Automobil – Nie mehr Zeitgeist

Schließlich ist Zeitlosigkeit der noch bessere Lebensraum: Vor 25 Jahren kam Bentley zu Volkswagen, und, danke, die Briten erfreuen sich noch immer bester Gesundheit (und ein wenig noch eines Zwölfzylinders, der in Wolfsburg in kein Auto mehr passen mag).  Text: Rupert Streiter

Man kann die Gegenwart in ihrer vollen Pracht nicht kapieren, ohne den wohligen Umweg über die Vergangenheit zu nehmen – auch wenn mancher Fan meint, dass die nur zwölf Jahre lang währte und die ganze Geschichte schon 1931 zu Ende war. Da wurde Bentley nämlich im Zuge einer Gerichtsverhandlung, die in eine Versteigerung entglitten war, von Rolls-Royce übernommen. In den folgenden 67 Jahren waren Bentleys die etwas sportlicheren Ableger quasi baugleicher Rolls-Royce, oft waren Unterschiede nur am Grill und an den Logos festzumachen, Bauteilen also, die wenig zur sportlichen Ausrichtung eines Automobils beitragen. Manchmal lag der Unterschied aber auch in einem Turbolader, da war der Kern der Marke schon deutlicher fühlbar. Aber wir greifen vor.

Walter Owen Bentley (1888–1971) verkaufte schon vor dem Ersten Weltkrieg Autos der französischen Marke DFP (Doriot, Flandrin & Parant) in Cricklewood, Nord-London, bald wollte er eigene Autos bauen. Am 18. Jänner 1919 gründete er Bentley Motors Limited, im Oktober rollte er ein Chassis samt Motor-Dummy zur London Motor Show, bald kam ein Vierventilmotor dazu – insgesamt ergab sich ein sportlicher Einschlag, und günstig waren die Chassis auch nicht. Da war also betuchte Kundschaft gefragt, die ein Chassis erwarb und zum Karosseriebauer des Vertrauens verbringen ließ. So tauchen wir umweglos in die Legende der Bentley Boys ein, prächtige Vertreter jener Lost Generation, die der Erste Weltkrieg auch unter den Reichen hinterlassen hatte; reiche Bengel also, die nicht mehr reibungsfrei ins Zivilleben zurückfanden und ihren Alltag gerne gefährlicher und heroischer verbringen wollten als hinter einem Schreibtisch. Autorennen kamen da gerade recht als würdiger Auslauf für die schnellen und technikaffinen Ambitionen. Le Mans war eine hervorragende Spielwiese der Bentley Boys: Die Burschen um Sir Henry „Tim“ Birkin gewannen von 1927 bis 1930 lückenlos – und ein paar andere Rennen der 1920er-Jahre auch. Da ist natürlich schon längst das Bild des Bentley Blower zur Stelle, groß und grün und mit dem charakteristischen Kompressor an der Nase, und daneben die filigranen und leichten Bugattis. Ettore Bugatti sollte die Bentleys als schnellste Lastwagen titulieren, man kann das natürlich als schrullige Einzelmeinung beiseiteschieben.

Komplizierte Eigentümerwechsel

Nicht beiseiteschieben ließ sich die stets löchrige Finanzdecke. Bentley Boy Woolf Barnato, Schwergewicht mit dem grazilen Spitznamen Babe, kaufte seinen Bentley 3-Litre 1925, ein Jahr später gehörte ihm quasi die ganze Firma. Jährlich investierte Barnato eine namhafte Summe in Bentley, dann brachte ein Gspusi Tim Birkins die reiche Dorothy Paget dazu, eine Serie von 50 Bentley Blower zu finanzieren, letztlich aber war die Weltwirtschaftskrise stärker.

Während der Gerichtsverhandlung, in der die Übernahme durch Napier & Son besiegelt werden sollte, kam überraschend ein höheres Gebot. So wurde Bentley ein Teil von Rolls-Royce, W. O. Bentley ging zu Lagonda und Aston Martin, und die von ihm gegründete Firma hatte den überraschenden Besitzerwechsel schon einmal geübt.

Denn auch 1998 war der Verkauf, sagen wir, nicht lückenlos von britischer Noblesse durchwirkt.

Man kriegt natürlich den Streit der Kindsköpfe um die Marke nicht aus dem Kopf, das Gezerre von Ferdinand Piëch und Bernd Pischetsrieder um ein britisches Nationalheiligtum, und to make a long story short: Zwar stellte VW das höhere Gebot, als der Mutterkonzern Vickers Rolls-Royce und damit auch Bentley verkaufte, BMW, schon länger Motorenlieferant für beide Marken, nutzte aber seine guten Beziehungen zum Flugmotorenhersteller Rolls-Royce und kaufte alleine die Namensrechte für 40 Millionen Pfund. Sodann leckten alle ihre Wunden, schauten leidend auf die gesunkenen Pegelstände ihrer Geldspeicher, und BMW stellte ein komplett neues Rolls-Royce-Werk auf die Wiese. Es war die Wiese des Earl of Goodwood, da gab es ein wenig Genius Loci gleich mit zum Kaufpreis. VW aber hatte den Namen Bentley und das Werk in Crewe, dazu den Bentley Arnage mit einem 4,4-Liter-V8 von BMW, veredelt mit zwei Turboladern, obendrein den Continental und den offenen Azure.

Man kann sich die Gefühlslage der Briten in jenen Tagen ungefähr vorstellen: Ferdinand Piëch galt ja nicht lückenlos als sympathischer, umgänglicher Kumpel, und die Vergangenheit mit den Deutschen war oft ein bisserl kompliziert.

Da war also Fingerspitzengefühl beim Erneuern der Modellpalette angesagt, und VW ließ es walten: Ein Gentlemen’s Agreement mit BMW erlaubte das weitere Produzieren der bisherigen Bentleys, 2003 erschien der Continental GT als erste Neukonstruktion aus den Händen von VW. Dass er sich die Plattform mit dem VW Phaeton und dem Audi A8 teilte, war insofern gut wegzustecken, als sich das Design in ästhetischer Endgültigkeit drüberspannte. Und der W12 (hier mit Biturbo und anfänglich 568 PS), der ohnedies nicht so recht zu einem Volkswagen passen wollte, hatte endlich sein passendes Habitat gefunden. 2006 kam die Cabrioversion GTC dazu.

Schön und simpel

Das Konstruktionsprinzip des Continental GT/GTC war ziemlich einfach – das Beste, und die Verpackung möge die schönste sein, da musste niemand einen Mangel an Leder, Holz und Chrom bejammern. Beim Modellwechsel 2012 gab es am Design wenig zu ändern, erst die dritte Generation, 2018 inthronisiert, schaute etwas anders in die Welt. Den Blick neu kalibrieren musste aber niemand, auch die allmähliche Ergänzung der Motorenpalette durch vergleichsweise vernünftige V8 ließ sich ganz gut wegstecken, und dass alle Bentleys seither die Bodengruppe mit dem Porsche Panamera teilen, gereicht hier wie dort zur Ehre.

Die Limousinenversion des Continental rollte ab 2005 auf die Straßen. Bentley reanimierte dafür den Namen Flying Spur, der herrschaftliche Fond streckte das Auto auf 5,29 Meter, und dass es teilweise in Dresden erzeugt wurde, musste man der Kundschaft nicht ungefragt dazusagen. Als Flying Spur Speed machten ihn 610 PS zur schnellsten Serienlimousine, die meisten Eigner wiesen allerdings ihre Chauffeure an, 322 km/h als ungenutzte Möglichkeit unter dem rechten Fuß mitreisen zu lassen und sich lieber dem würdevollen Gleiten zu widmen. Die Luftfederung passte hervorragend dazu.

Der Nachfolger verzichtet seit 2013 auf den Namen Continental, als Flying Spur servierte er die gerne genommenen Tugenden eines Modellwechsels: 50 Kilogramm leichter, aber mit bis zu 635 PS nochmals mehr Schmalz zum Abschöpfen. Der V8 kam hinzu, man durfte die 507 PS als durchaus belebend einstufen.

Mit elektrischem Tisch

Seit 2019 ist der aktuelle Flying Spur zu haben, beim Zusammenstellen des frei konfigurierbaren Interieurs hilft gerne ein Designer, um davongaloppierende Kundengeschmäcker wieder einzufangen, und wer noch mehr Luxus wünscht, wählt die Mulliner-Version mit elektrisch ausfahrbaren Tischchen im Fond, beispielsweise. Wer seinen Flying Spur ökologisch verträglicher fahren will, darf seit zwei Jahren den Hybrid wählen, wiewohl ein 2,9-Liter-V6 eventuell am Prestige nagt.  

Der üppigste Bentley der Neuzeit ist seit 2016 der Bentayga. Beim SUV der Marke könnte man auf den Gedanken verfallen, dass Bugattis Aussage mit den schnellsten Lastwagen prophetisch weit in die Zukunft gezielt hat – man muss aber nicht, Stil und Würde, wir wissen schon. So gelten Bentleys heute auch nicht als Vehikel der Selbstdarstellung, sondern als gleitende Refugien des stillen Genießens. Man bedient sie eher mit Finger- und Zehenspitzen, dreht feinnervig an den kühlen, metallischen Bedienelementen innen und rollt abends nicht in eine Tiefgarage, sondern auf gut gekörntem Schotter über die eigene Einfahrt, und das satte Knirschen unter den Reifen erklingt als Soundtrack einer gelungenen Lebensplanung. 2024 will Bentley übrigens die Produktion seines W12 einstellen, auch von batterieelektrischen Modellen wurde schon berichtet. Manche werden dann vom Tod der Marke reden, wir aber tippen auf prachtvolle Auferstehung sofort danach.

Zahlen

Natürlich lassen sich Bentleys am besten sinnlich erfassen, schon die reine Ästhetik lässt alle Fragen nach Zahlen zur kleingeistigen Fußnote gerinnen. Erst im Großen und Ganzen darf sich der Blickwinkel versachlichen, schließlich will VW auch mit einer Luxusmarke Gewinn einfahren – und sie fahren: 2022 war Bentleys erfolgreichstes Jahr, und zwar in allen Parametern. Nie zuvor wurden mehr als 15.174 Bentleys verkauft, der Umsatz stieg um 19 Prozent auf 3,38 Milliarden Euro, 708 Millionen Euro Gewinn (plus 82 Prozent) ergaben eine Umsatzrendite von 20,9 Prozent.

Das erste Halbjahr 2023 schloss beinahe gleich erfolgreich an: 7.096 verkaufte Autos, die Rendite ist auf 23,2 Prozent gestiegen.