assets Magazin: Harold Burstein

Stern des Südens

Weihnachten. Kekse und Süßgebäck. Vielleicht auch Skihütte und Winterurlaub. Die Marke Stroh löst in ihrer österreichischen Heimat sehr lebendige Assoziationen aus. Bilder aus der Kindheit tauchen auf, vielleicht noch Erinnerungen an gesellige Runden in verschneiten Berglandschaften. „Stroh 80 ist eine wahnsinnig starke Marke“, sagt Harold Burstein, Eigentümer des Kärntner Spirituosenerzeugers. Und schickt nach: „Das ist gleichzeitig Fluch und Segen.“ Einerseits ist das Label – „ein Positionierungsjuwel“ – so fest in der österreichischen Identität verhaftet wie Wiener Schnitzel und Sachertorte: „Ich habe das selbst beobachtet: Konsumenten haben nicht Rum oder Inländer Rum auf ihrem Einkaufszettel stehen, sondern Stroh. Das zeigt das Vertrauen in unsere Marke.“ Andererseits machen diese gewaltige Präsenz und das zementierte Image jede Weiterentwicklung schwer. Versuche wie Stroh Fire, eine Likörkomposition mit Chili-Infusion, kamen nicht an den Erfolg vom Original und Jagertee heran. Deshalb lässt sich Burstein auch mit der Idee einer lange im Fass gereiften und streng limitierten Luxusedition des Rums noch Zeit. Und setzt auf „Stroh Original“ mit 40, 60 oder 80 Volumsprozent Alkohol. Und natürlich Jagertee, den winterlichen Bestseller in Westösterreich und Deutschland. 

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Der Prophet im eigenen Land

Eine Ambivalenz, die sich wie ein roter Faden durch Bursteins Erzählungen zieht. So ist etwa der Schmerz hörbar, wenn er sagt: „Unsere Imagestudien zeigen: Stroh Rum ist im Ausland viel jünger, viel positiver, viel zeitgeistiger besetzt als in Österreich. Der Stellenwert von Inländer Rum war hierzulande im Küchenkastl immer viel höher als in der Gastronomie. Dort liebte man zwar das Aroma, aber man hätte ihn am liebsten in eine andere Flasche umgefüllt.“ Angeblich haben selbst ikonische Cocktail-Könige der Szene-Gastronomie ihren Lehrlingen eingeschärft: „Einen Stroh sollst du als Zutat verwenden, aber nicht herzeigen!“ 

Andererseits, so Burstein, sei man gar nicht unglücklich, eher als Zutat denn als Drink zu gelten. „In manchen Ländern werden Alkoholgesetze restriktiver. Aber das macht uns keine Probleme. Weil mit Stroh betrinkt man sich nicht.“ Dabei könnte man durchaus auf den Geschmack kommen. Der legendäre Tropfen aus dem Kärntner Traditionsbetrieb wird bei internatio­nalen Verkostungen und Festivals regel­mäßig mit höchsten Auszeichnungen prämiert. „Eine Fachjurorin in den USA meinte sogar, unser Stroh 80 sei der beste Overproof-Rum, den sie jemals gekostet hat.“ (Als „Overproof“ wird ein Rum bezeichnet, wenn er mehr als 57,15 Volumsprozent Alkohol enthält.) Warum spricht sich diese Qualität nicht bei den heimischen Barflies herum? Burstein seufzt: „Der Prophet hat im eigenen Land nicht immer den besten Ruf.“ 

Und holt dann doch weit aus, um eine ­Erklärung zu ­finden.

Gehen wir also zu den Anfängen zurück, ins 19. Jahrhundert, zu Sebastian Stroh, einem im deutschen Baden-Baden geborenen und ausgebildeten Glaser und Tischler, der schließlich in die Steiermark emigrierte und beim Grazer Likörfabrikanten Anton Hack die Geheimnisse der Destillation erlernte. 

1831 übersiedelte er mit seinem Wissen ins Kärntner Lavanttal, ein Jahr später gründete er einen Betrieb zur gewerbsmäßigen Herstellung von Likören und Edelbränden. Eine schlaue Idee: Zu der Zeit florierte das Geschäft mit Hochprozentigem in der k. u. k. Monarchie – ­außer in Kärnten. Dort betrat Stroh mit seinem Gewerbe Neuland – und durfte erst Jahre später nach Kla­genfurt übersiedeln, als die Kärntner Sanitätsbehörde und die medizinische ­Fakultät der Universität Wien die Rezepturen des jungen Unternehmens positiv bewerteten. Schließlich galt Rum zur damaligen Zeit als Heilmittel. Die Besatzung der Marine hatte sogar einen verbrieften Anspruch auf eine großzügige Ration, übrigens ein Privileg, das sich in der britischen Flotte bis 1970 hielt. Was für das Empire zumindest kein logistisches Problem war. Das kaiserlich regierte Österreich hingegen hatte zwar allerhand zu bieten, Kolonien mit Zuckerrohranbau waren aber nicht darunter. Also griff Sebastian Stroh zur reichlich verfügbaren Zuckerrübe, vergor und destillierte daraus gewonnene Me­lasse und veredelte sie mit sogenannten Bonificateurs – eine bis heute streng geheime Mischung aus Aromen und Essenzen. Der Inländer Rum war geboren. Und ist bis heute fast gleich geblieben. Nur statt Zuckerrübe verwendet Burstein aus Geschmacksgründen Zuckerrohr. 

Dass sich unter den vielen Schnapserzeugern in der Monarchie ausgerechnet Stroh bis heute hielt, hat nicht nur mit seinem überaus wohlschmeckenden Destillat zu tun, sondern auch mit seiner Witwe Maria. Sie führte den Betrieb weiter, erwirkte Markenschutz für ihre Produkte, verehelichte ihre Tochter Adelheid mit dem Mitarbeiter Alois Maurer – und schon war die Monarchie um ein durchaus ansehnliches Familienunternehmen mit dynastischem Anspruch reicher. 1900 wurde Stroh auf der Weltausstellung in Paris mit der großen Goldmedaille ausgezeichnet, 1926 wurden vom gigantischen, 100 Brände umfassenden Marken-Portefeuille 1,2 Millionen Flaschen verkauft. 

Krise auf dem Höhepunkt

1969 übernahm dann Hanno Maurer-Stroh, Ururenkel Sebastians und gleichzeitig der Letzte aus der Gründerdynastie, der das Unternehmen leitete. Er führte den Flachmann als Flaschenform ein, inter­nationalisierte, erweiterte und eroberte den Osten. 1994 wurden zehn Millionen ­Flaschen verkauft, Stroh Rum war in Deutschland das bekannteste Produkt mit rot-weiß-rotem Ursprung. „Zu dieser Zeit hatte man aber keine sehr glückliche Hand für Markenführung“, wirft Harold Burstein kritisch ein. Denn, was die Kärntner völlig verschlafen haben: In den Neunzigern mussten Spirituosen nicht mehr in Österreich abgefüllt werden, durch die EU-Mitgliedschaft wurden Importe erlaubt. Und die Bevölkerung, bisher eher dem heimischen Obstbrand zugetan, begann sich prompt im gewaltig expandierenden Angebot der kosmopolitischen Köstlichkeiten umzusehen. Stroh Rum blieb aber im Küchenbereich zu Hause. Der Niedergang begann: Erst verschmolz man mit dem Linzer Spirituosenhaus Stock, gemeinsam wechselte man ins Reich des deutschen Granini-Giganten Eckes. 2007 übernahm Oaktree Capital aus Los Angeles, ein Jahr später kaufte Harold Burstein alle Gesellschaftsanteile  – ein Management-Buy-out. Denn der heute 63-jährige Wiener tauschte 2001 die Geschäftsführung der Österreich-Niederlassung des Schnaps-Multis Seagram gegen jene bei Stroh. „Dadurch war ich eng in den von Oaktree initiierten Verkaufsprozess eingebunden. Manche Interessenten stellten dabei so aberwitzige Fragen, dass ich mir irgendwann dachte, die kochen auch nur mit Wasser, ich kaufe das Unternehmen selber.“ Er bekam zwar mit dem Unternehmenskauf auch noch Marken wie Charly’s, Bouchet und Mautner ins Port­folio, seine große Liebe gilt aber dem Traditionsprodukt aus Kärnten.

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Entscheidende Weichen hatte er zu dieser Zeit schon gestellt. Etwa den Austausch des Destillates. Statt Zuckerrüben wird seit 2001 ausschließlich Zuckerrohr für Stroh Rum verwendet. „Das war die Vo­raussetzung für den Markenschutz, Inländer Rum und Jagertee sind heute als geschützte geografische Bezeichnung in Europa eingetragen.“ Deshalb schmeckt Inländer Rum heute wesentlich vollmundiger als im vorigen Jahrtausend.

Der Marketingprofi ging mit wenig Kapital und viel Elan an seine neue Aufgabe als Unternehmer heran. Von seinem ehemaligen Arbeitgeber Oaktree Capital ­Management hat er strenges Kostenbewusstsein und perfekt funktionierendes Controlling mit auf den Weg bekommen. „Wer vorher nicht wusste, was Cashflow genau bedeutet – spätestens nach drei Wochen als verantwortlicher und haf­tender Unternehmer ist die Definition dieser Kennzahl in Fleisch und Blut übergegangen.“ 

Der – so die Selbstdefinition – „Verkäufer mit Herz“ forcierte den Export, in Südafrika ist Stroh heute ebenso eine fixe Größe wie in Nordeuropa. Weil Burstein sehr geschickt auf die Bedürfnisse lokaler Kulturen eingeht. In Finnland etwa, wo die Nächte im Winter lang sind und der Durst der Bevölkerung groß, steht dem Massenabsatz der hochprozentigen Kärntner Spezialität eine ebensolche Besteuerung ent­ge­gen. Also schuf man eine Art Supermagnum, in der drei Liter Stroh 80 Platz haben. Verkauft wird der Gigant in Estland, genauer gesagt im Hafen von Tallinn. Dort, in der Duty-Free-Zone, legen die Schiffe finnischer Tagestouristen an. „In Bordershops machen wir das meiste Geschäft, auch an der deutsch-polnischen oder der österreichisch-tschechischen Grenze. Reisende decken sich mit Stroh-Produkten ein, ehe es wieder nach Hause geht.“  Flughäfen sind für ihn weniger wichtig. „Unser Bestseller ist Stroh 80. Der ist wegen des hohen Alkoholgehalts aber im Flugzeug verboten.“ 

Wenn die Tage kürzer und die Temperaturen niedriger werden, bricht für Stroh die Hauptsaison an. Burstein sicherte sich nicht nur die Wintersportzentren als treue Stroh-Community, sondern auch die Weihnachtsmärkte im In- und Ausland. „Wir sind auf 70 Weihnachtsmärkten in Belgien vertreten, im polnischen Krakau sind alle Christkindl-Märkte fest in Stroh-Hand.“ Entsprechend besorgt blickt er auf die Pandemieentwicklung. „Zurzeit sind wir noch im Plan, aber wenn Après-Ski verboten wird, ist der Wintertourismus tot, die Touristen kommen wegen der Stimmung zu uns.“ Für sein Unternehmen hat er Umsatzeinbußen im zweistelligen Prozentbereich budgetiert. 

Ein wenig hadert Burstein mit dem Schicksal: Wenige Monate nachdem er Stroh gekauft hat, brach die Finanzkrise aus. Jetzt, nachdem er die Marke zum Kult in 40 Ländern machte und die Herzen der heimischen Jugend zurückeroberte, pfuscht ihm das Virus ins Handwerk: „Alle Märkte entwickelten sich vor der Pandemie positiv, selber backen liegt bei den Jungen im Trend. Das Unternehmen hat bald 190 Jahre gelebt und die berechtigte Chance, mich zu überleben.“ 

Am besten in dynastischer Form. Seine drei Söhne haben zwar andere Karrieren eingeschlagen, seine 15-jährige Tochter aber sei mit dem Unter­nehmen aufgewachsen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass eine Frau Stroh in noch lichtere Höhen führt. Dann, wenn die Pandemie vorbei ist. Und das junge Österreich seinem alten Rum zu neuem Glanz verhilft.  ←

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Bilder Harold Burstein: © Philipp Tomsich
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