assets Magazin: Juan Amador

Was in den Sternen steht

Über die Zukunft kulinarischer Genüsse

Juan Amador macht es möglich: Dank seiner Kochkunst kann man endlich auch in Wien in einem Drei-Sterne-Haus essen. Im Interview spricht der Starkoch mit deutsch-spanischen Eltern über die kulinarische Zukunft.

assets: Mehr als Ihre drei Sterne im Guide Michelin gibt es nicht. Sie sind damit seit Jahren einer der besten Köche der Welt. Kann man bei Speisen auf diesem Niveau noch auf Bio und Regionalität achten?

Juan Amador: Das ist ein Grenzgang. Teilweise schließt es sich schon aus geografischen Gründen aus: Ich war lange auf Sylt tätig. Wenn Hummer und Steinbutt an dir vorbeischwimmen, ist das natürlich großartig. Aber wir sind hier in Österreich. Jetzt kann man zwar über vieles  diskutieren, aber es ist einfach eine Tat­sache, dass ein Meerwasserfisch, wild und mit der Angel gefangen, um Klassen besser schmeckt als eine Forelle, die übrigens auch gezüchtet wurde. Unser Anspruch ist das Geschmackserlebnis. Unsere Langostinos, die Kaisergranaten, kommen aus Südafrika. Warum? Weil wir dort die beste Qualität bekommen. Aber nicht immer. In unserem Spätwinter ist dort Schonzeit. Und das respektieren wir, das ist unsere Art, Nachhaltigkeit zu leben. Ich respektiere auch die Schonzeit für den Zander aus dem Neusiedler See oder dass es Reh im nächsten Jahr erst wieder ab Mai geben wird. Mein Beitrag ist: Ich kaufe nichts aus fragwürdigen Zuchten oder mit Schleppnetz Gefischtes, wir entnehmen der Natur auch nur wenig. Unser Fisch ist geangelt: entweder aus dem Atlantik oder vor der portugiesischen Küste.

Es geht Ihnen also auch ums Tierwohl …

Amador: Ja, aber ich bin in erster Linie Koch und kein Greenpeace-Aktivist. Mir geht es in erster Linie um Qualität. Dass mir Umwelt, Artenschutz und Klima heute nicht komplett egal sein dürfen und auch nicht sind, ist die andere Seite. Vor 20 Jahren hat sich noch kein Koch den Kopf über solche Fragen zerbrochen. Das ist heute anders und ich glaube schon, dass wir auch Verantwortung übernehmen müssen. Aber nicht als Aktivisten oder Klima-Kämpfer. Jeder soll einfach darauf schauen, seinen Teil beizutragen. Ich habe etwa kein Auto. Ich mache Carsharing – aber klar muss ich andererseits auch viel fliegen. Aber der Flieger hebt ja sowieso ab – mit mir oder ohne mich.

Viele Spitzenköche bedauern, dass die industriellen Anforderungen an die Landwirtschaft Produkte kaputt machen. Selbst alltägliches Gemüse wie Karotten bezieht die anspruchsvolle Gastronomie aus besonderen Quellen, weil die Supermarkt­ware kaum mehr schmeckt. Gehen tatsächlich Geschmäcker verloren?

Amador: Absolut. Vielleicht gehen sie nicht verloren, aber sie werden industrialisiert und auf die Masse gezüchtet. Alles wird süßer, Karotten, Paprika, alles. Alle Gerichte, Saucen, Marinaden, alles wird süßer. Und dadurch wird es uniformiert, weil die Industrie ja in Massen verkaufen will. Auf der anderen Seite gibt es auch Individualisten, Bewegungen, die eigene Sachen machen. Letzteres ist gut so.

Ich spreche Ihr spanisches Herz an: Wird es in 20 Jahren noch die sehr spezielle RAF-Tomate geben?

Amador: Absolut ja. Weil Spanier ein ganz anderes Qualitätsbewusstsein haben. Für einen Spanier war eine Zwiebel oder eine Tomate lange ein Luxusprodukt, da­raus entstand schon fast eine Religion. Ein Beispiel: Wer hierzulande als Gast Appetit auf Tomatensalat hat, bestellt sich eben einen. In Spanien wird der Wirt zuerst gefragt: Welche Tomaten hast du da? Was ist das für eine Zwiebel? Das ist eine ganz andere Herangehensweise, auf diese vermeintlich einfachen Zutaten wird viel mehr Wert gelegt. Auch der Fisch muss speziell sein. Da rede ich gar nicht vom edlen Steinbutt. Sondern von Sardinen, Gambas, Chipirón – das sind Heiligtümer. Da wird gefragt: Sind es die weißen Gambas aus Jaen oder die roten von woanders? Wenn ich zu Weihnachten meine Familie in Spanien besuche, ist auch mein Onkel dabei. Der weiß ganz genau, wo die besten Gambas herkommen, wo es die besten ­Tomaten gibt.

„Wenn ich Schauspieler wäre, möchte ich auch den verdammten Oscar haben.“

Juan Amador –
über Sterne-Kritiker

Deswegen können die Spanier so gut kochen? Man braucht ja nur die Sternen­dichte etwa in Katalonien ansehen …

Amador: Die Avantgarde in Spanien ist nur deshalb entstanden, weil es in Spanien keine traditionelle große Küche gab. Deshalb hat sich die französische und itali­­enische Küche so schwergetan, da gibt es die Cucina Italiana und die Grande Cuisine, davon auszubrechen, ist schwierig. Aber wenn es keine Tradition gibt in der Küche, keine Religion, kann man tun und lassen, was man möchte. Aus dieser Freiheit he­raus konnte sich die spanische Küchen-Avantgarde hervorragend entwickeln. Die Produkte waren ja immer da. Aber man kann nicht von einer spanischen Küche von vor 100 Jahren reden.

Das war Tortilla, Paella …

Amador: Ja, Tapas eben, alltägliche Gerichte. Bei uns zu Hause gab es Bratkar­toffeln mit Spiegelei, auch wegen meines deutschen Vaters. Ich will das gar nicht schlechtreden: Wenn das gut zubereitet ist, schmeckt auch so ein einfaches Gericht ganz hervorragend.

Wohin entwickelt sich die Küche? Wir haben die Nouvelle Cuisine erlebt, die Molekularküche, die skandinavische Puristik … Ist der neue Trend Handwerk und französische Küche?

Amador: Ich glaube schon. Wobei man aufpassen muss, wenn man Molekular­küche und Chemie verteufelt: Auch beim Braten eines Spiegeleis passiert ein molekularer Prozess, da gibt es chemische Reaktionen. Wir reden nicht von künst­lichen Aromen, aber von Texturgebern, die die Küche auch bereichert haben. Aber ich glaube, dass wir wieder zurückgehen – zu etwas fast schon Neoklassischem. Mittlerweile ist es mehr als 20 Jahre her, seit die Molekularküche die Gastronomie veränderte. Viele kennen die klassischen Gerichte gar nicht mehr, für die ist das neu. Für meine Generation ist es eine Wiederkehr – aber für einen Foodie, der heute 30 ist, ist es ein neues Erlebnis, was die klassische französische Küche bieten kann. Der war noch im Kindergarten, als solche Gerichte zuletzt eine Hochblüte erlebten. Wenn ich heute einem 25-Jährigen ein klassisches Gericht koche, ist der über meine Innovationskraft begeistert. Ich finde es gut, dass wir in eine neue Dekade reinrutschen, in der wir auch wieder alte Dinge auspacken. Das sehen wir auch im Möbeldesign, in der Architektur, in der Kunst und Kultur. Auch in der Musik: Es ist auch schön, wieder alte Sachen zu hören, die Helden von einst gehen wieder auf Tour und füllen die Stadien. Alles muss nebeneinander bestehen können, und das soll es auch.

Wie wichtig sind die drei Sterne für Sie?

Amador: Diese Diskussion über die Notwendigkeit von Sternen und Hauben ist eine Ausrede für jemanden, der es nicht kann oder Panik hat. Dann soll er es auch lassen. Aber wenn ich Schauspieler wäre, möchte ich auch den verdammten Oscar haben. Punkt. Auch wenn ich mich über Reglements und Nominierungen ärgere, mit einem Oscar steigen die Gagen, dann kommen die tollen Angebote. Bei drei Sternen ist das genau das Gleiche. Vor allem bei drei Sternen. Ich wollte hier mit dem Restaurant in Wien auch keine Sterne haben, wir hatten ein Doppelkonzept mit einem Wirtshaus. Aber es hat mir keinen Spaß gemacht. Dann kam der dritte Stern, und der Druck ist von mir abgefallen. Es ist eine Herausforderung, die Bestätigung unserer täglichen Arbeit, jeder einzelne Tag ist ein Endspiel. Es gibt keine Quali-Runde oder ein Viertelfinale, es ist immer ein Endspiel. Das ist auch etwas Schönes.

Wie wichtig ist es, dass man die Emotionen und Wege hinter einer großen Küchenkultur kennt, um diese auch zu verstehen?

Amador: Als Koch ist es ganz wichtig. Das lässt uns auch schön auf dem Boden bleiben. Deshalb ist man auch nie zufrieden. Wenn man anfängt, zufrieden zu werden, fängt man an, nachzulassen. Weil einem Dinge egal werden. Ich habe eine gesunde Unzufriedenheit, ich denke ständig nach, was man besser machen könnte.

Selbst bei Ihrem Signature-Dish, dem legendären Purple Curry, weswegen sogar Gäste aus Südkorea nach Wien fliegen?

Amador: Da trau ich mich nicht ran. Das lassen wir so, da fummeln wir nicht dran rum.

Junge Menschen propagieren Veganismus, trinken weniger, sehen Ernährung unter gesundheitlichen Aspekten. Kommen wir in eine genussfeindliche Ära?

Amador: Genussfeindlich würde ich nicht sagen. Ich glaube, die Jungen gehen einfach bewusster mit ihrer Gesundheit um. Vor Jahren ging es nur ums Flatrate-Saufen und all you can eat und Quantität. Da finde ich ein neues Gesundheitsbewusstsein schon sehr positiv. Zumal es nicht nur Alkohol betrifft. Die gezuckerten Limonaden stehen viel schärfer in der Kritik. Weil es am Ende wenig Unterschied macht, ob man seine Leber ruiniert oder zuckerkrank wird. Wenn man diesen Gedanken konsequent zu Ende führt, erkennt man: Es geht um die Grenze zwischen Genuss und Sucht. Genuss ist hin und wieder mal ein schöner Wein oder eine Zigarre – das ist für mich positiv besetzt. Aber wenn man das ständig konsumiert, vielleicht sogar, um etwas anderes zu kompensieren, dann wird es schwierig und gefährlich.

Glauben Sie, dass sich Fleischersatz durchsetzen wird?

Amador: Das ist Bullshit. Ich habe ein paar dieser sogenannten Alternativen probiert, die funktionieren erschreckend gut. Fleischersatz ist per se nichts Schlechtes. Aber was in diesen Ersatzprodukten alles drinnen ist, damit sie zu Laibchen geformt zusammenhalten und tatsächlich nach Fleisch schmecken! Das sind Chemiebomben! Ich glaube, dass ein ordentliches Stück Fleisch – natürlich nicht mit einem Berg Pommes und Ketchup, sondern mit Gemüse und Salat – nicht ungesünder ist als dieses Ersatzzeug.

Andere prophezeien dem Verzehr von Insekten eine große Zukunft?

Ich bin regelmäßig in Asien, daher kenne ich gekochte oder frittierte Insekten. Aber das ist nicht mein Kulturkreis. Ich finde das Nonsens, ich glaube nicht, dass sich bei uns durchsetzt, im Gasthaus Insekten übers Gulasch zu streuen. Wer fleischlos leben oder weniger Fleisch essen will, findet eine Vielzahl großartiger Alternativen. Es gibt hervorragende Gemüse. Oder Tofu, das ist ein Naturerzeugnis.    ←

Foto-Copyright Inge Prader