Investor und Start-up-Experte Berthold Baurek-Karlic, CEO der Venionaire Capital AG, über Stärken und Schwächen Österreichs, das Genie Dietrich Mateschitz, „ausgesackelte“ Arbeiter und das Positive der aktuellen Krise.
Text: Paul Billisich
assets: Es gibt, je nach Zählweise und Definition, vier bis sechs österreichische Unicorns, also Unternehmen, die nicht älter als zehn Jahre sind und beim Verkauf durch die Gründer mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet wurden. Ist diese Zahl herzeigbar?
Berthold Baurek-Karlic: Nun, man muss fairerweise sagen, dass bei GoStudent die Bewertung nicht mehr dort ist und Bitpanda in die Schweiz abgewandert ist. Wenn man TTTech in die Zählung hinzunimmt, muss man sagen, dass sie älter als zehn Jahre sind. Je nach Definition sind vier bis sechs Unicorns plausibel, man könnte beispielsweise Tricentis auch dazurechnen.
Wie auch immer: Rein prinzipiell ist es so, dass Österreich ein extrem starker Forschungsstandort ist. In Bereichen wie Materialwissenschaften in Leoben oder Biotech am AIT in Niederösterreich bis zur FH Hagenberg sind wir gesegnet. Der Anteil der Spin-offs aus Universitäten an den Start-ups steigt. Laut dem Austria Startup Monitor 2023 sind es schon 24 Prozent.
Sehen Sie unter den aktuellen Start-ups Soonicorns im eigenen oder in anderen Portfolios?
Baurek-Karlic: Als Soonicorn gilt man, wenn man die Bewertung in Höhe einer halben Milliarde überschreitet. Es gibt ein paar, aber auch nicht viele.
Woran liegt das?
Baurek-Karlic: Wir sind ein starker Forschungsstandort, aber ein schwächerer Innovationsstandort. Obwohl auch das besser wird. Es ist Hightech-Potenzial vorhanden. Ich sage immer, Österreich ist der Hidden Champion der europäischen Start-up-Szene.
Tatsächlich?
Baurek-Karlic: Ja. Über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen von kleinen und mittleren Unternehmen. Die sind in ihren Segmenten teilweise sogar Weltmarktführer, zumindest europäischer Marktführer. In manchen Hightechbereichen sind wir exzellent. Woran es mangelt, das sind die späteren Phasen der Finanzierung. Das führt dazu, dass wir oft Firmen viel zu früh verkaufen –sie werden direkt akquiriert oder gehen aufgrund der Investorensituation ins Ausland. Wir verlieren sie zu schnell. Im Wachstumsbereich fehlen institutionelles Kapital, Fonds und die richtigen Rahmenbedingungen der Politik.
Dazu kommen wir noch. Wie sieht es im Portfolio von Venionaire Capital aus?
Baurek-Karlic: Wir haben Firmen, die das Potenzial haben, ganz groß zu werden, wie zum Beispiel Biome Diagnostics. Das ist weltweit das erste Unternehmen, das auf Mikrobiomanalysen basierende Präzisionsdiagnostik medizinisch zugelassen bekommen hat, ein Respondertest für Immuntherapien. Um so etwas aber bei der Ärzteschaft in die tatsächliche Nutzung zu bringen, braucht man Hunderte Millionen Euro. Genau dieses Funding ist aber schwierig, obwohl solche Firmen technisch exzellent sind und viel Potenzial haben. In Japan wären sie vermutlich schon ein Unicorn. Bei uns ist man glücklich, wenn man eine zwei- bis dreistellige Millionenbewertung hat.
Ist das nicht für die Investorenseite doch sehr attraktiv?
Baurek-Karlic: Genau, weil man in gute Unternehmen zu sehr attraktiven Konditionen investieren kann, das ist die Kehrseite.
Wie zeitgemäß ist der Fokus auf Finanzierungsrunden und Bestbewertungen noch?
Baurek-Karlic: Wir fragen einmal im Quartal quer durch Europa, wie so die Stimmung im Markt ist. Wir haben zuletzt gesehen, dass die Bewertungen stark nach unten gegangen sind. Der Markt wird attraktiver gesehen, im Sinne von vernünftigen Bewertungen. Es braucht aber in solchen Marktphasen auch besonders mutige Investoren. Und die fehlen derzeit, obwohl jeder rational wissen müsste, dass man in der Krise am besten investiert. Der Gegenspieler im Kopf ist aber die Angst, dass wir noch nicht den Boden erreicht haben oder dass es nur langsam wieder nach oben geht. Aber wir haben auch gesehen, dass die Bewertungen speziell in Österreich krisenresilienter sind, weil schon vor der Krise eine Kapitalknappheit da war und die Firmen schon früher Umsätze machen, früher auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit achten. Das verhindert dieses schnelle, explosive Wachsen, hat aber den Vorteil, dass man in Krisen nicht so hoch abstürzt.
Gibt es dafür Beispiele?
Baurek-Karlic: Ich hatte kürzlich ein frühphasiges Tiroler Fintech-Unternehmen bei mir, Monkee.rocks. Die machen ihre erste große Wachstumsrunde. Es ist eine Consumer-App, Zielgruppe Frauen, die zuerst sparen, dann Geld ausgeben wollen. Die App wurde bereits mehr als 300.000 Mal downgeloadet – es wurden schon mehr als 100 Millionen Euro gespart, für ein kleines Unternehmen gewaltige Zahlen. Das Start-up kommuniziert das aktuell, weil die Kommunikation wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit jene Investoren anlockt, die gerade jetzt in der Krise auf der Suche nach Rohdiamanten sind.
Welche Auswirkungen hat die Krise noch?
Baurek-Karlic: Im Venturecapital-Bereich geht es derzeit viel mehr um das Kleingedruckte in Verträgen als um Bewertungen. Wir kaufen nicht an der Börse Anteile und machen die Augen zu. Wir wollen vertragliche Absicherungsmechanismen, wenn wir uns beteiligen. Man kann sich als Minderheitsbeteiligter Mehrheitsrechte herausverhandeln. Das Gründerteam bekommt mehr an Vertrauensvorschuss, man nimmt ihm nominell weniger Anteile ab, stellt Mittel zur Verfügung, dass das Start-up gut international wachsen kann. Aber: Für den Fall, dass etwas schiefgeht, habe ich viele Rechte in der Hand. Wirtschaftlich stehe ich dann so da, als ob ich relativ günstig eingestiegen wäre. Man lässt die Chance zu, dass der Gründer selbst zum Multimillionär wird. Wenn es aufgeht, ist es für alle Seiten fair. Wenn nicht, ist der Investor geschützt.
Never waste a good crisis.
Baurek-Karlic: Ich glaube, wir leben in einer neuen Gründerzeit. Man kann das Start-up-/Scale-up-Thema auch als eine privatwirtschaftliche Innovationsinitiative sehen, die dem bestehenden Konzern- und Mittelstands-Ökosystem Zugang zu absoluter Nischenexpertise gibt. In diesen Supernischen sind disruptive Effekte möglich. Das Problem ist aber, dass wir in Europa zu wenig Risikokapital aus KMU und Konzernen heraus sehen. In Japan haben mehr als 240 Konzerne Corporate-Venture-Fonds, die weltweit investieren. Die haben verstanden, dass es Innovation im Unternehmen, in Spin-offs, aber auch außerhalb des Konzerns braucht. Wir waren in Österreich in der Vergangenheit da auch exzellent. FACC etwa ist ja ein Spin-off von Fischer Ski. AT&S war einmal staatlich und ist heute das einzige europäische Halbleiterunternehmen unter den Top Fünf der Welt. Man muss aber auch zugeben, im klassischen industriellen Umfeld oder bei Biotech ist man medial auch nicht so laut.
Wie wirkt sich die Hochzinsphase auf das Ökosystem der Start-ups aus?
Baurek-Karlic: Es gibt mehr Risikoabwägungen, weil man wieder Zinsen bekommt. Hohe Zinsen begünstigen, so verrückt das klingen mag, eigentlich Deep Tech. Die haben krasseres Risiko, aber auch krasseres Ertragspotenzial. Es entstehen auch immer mehr Venture-Debt-Instrumente, also Mezzaninfinanzierungen für umsatzstärkere Wachstumsunternehmen. Hohe Zinsen zwingen den Start-up-Bereich, wirklich starke Innovationen voranzustellen. Das, was nur ein paar Bits and Bytes hat, ein bisschen Programmierung, aber nicht besonders innovativ ist, wird nicht begünstigt.
Wie oft werden Sie für angeschlagene Start-ups zu Hilfe gerufen?
Baurek-Karlic: Viel öfter, als mir lieb ist. Viele Unternehmen sind aus Mangel an Eigenkapital in Förderkredite getrieben worden und jetzt überschuldet. Man sollte Förderungen nur auf Eigenkapital- oder Zuschussebene annehmen. Ein Biotech-Unternehmen, das in klinische Tests geht, darf acht Jahre lang keine Umsätze machen. So einem Unternehmen sollte man keinen Kreditrucksack umhängen. Andere brauchen zuerst eine Masse an Daten, um mit Wachstum beginnen zu können. Deswegen stecken viele in der Krise, die aber per se keine schlechten Unternehmen sind, die mit einem etwas strafferen Management und ohne Schulden in kurzer Zeit restrukturiert werden können. Sehr erfolgreich ist uns das bei der Musiker-App Fretello gelungen. Auch bei CyberTrap sind wir auf gutem Weg.
Sie haben sich mit Kritik an der österreichischen Politik nie zurückgehalten. Das erinnert an den 2022 verstorbenen Dietrich Mateschitz, den Sie als Ihr einziges Vorbild bezeichnet haben.
Baurek-Karlic: Das stimmt, außer ihm habe ich tatsächlich keine Vorbilder. Dietrich Mateschitz aber bewundere ich, der Mann hat es geschafft, mit einem Getränk einen der größten Medienkonzerne der Welt zu schaffen, die gesamte Sportlandschaft zu transformieren. Er war wohl einer der unaufgeregtesten, aber intelligentesten Marketingköpfe der Welt. Er hatte sicher, vor allem am Beginn, einen sehr holprigen Weg zu gehen. Damals gab es kein Risikokapital, schon gar nicht für Zuckerwasser in der Dose. Ich habe den allergrößten Respekt vor Unternehmern, die durchhalten, die durchbeißen, die an ihre Vision glauben. Ich finde es deswegen auch gerechtfertigt, dass er politisch unbequem war.
Die Politik zu rütteln, gehört also dazu zum echten Unternehmertum?
Baurek-Karlic: Wir sollten verstehen, wo die Steuerleistung herkommt. Ich finde das Reichenbashing mancher obszön, während deren eigene Wähler, die kleinen Arbeiter und Angestellten, daneben ausgesackelt werden. Beim Faktor Arbeit wird viel zu stark steuerlich zugegriffen. Das ist für die Unternehmen schlecht, weil sie überzahlen müssen. Das ist für den Mitarbeiter schlecht, der kann sich nie etwas aufbauen. Mateschitz war immer dafür, dass Risikofreudigkeit mehr zählt. Ich vermisse einen offenen Diskurs darüber seit mindestens zehn Jahren.
Was halten Sie von den Diskussionen über die Arbeitszeitverkürzung?
Baurek-Karlic: Wenn wir die Besteuerung, die wir jetzt haben, etwa nur für drei Tage anwenden würden, und man es freistellt, bis zu sechs Tage zu arbeiten, dann wäre ich überzeugt, dass das viele machen, wenn sie den Rest steuerfrei bekämen. Aber Leistung lohnt sich aktuell nicht.
Woraus schließen Sie das?
Baurek-Karlic: Weil sieben Prozent des BIP über Schwarzarbeit entstehen. Viele Menschen holen sich die Anerkennung für ihre Leistung im Pfusch, weil sie sie auf legalem Weg nicht bekommen. Die Anreizwelt sollte sich ändern, für Unternehmer genauso wie für Angestellte. Ich persönlich fühle mich nicht so, als ob ich viel arbeiten würde.
Sind Sie ein Workaholic?
Baurek-Karlic: Ich habe Spaß daran, Unternehmen zu entwickeln, ins Büro zu gehen und mit hochintelligenten Menschen zu arbeiten, ich lese viel zu diesen Themen. Ich mag es, Unternehmen zu helfen, Innovationen in die Welt zu bringen, die diese ein Stück verbessern. Das will ich auch meinen Kindern vermitteln.
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Infos
Venionaire Capital AG
Gegründet 2012, mit einem Hauptquartier in Wien, Innere Stadt, und Tochtergesellschaften in London und Luxemburg sowie Projektbüros in San Francisco, New York, Tokio und Riad, berät das Investmenthaus Venionaire Capital AG in Sachen Venturecapital, Private Equity und Transaktionen vor allem in Technologie- und Innovationsbranchen. Geleitet wird die Firma von Berthold Baurek-Karlic als CEO und Bernhard Fichtenthal als CFO & COO.