assets Magazin: Aston Martin DB11
Eine Skulptur von Karosserie und der Motor passt dazu: Aston Martin DB11

Auf leisen Töpfen

Dies ist nicht unbedingt ein Nachruf, aber wir sind knapp dran. Sprechen wir es also gelassen aus: Der Zwölfzylinder, das Versprechen absolut seidigen Motorlaufs und üppiger Polsterung eines sorgenfreien Lebens, stirbt aus. Zwar traf man ihn immer nur in gut beleumundeten Gegenden oder Garagen, aber wo Klimaneutralität als Motto drübersteht, kann drunter schwerlich ein Zwölfzylinder parken.

Das war der Blick aufs Detail.

Global gesehen ist das CO2 aus den paar V12, die jährlich auf unsere Straßen rollen, so vernachlässigbar wie der Genuss einer Mozartkugel nach dem Bezwingen eines Triathlons. Wir dürfen also bedenkenlos zur Ästhetik dieser Aggregate schwenken, zu elegantest aufgehobenen Massenkräften erster und zweiter Ordnung, ins Geschmeidige transzendierten Zündfolgen, zum würdevoll choreografierten Steppen der vielen Kolben und Ventile.

Dass wir hier auf den V12 fokussieren, ist stimmig, es geht ja um Autos. Zwar gab es in den 1920er-Jahren auch Reihenzwölfzylinder, aber diese Motoren zogen mit ihrer Länge das Design jedes Autos ins Unharmonische. Und wenn der harmonisch laufende Motor die Ästhetik des Karosseriedesigns torpediert, ist etwas schiefgegangen.

Überhaupt war der V12 mit seinen zweimal sechs Zylindern, deren Pleuel einander an der gemeinsamen Kurbelwelle treffen, früher im Auto als sein Reihenpendant. 1913 brannte er in einem Rennwagen etliche Rekorde auf die Rennstrecke in Brooklands, 1915 gab es ihn im Packard Twin Six, es gab im selben Jahr einen V12 von National und 1917 den Weideley Pathfinder.

Dass Franklin D. Roosevelt 1935 Josef Stalin einen Packard Twelve zum Geschenk machte, darf als früher Vorbote vieler ostwärts verkaufter Zwölfzylinder gelten, wie es heute so der Fall ist: Die meisten Zwölfzylinder saugt der asiatische Markt ab.

Ein V12 gilt bis heute als Obergrenze des sinnvoll Machbaren bei den Pkw-Antrieben. Freilich gab’s auch Sechzehnzylinder (bei Bugatti gibt’s noch immer einen) oder noch üppigere Arrangements, aber da galoppierte der Aufwand irgendwann dem Ergebnis davon.

Man könnte natürlich jetzt einwerfen, dass auch der V12 schon too much wäre. Immerhin, werden die Physiker unter uns feststellen, hebt der Reihensechszylinder die Kräfte erster und zweiter Ordnung genauso souverän auf. Er zündet halt bloß pro Kurbelwellenumdrehung nur halb so oft, was aber immer noch genügt für den guten Ton der Oberklasse. Sagen wir so: Der Reihensechszylinder ist sehnig und durchtrainiert. Der V12 ist ein bisserl wie eine Cremeschnitte, bei der es seitlich rausquillt. Man kann das sehr mögen.

Die Freude an einem Zwölfzylinder lässt sich mit allerlei würdevollem Gerät aus der Klassikabteilung zelebrieren, auch ein paar jüngere Gebrauchte können dienen. Noch vor wenigen Jahren gab es Zwölfzylinder von BMW (M760Li, der zwar noch gebaut wird, aber nicht mehr für Europa), von Mercedes (G 63 AMG, ein besonders wuchtiger Ziegel, vor allem als G 65 AMG mit Biturbo-V12), natürlich waren auch die S-Klasse und der Maybach als V12 zu haben. Bentley Continental GT und GT Speed sind zwar prinzipiell noch am Leben, werden aber nicht mehr nach Österreich importiert – bei uns ist Bentley mittlerweile streng achtzylindrig, erster Schritt zu einer Marke am Strom. Selbst der Toyota Century, der in Asien die Staatsoberhäupter transportiert, muss in seiner neuesten Generation mit einem vergleichsweise ärmlichen V8 auskommen. Der ist, wenn wir kurz zur rhetorischen Polemik greifen wollen, auf die Hilfe eines Elektromotors angewiesen. Bei manchen Marken aber lässt man den skulpturalen Zwölfzylinder nach wie vor von der Leine. So kombiniert der Aston Martin DB11 die blanke Schönheit seiner Karosserieskulptur mit der inneren Schönheit seines 5,2-Liter-Biturbo-V12. Mit 639 PS und 700 Nm gereicht er jenen zur Freude, für die täglich Sonntag ist, und sie werden kaum die Silent-Start-Funktion benötigen, weil sie eher keine Nachbarn in Hörweite haben. Stil ist, einen Chauffeur zu bezahlen, ihm dann aber freizugeben, weil man ohnedies selbst fahren (und garantiert nicht im Fond zusteigen) mag. Auch der Aston Martin DBS pflegt noch einen Zwölfzylinder.

Damit der 812 den stärksten V12 aller Serien-Ferraris bekommen möge, wurde kurzerhand der Hubraum von 6,2 auf 6,5 Liter vergrößert, und damit das Kunstwerk unter der Haube besser zur Geltung kommt, ist es teilweise rot lackiert. Auf eine Kunststoffabdeckung wurde gepfiffen, besten Dank dafür. Dank 800 PS und 712 Nm darf man sich den Sprint auf 100 km/h in 2,9 Sekunden vorstellen, wenn man sich bei solchen Beschleunigungen überhaupt noch was vorstellen kann, und all das geschieht mit einem Saugmotor. Wem die knapp mehr als 400.000 Euro für den 812 GTS zu günstig vorkommen, kann den gleichen V12 im Monza SP2 erwerben, dafür mehr als eine Million Euro bezahlen und zehn PS mehr mit nach Hause nehmen.

Die höchste Dichte an Zwölfzylindern pflegt standesgemäß Rolls-Royce. So knirschen Dawn, Wraith, Ghost und Phantom mit seidigstem Lauf über den Kies derer, die sich eine weitläufige Ein- und Auffahrt zu ihrem Domizil gönnen. Der Ghost (ab etwas mehr als 380.000 Euro) ist das, was man bei Rolls-Royce unter einem Einstiegsmodell versteht, beim Phantom wird man vom V12 noch weniger als nichts mitkriegen, es ist wegen der 130 Kilogramm Dämmmaterial im Auto. Neben der analogen Uhr ist ausreichend Platz für ein Ölgemälde der Lieben vorgesehen – Acryl verbietet sich natürlich von selbst, aus stilistischen Gründen.

assets Magazin: Rolls-Royce Dawn
Eine der zwölfzylindrigen Möglichkeiten, kein Dach über dem Kopf zu haben: Rolls-Royce Dawn

Zwar pflegt Lamborghini noch immer die ebenfalls bedrohte Kunstform des Zehnzylinders, gönnt dem Huracán aber den 6,5-Liter-Zwölfzylinder mit 740 oder 770 PS. Dass er im Lamborghini Sián auf 819 PS hochgezwirbelt wurde, ist mittlerweile völlig belanglos, denn er ist ausverkauft. Am Gebrauchtmarkt ist nicht mit Preisverfall zu rechnen, eher im Gegenteil.

Wer jetzt ahnt, dass im eigenen Leben ein Zwölfzylinder fehlt, möge sich auf ein Leben in Würde, aber mit hohem Aufwand einstellen. Zwölfzylinder sind das hochkomplexe Opus magnum des Motorenbaus, und selten ist ein Motorraum ausreichend groß, um drumherum Luft zu lassen für grobstollige Mechanikerhände samt Werkzeug. Ein V12 verlangt trotz seiner Größe nach den geschmeidigen Händen der Uhrmacher, nach Werkzeug von der Durchsetzungskraft eines Schlagbohrers, aber der Grazie einer vergoldeten Pinzette.

Wir erwähnen dies nicht, weil wir unsere Leserinnen und Leser unter jenen Menschen wähnen, die ihr Auto aus Kostengründen selbst reparieren. Aber es wird ein paar Beneidenswerte geben, die als Ausgleich für die Mühen des Tages in Bilanzen und Meetings am Abend geruhsam in ihrer Garage schrauben und dabei das House of Pain auf FM4 hören möchten.

Man erkennt also: Der Kauf eines Zwölfzylinders kann das Leben sehr bereichern, durchaus auch auf lange Sicht.

Michael Gross, Oldtimer-Sachverständiger und seit Jahrzehnten mit hochkarätigen Autos beschäftigt: „Aussterbende Klassiker sind immer interessant und ein gutes Investment, besonders in der Oberklasse, wo die Stückzahlen sehr gering sind. Noch besser investiert man das Geld in Serien, die der Hersteller limitiert, die sind auf jeden Fall ein guter Tipp. Abgesehen vom Fahrspaß, den alle Zwölfzylinder bieten. Die einzige Einschränkung: Wenn Fahrverbote für Verbrennungsmotoren kommen, dann kann man auch die schönsten Zwölfzylinder nur mehr auf privaten Strecken fahren. Oder ihn ins Wohnzimmer stellen.“

Wer einen besonders raren Zwölfzylinder sucht, könnte ja versuchen, dem japanischen Kaiserhaus einen der vier seit 2006 gebauten Toyota Century Royal abzukaufen. Etwas Geduld wird nötig sein, denn die Vorgängerlimousinen waren 30 Jahre lang im Dienst und die Materialauswahl des Century Royal klingt nach ewigem Leben. So sind die Trittbretter beispielsweise aus Granit, während der Dachhimmel aus Reispapier gefertigt ist. Klingt nach tief liegendem Schwerpunkt, um die Geschichte mit einem völlig unwichtigen Hinweis zu beenden.