assets Magazin: Nägele & Strubell
Der Shop für Individualisten: Im Le Parfum warten luxuriöse Nischendüfte auf experimentierfreudige Klientel.

Tube, Tiegel & Flacon

Wien, Mitte der Neunziger: Die einst so graue Stadt hat ihr tristes Kleid abgelegt, die Club- und Partykultur steht in der Hochblüte, mit der Wirtschaft geht es aufwärts und auf die Jeunesse dorée wartet eine Sensation: ein Gesichtspuder, individuell auf den eigenen Hautton abgestimmt. In Scharen pilgert man zwecks Teintanalyse zu Nägele & Strubell, der kapitalen Instanz in Parfüm- und Beautyfragen schlechthin. Hier ist alles zu haben, was man sonst nur aus internationalen Modezeitschriften wie Vogue, Cosmopolitain und Dépêche Mode kennt. Die Führungsrolle im schicken Dschungel aus Flacons, Tiegel, Tuben und Döschen übernimmt zauberhaftes Fachpersonal, das alle Abkürzungen auf dem Weg zu ewiger Jugend und makelloser Schönheit kennt. Es wurde von Geschäftsführerin Dr. Marion Faber-Oelschlägel nicht nur persönlich ausgewählt, sondern auch mit dem Credo der Unternehmerin geimpft. „Service, Service, Service und Service. Und dann nochmals Service“, verrät sie das Erfolgsgeheimnis der Wiener Institution für feine Aromen und stilvolle Makellosigkeit.

141 Jahre Tradition

„Man muss sich immer wieder neu erfinden, um nicht zu verstauben.“

– Dr. Marion Faber-Oelschlägel –
Geschäftsführende Gesellschafterin
assets Magazin: Dr. Marion Faber-Oelschlägel, Mag. Georg Oelschlägel
Dr. Marion Faber-Oelschlägel teilt sich die Geschäftsführung mit Stiefsohn Mag. Georg Oelschlägel:
„Wir mischen uns gemütlich in die Agenden des jeweils anderen ein.“

Im Gespräch mit der energiegeladenen Unternehmerin hinter Nägele & Strubell wird schnell klar: Es steckt schon viel mehr als „nur“ Kundenorientierung dahinter, um aus einer traditionsreichen Luxusparfümerie eine überaus wachstumsstarke Unternehmensgruppe zu machen, die mittlerweile Grenzen überwindet, erfolgreich diversifiziert und digitale Verkaufs­kanäle ebenso virtuos bespielt wie analoge.

Ob es am Unternehmenssitz liegt? Vielleicht ist das Haus am Graben 27 in der Wiener City ein ganz besonderer Kraftort. Jedenfalls zieht es recht regelmäßig Unternehmerpersönlichkeiten mit Weitsicht an. Zumindest seit 15. Oktober 1880. An diesem Tag eröffneten August Nägele und Moritz Strubell ihre „Gemischtwarenhandlung zum Verschleiß von Parfumerie- und Drogeriewaren“ unter der Firma „Zum Genfer Kreuz“. Die beiden bewiesen ein ebenso feines Näschen wie die ­Damen der Wiener Gesellschaft und begannen, Parfüms aus Frankreich zu importieren. Die Hautevolee war entzückt, die französischen Parfümriesen weniger, schließlich war man in der Hauptstadt des damals bedeutenden Absatzmarkts Österreich-Ungarn mit eigenen Niederlassungen vertreten. Also mischten die beiden Unternehmensgründer eigene Essenzen, die mit Bezeichnungen wie „Treffe Eclate“, „Reseda“ und „Rose Marechal“ den Wiener Graben ebenso nach Champs-Élysées duften ließen wie die darauf flanierenden Damen. Heimito von Doderer setzte dem hauseigenen Eau de Cologne in seinem bekanntesten Roman „Die Strudelhof­stiege“ sogar ein literarisches Denkmal.

Ebenso wie das 19. Jahrhundert gingen auch die Gründer, Nägeles Neffe Richard Prandstetter übernahm und begeisterte mit Versandservices. Ein genialer Einfall, damals der Zeit weit voraus. Die Upperclass wählte die gewünschte Ware aus reich bebilderten Katalogen, schrieb Bestellungen und empfing kurz darauf am Landsitz Päckchen mit duftendem und pflegendem Inhalt. Fürstin Palffy etwa ließ den Seniorchef wissen: „Schick mir mein Tubereuse – kann doch nicht nur die ewigen Rösser in der Nase haben! Und von der Creme, der meinigen, auch. S’können unbeschadet ein paar Tiegel sein …“ Das Geschäft blühte, der österreichische Hof zollte Respekt und adelte den Tempel des Wohlgeruchs zum k. u. k. Hoflieferanten.

„Das dynastische Denken ist in unserer Familie nicht besonders ausgeprägt.“

– Dr. Marion Faber-Oelschlägel –
über Nachfolgedebatten

Angst vor Europa

Eine Weltwirtschaftskrise später war das Geld für teure Düfte dahin. Bei Nägele & Strubell sattelte man auf Drogeriewaren um. Es kam aber noch schlimmer, die nächste Generation musste den Betrieb über Diktaturen und harte Kriegszeiten retten. Mit dem Wirtschaftswunder kehrte auch der Luxus in die sanierten Räumlichkeiten am Wiener Graben 27 zurück. Peter Piet Payer war dann der Letzte aus der Gründerdynastie: Er besann sich auf die Ideen seines Urgroßvaters, baute neuerlich um und ließ Nägele & Strubell wieder als noble Parfümerie erblühen. So wäre es wahrscheinlich noch über viele weitere Generationen zwar elegant, aber im Wesentlichen im Gleichschritt mit anderen Traditionalisten weitergegangen.

Wenn Österreich nicht Mitte der 1990er-Jahre der Europäischen Union beigetreten wäre. „Nägele & Strubell stand zum Verkauf, weil große Diskontparfümerie­ketten nach Österreich drängten. Viele Händler fürchteten, gegen diese Konkurrenz nicht bestehen zu können“, erzählt Dr. Faber-Oelschlägel. Da traf es sich gut, dass ihr Ex-Mann Mag. Erich Oelschlägel – bei Nägele & Strubell auch heute noch hinter den Kulissen sehr aktiv – nach einer Investitionsmöglichkeit suchte. Damals war er im Großhandel mit Parfümerieware engagiert und fürchtete um die Geschäftsgrundlage. „Wir vertrieben große Marken wie Yves Saint Laurent oder Hermès. Wir wussten: Nach dem EU-Beitritt erledigen die Hersteller den Großvertrieb selbst, oft direkt von Deutschland aus. Im Einzelhandel sahen wir Chancen.“

Der Neustart

assets Magazin: Nägele & Strubell am Wiener Graben
Instanz
Seit mehr als 140 Jahren ist die Nägele & Strubell-Zentrale am Wiener Graben die Erstanlaufstelle für luxuriöse Düfte, edle Pflege und Beauty mit Stil.

Mag. Erich Oelschlägel übernahm also die Gründung von Nägele & Strubell 2.0, Dr. Marion Faber-Oelschlägel – mittlerweile persönlich als Gesellschafterin be­teiligt – die Leitung. Die ebenso neue wie junge Chefin legte gleich mit Verve los. Erneut wurde umgebaut, das Einhorn als Markenzeichen erfunden, Pflege- und Kosmetikstudios eingerichtet und das Markenportfolio auf Vordermann gebracht. Was nicht ganz einfach war: „Noch zur Jahrtausendwende mussten wir regelrecht kämpfen, um Marken wie La Mer oder Bobbi Brown ins Sortiment nehmen zu dürfen.“ Heute wollen alle bei Nägele & Strubell gelistet sein. Zwischen 50 und 60 Markenangebote würden monatlich eintrudeln, so die gelernte Juristin, nur wenige schaffen es ins Regal. Bei der Auswahl unterstützen sie „unsere geniale Marketingchefin Silvia Schwab-Stubenvoll“ und ihr Stiefsohn Mag. Georg Oelschlägel. Er ist seit etwas mehr als zehn Jahren im Unternehmen. „Die Geschäftsführung machen wir gemeinsam. Er kümmert sich mehr ums Administrative und Organisatorische wie Controlling und Finanzen, ich bin eher für Personal, Marketing und kreative Dinge zuständig. Aber wir mischen uns ganz gemütlich und gerne beim jeweils anderen ein.“ Und das funktioniert? „Sogar sehr gut. Wir sind nicht besonders eitel und mögen einander sehr. Ohne ihn wäre das Unternehmen nicht dort, wo es heute steht.“ Tatsächlich hat Dr. Marion Faber-Oelschlägel so gar nichts von einer unnahbaren oder übertrieben standesbewussten Luxushändlerin, die Mitarbeiterinnen schon durch physische Präsenz in Angst und Schrecken versetzt. Ganz im Gegenteil: Sie weiß um die Wichtigkeit ihres Teams: „Wir haben sehr kurze Entscheidungswege und sind nah an den Mitarbeiterinnen. Schließlich sind sie es, die unsere Kundinnen kennen und betreuen.“ Offensichtlich machen sie ihre Sache gut: Der Stammkundenanteil ist hoch, das half bei den Lockdowns, Click & Collect war bei Nägele & Strubell ein Renner.

Eigentlich die besten Voraussetzungen für ein gemütliches und ruhiges Unternehmerleben. Nur: So funktionieren die Oelschlägels nicht. „Als k. u. k. Hoflieferant muss man sich ständig neu erfinden, um nicht zu verstauben“, so die Chefin. Also wird ebenso regelmäßig wie fleißig um­gerührt. Das macht zwar innovativ und bringt neben alteingesessenen Wienerinnen auch deren Töchter ins Geschäft (85 Prozent der Kundschaft sind weiblich), sorgt aber auch für jede Menge Arbeit. „Wir haben uns schon oft gesagt: Dieses Jahr geben wir mal Ruhe“, lacht Faber-Oelschlägel, schließlich habe man sich dann aber doch wieder selbst überholt. Weil: Es gibt einfach so viele Ideen. Und: So gut wie alle gehen auf.

Wie etwa die neuen Läden: In Wien bietet Le Parfum hochklassige Nischendüfte für Individualisten, bei Kussmund geht es um Biopflege, Organic Beauty und besonders rare Manufakturaromen. Kannibalisiert man sich damit nicht selbst? „Die Zeiten, in denen die ganze U-Bahn nach Yves Saint Laurents Opium gerochen hat, sind vorbei“, erklärt die studierte Juristin. „Die Hälfte unserer Kunden sucht nach Bewährtem und Vertrautem, die anderen nach mutigen Innovationen und ein immer größerer Anteil nach nachhaltigen Produkten mit kurzen Transportwegen und naturnahen Inhaltsstoffen.“

Expansion

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Der Shop für Individualisten:
Im Le Parfum warten luxuriöse Nischendüfte auf experimentierfreudige Klientel.

In der Zwischenzeit hat Nägele & Strubell auch die Outlets der Parfümeriekette Antos übernommen, in Deutschland die Shoppingplattform für Parfüms ausliebezumduft.de, in der Schweiz erwarb man die ebenso elitäre wie alteingesessene Parfümerie Hyazinth in Basel. Sogar die Qualitätsbäckerei Felzl landete im mittlerweile dicht geknüpften Netzwerk der Oelschlägels und expandiert seitdem kräftig. „Felzl passt vom Firmenkonstrukt hervorragend zu uns, hat aber mit dem Beautygeschäft nichts zu tun. Das ist eine reine Unter­nehmensbeteiligung, die von Georg und Christina Ostermayer hervorragend geführt wird.“ Ob noch mehrere Ausflüge in fremde Branchen unternommen werden? „Das kann schon sein, wir sind durchaus an Diver­sifikation interessiert“, lässt sich die umtriebige Unternehmerin keine konkreten Absichten entlocken. Ent­spre­chende Beteiligungsgesellschaften im Hintergrund stehen jedenfalls bereit (siehe Kasten).

Aber ist überhaupt noch Zeit für neue Ideen übrig? Schließlich ist Dr. Marion Faber-Oelschlägel von darstellender Kunst nicht nur begeistert, sondern rief mittlerweile selbst hochwertige Projekte mit handverlesenen Künstlerinnen ins Leben. Mag. Georg Oelschlägel wiederum hat sich bei Gföhl einen Bauernhof gekauft, den er als Gut Mittelberg betreibt und wo er hochwertige Biolebensmittel herstellt. Ihre beiden Töchter – beide in den Zwanzigern – scheinen andere Lebenswege einzuschlagen. „Unser dynastisches Denken ist nicht sonderlich ausgeprägt“, lacht Faber-Oelschlägel. Bei der Expansion setzt man eben auf Mitarbeiter, die man sorgfältig auswählt, mit Vertrauen ausstattet und selbst gestalten lässt. Trotzdem will man jetzt einmal abwarten. Mit den insgesamt 17 Filialen ist der Luxusmarkt für Duft & Beauty in Österreich von Nägele & Strubell schon gut abgedeckt, die beiden Nebenlinien Le Parfum und Kussmund leben sehr gut von der Kombination aus Geschäftsraum und Onlinehandel. „Wir sind neugierig, was nach dem Ende der Pandemie passiert, ob und wie sich das Konsumverhalten verändert. Da versuchen wir, ganz wach zu sein und Verhaltensänderungen sofort zu begleiten.“ Was nach Kenntnis der bisherigen Vita der Unternehmersfamilie nur heißen kann: Entsprechende Pläne liegen schon in der Schublade.