assets Magazin: 50 Jahre Range Rover

50 Jahre Range Rover

Hoch- & wohlgeboren

Wenn eine Geschichte davon handelt, dass Großbritannien noch eine dahinblühende Autoindustrie hatte, die zudem auch neue Trends zünden konnte, dann ahnt man: Wir tauchen jetzt tief in die Vergangenheit. Die Zukunft war in den 60ern noch nicht ganz hinweg­gestreikt, und ein paar Automanager dachten tatsächlich an Autos, statt den Kollegen in der eigenen Firma am Bein
jenes Sessels zu sägen, dessen Sitzfläche sie davor mit Reißnägeln bestreut hatten.

So war Rover noch nicht mausetot, ganz im Gegenteil. Die Marke hatte bis in die 60er hinein am Turbinenantrieb geforscht, damit ein paar hübsche Rekorde auf eine belgische Autobahn gemalt, dann aber doch eingesehen: Hemmungsloser Verbrauch, höllischer Lärm, unterirdische Zuverlässigkeit und im Abgasstrom der Turbine geröstete Passanten waren ein zu hoher Preis für Mobilität. Sogar damals.

Auch ohne Turbine wurde der Rover P6 (remember: Reserverad am Kofferraumdeckel, wenn vom Ladevolumen Nennenswertes übrig bleiben sollte) zum Erfolg, danach kam der Range Rover. Dabei hätte es ihn eigentlich gar nicht geben dürfen.

Denn Rovers erster Versuch, die Lücke zwischen Land Rover und den feinen Limousinen mit einem Auto zu füllen, war unschön. Der Road Rover glich einem aufgedunsenen Trabant Kombi, gegen die ästhetischen Defizite schien jede technische Brillanz ziemlich matt, das Projekt wurde in Stille beiseitegeschoben.

So einfach aber wollten Spencer King und Gordon Bashford, gerade unausgelastete Konstrukteure bei Rover, nicht aufgeben. Ohne Auftrag, aber mit viel Gespür für eine neue Zukunft konstruierten sie nochmals drauflos, tüftelten heimlich am reisetauglichen Geländewagen, und als die Firmenbosse Marketingmann Graham Bannock einen sehr ähnlichen Auftrag erteilten, sagten King und Bashford sinngemäß: Nix da, wir sind ja schon fast fertig.

Das kam dann doch nicht ungelegen, so konnte der Range Rover als Auto ohne Entwicklungskosten in Rovers Annalen einparken, und weil die Designabteilung grad überlastet war, warf Spen King sogar die Linien des neuen Autos aufs Papier.

Auch der Motor war schon im Haus, der wunderbare, kompakte Alu-V8 zu 3,5 Litern Hubraum. Rover-Chef William Martin-Hurst war damit Anfang der 60er aus den USA zurückgekommen – Buick hatte das Aggregat konstruiert, war erschrocken vor der eigenen Extravaganz dann aber doch wieder zu Stahl zurückgekehrt. Martin-Hurst kaufte die Rechte und die Produktionsanlage, der Motor sollte Rovers Zukunft rund 30 Jahre befeuern und im Nebenjob etliche Kleinserienhersteller in Schwung bringen.

assets Magazin: Range Rover SV Autobiography Dynamic Stealth
Wenn der normale Range Rover zu normal ist, empfiehlt sich der SV Autobiography Dynamic Stealth. Sehr schwarz, sehr schnell, sehr luxuriös.

Neues zum Anfang

Als der Range Rover am 17. Juni 1970 ­präsentiert wurde, stand er zwar noch immer auf einem Leiterrahmen, seine Starr­achsen aber bekamen Schrauben­federn ­untergejubelt, ein zweistufiges Verteiler­getriebe erlaubte geländetaugliche Kriechgänge, der Allradantrieb musste nie zugeschaltet werden, das machte er über ein Zentraldifferenzial selbst.

Exakt 50 Jahre sind seither ins Land gezogen, und in alle anderen Länder auch. Was damals als stadtfeiner und autobahnfester Geländewagen eine neue Welt versprach, verstopft selbige heute als SUV. Dass der Range Rover derlei nicht gewollt hat, glaubt man ihm gerne, wenn er sich mit seinen 4,45 Metern zwischen modernen Kompakt-SUV versteckt: Was einst eine mächtige Karosserie absteckte, wirkt heute in schmalspuriger Hochbeinigkeit grazil. Wir treten also voller Sympathie näher und schieben auch gnädig die Frage beiseite, ob der Range Rover das SUV-Segment wirklich erfunden hat. Immerhin war der Jeep Wagoneer mit seinen Holz­imitatsflanken schon 1963 auf der Welt. Sagen wir so: Der Range Rover hat den Trend zum SUV in Europa ordentlich befeuert, wir wollen ihn jetzt in kein kleinliches Ranking werfen. Lieber einen halben Höhenmeter hinaufklettern und losfahren.

Wunderbar, wie lange der dürre Schalthebel heute zwischen den Gängen geführt werden will, wie er knorrig einrastet am Ende seiner langen Wege. Da bleibt Zeit, um beiläufig auf den Teppich zu schauen, wie er den Mitteltunnel bekleidet – bist du deppert, denken wir uns dann heute aus der Distanz eines halben Jahrhunderts, weil über einen braunen Teppich, der ausschaut wie Teddybärfell, traut sich heute niemand mehr drüber abseits der Persiflage.

Es muss damals noch mehr reiche Leute mit Gartenschläuchen gegeben haben. Auch sie waren Zielpublikum des Range Rover, so sollte das Interieur abwaschbar bleiben und niemand sollte sich mit Putzküberl und Schwamm plagen: Abseits des Mitteltunnels war der Range Rover mit Gummimatten ausgeschlagen, die Türverkleidungen, die Seitenflächen und Rückseiten der Sitze waren mit Kunstleder verkleidet, da konnte der gatschige Gummistiefel nicht viel anrichten.

Heute würden die Sitze auch zu statischen Wohnzimmern widerspruchsfrei passen, man ergreift bequem gebettet ein Lenkrad von der feinnervigen Grazie edler Füllfedern, findet dahinter zwei drollige Instrumente, die über Geschwindigkeit, Wassertemperatur und Pegelstand im Tank informieren. Per Zeiger natürlich, das trug man damals so. Etwas später entdeckt man weiter unten noch vier Instrumente, das reichte 1970, um die Vitalfunktionen eines Oberklasseautos zu überwachen.

Das Fahrgefühl ist natürlich ein wenig hochbeinig, der V8, durch geringere Verdichtung auf 132 PS gedrosselt, schiebt ordentliches Drehmoment ins Getriebe, die Schraubenfedern stemmen sich versöhnlich gegen Unebenheiten. Sie waren bei der Entwicklung des Autos nur schwer durchzusetzen: Tom Barton, Land Rovers Technik-Chef von 1948 bis 1980, wollte keinen komfortablen Geländewagen. Wird der Fahrer nämlich im Gelände durchgerüttelt, so seine ruppige Logik, dann fährt er langsamer und damit materialschonender.

Dabei war der Range Rover mit seinen 160 km/h Höchstgeschwindigkeit damals einer der Schnellen. So gleitet man heute noch immer erhaben durch den träge dümpelnden Verkehrsstrom, sitzt mehr auf dem Auto als in ihm und ist bisweilen versucht, den Range Rover mit einem erschossenen Wildschwein im Kofferraum zum Gesamtkunstwerk zu adeln.

Wer das Noble der frühen Modelle nicht fühlt, nur weil es etwas karg auftritt, möge in einen Land Rover aus den 60ern steigen, das Fahrgefühl eines Lastwagens verkosten, ein wenig darüber rätseln, ob das Fahrwerk aus Gusseisen wäre (Reifen inklusive), und nie wieder am flauschigen Komfort des ersten Range Rover zweifeln.

Doch nur zwei Türen

Dass die hinteren Alukotflügel teilweise mit sichtbaren Nieten befestigt sind, lässt man ihm als frühe Schrulle durchgehen. Dass er anfangs nur zwei Türen hatte, war schon schwieriger wegzustecken. Vor allem, wenn man hinten zusteigen sollte und nicht mehr so geschmeidig war wie John Cleese beim Silly Walk. Auch Rovers Finanzen waren in den 70ern klamm, so wurde die Entwicklung des Viertürers jahrelang kostenschonend aufgeschoben. Und dann ausgelagert: 167 viertürige Range Rover wurden bei Monteverdi im Auftrag erzeugt, dann kopierte Land ­Rover einfach das Konzept. Nach elfjähriger Schrecksekunde gab es den Range Rover ab 1981 viertürig, endlich.

1971 wurde der Range Rover als erstes Auto im Louvre ausgestellt, erst vier Jahre später bekam die Königsfamilie ihr erstes Exemplar. Prinz Philip sollte dem Typ treu bleiben, bis er vor zwei Jahren im Zuge eines Überschlags feststellen musste, dass man mit 97 Jahren das Autofahren im Dienste der Schonung von Leib, Leben und Material besser bleiben lässt.

Auch der Range Rover selbst blieb sich treu, er haselte 1985 ein lediglich dezentes Facelift ab, ließ seinen zum Denkmal gereiften V8 auf bis zu 4,2 Liter und 200 PS erstarken, gönnte sich und seinen geschmackssicheren Fahrerinnen und Fahrern erst 1982 eine Automatik, und allmählich bestand auch das Interieur aus Holz und Leder. Der Gartenschlauch war da offensichtlich schon durch dienstbares Personal ersetzt.

Der Range Rover Classic, wie er im hohen Alter hieß, war nur einmal in Gefahr, nicht mehr ernst genommen zu werden: 1986 bekam er einen Dieselmotor aufgebrummt, und der war vierzylindrig. Genauso gut hätte Rover ein Hamsterrad unter die Haube schrauben und ein Nagetier hineinsetzen können, sagten die, die weiterhin acht Zylinder als würdig erachteten und gerührt bemerkten, dass auch Verbräuche deutlich unter 20 Litern möglich waren, seit eine Einspritzung die beiden Vergaser ersetzt hatte.

Drei Serien danach

Falls Sie bislang ein paar Worte zur Qualität vermissen: Noch 1982 wunderte sich die Autorevue über ihren Range Rover, dem nach 5.000 Kilometern noch keine einzige Schraube abgefallen war.

Am 8. Februar 1996 lief der letzte Range Rover Classic vom Band, die erste Serie ist längst bei den Liebhabern angelangt.

In den Neuzustand restaurierte Exem­plare kosten bei Jaguar Land Rover Classic rund 150.000 Pfund. Kein Lercherl, wie die Briten nie sagen würden. Der Privatmarkt ist gnädiger, aber die Zeit der günstigen Ersthand-Exemplare ist vorbei – wer einen erschwinglichen Range Rover sucht, wird beim Nachfolger landen, der von 1994 bis 2002 gebaut wurde und noch immer der Entdeckung durch die Fans harrt.

Aktuell steht die vierte Generation in den Schauräumen, mit selbsttragender Alu-Karosserie und bis zu 565 PS. Konkurrenz ist kaum am Automarkt auszumachen, sie erwächst ihm eher in Gestalt von Jachten oder einem Landsitz in der Provence. Konstrukteur Spencer King war ja schon 2004 ein wenig skeptisch über den Lauf der Geschichte: „The Range Rover was never intended as a status symbol, but later incarnations of my design seemed to be intended for that purpose.“

Immerhin traut sich jetzt kein Gartenschlauch mehr ins Auto.   ←

Foto-Copyright: Hersteller Craig Pusey, Hersteller Oli Tennent