teil des Vermögens dem guten Zweck zu vermachen“, betont Vergissmeinnicht-Leiter Markus Aichelburg. Testamentsspenden finanzieren sowohl laufende NPO-Projekte als auch völlig neue Hilfsangebote. Durch ihre Unplanbarkeit bilden sie vielfach den Samen für Neues und entfalten ihre Wirkung in allen gemeinnützigen Bereichen, unter anderem in der Unterstützung bedürftiger Kinder, wie Gottfried Mernyi, Geschäftsleitung Kindernothilfe Österreich,

aufzeigt: „Kinder sind die am stärksten Leidtragenden der Auswirkungen von Kriegen, Konflikten oder der Klimakrise. Noch immer sind Mädchen und Buben Ziel von Ausbeutung, Misshandlung und Gewalt.

Durch Testamentsspenden zugunsten der Kindernothilfe Österreich können wir präventiv, aber auch in akuten Notfällen helfen. Und Kindern genau das ermöglichen, was ihnen zusteht. Ein selbstbestimmtes und sicheres Leben zu führen.“ Ebenso kommen Testamentsspenden armutsbetroffenen und wohnungslosen Menschen, Familien und jungen Erwachsenen zugute – dem Arbeitsfeld von neunerhaus, das akute und langfristige Hilfe zurück in die Selbstständigkeit, vom Wohnen über die medizinische Versorgung bis hin zur Teilhabe an der Gesellschaft leistet. „In der neunerhaus Zahnarztpraxis werden jährlich über 1.800 obdach- und wohnungslose sowie nicht versicherte Menschen kostenlos behandelt. Dank eines Testamentsspenders war es uns im Vorjahr möglich, einen neuen Zahnbehandlungsstuhl anzuschaffen. Eine wertvolle Unterstützung, die uns dabei hilft, Schmerzen zu lindern und Lächeln zu schenken. Ein herzliches Dankeschön!“, sagt Daniela Unterholzner, neunerhaus Geschäftsführung.

Gemeinnütziges Testament international im Trend

Mit rund 13% Testamentsspendenanteil am Gesamtaufkommen liegt Österreich vor Deutschland (10%) und etwa auf demselben Niveau wie die Schweiz oder Frankreich. In Belgien und den Niederlanden machen Testamentsspenden hingegen bereits über 30% aus. Auch in Österreich dürfte die Bedeutung von Testamentsspenden noch weiterwachsen:

Einerseits werden immer mehr Vermögenswerte vererbt und andererseits steigt die Zahl der Menschen ohne Erben. Laut Studie des WU-Ökonomen Stefan Humer werden die vererbten Vermögenswerte bis 2030 von derzeit 15 Mrd. auf über 18 Mrd. Euro pro Jahr steigen.

Über die Initiative „Vergissmeinnicht“

100 Mitglieder-Organisationen aus den Bereichen Soziales, Tier- und Umweltschutz bis hin zur Kulturförderung sind Teil der Initiative Vergissmeinnicht. Sie verbindet die Überzeugung, dass man mit einem Vermächtnis für den guten Zweck nachhaltig positive Spuren hinterlassen kann. Mit einem umfassenden Serviceangebot (u.a. Vergissmeinnicht-Erbrechtsratgeber, digitaler Testamentsrechner, Online-Notarvideos) und kostenlosen Veranstaltungen klären sie seit 2012 über das Erbrecht und die Anforderungen an ein Testament auf. Der Informationsbedarf ist nach wie vor groß: Nur 30% der Personen über 40 haben bereits ein Testament gemacht.