Gastkommentar – Warum Schönwetter nicht (immer) gut ist!

Josef Fritz ist Gründer und Managing Partner von Board Search, das sich auf die Suche nach Aufsichtsratsprofis spezialisiert hat. In seinem Gastkommentar schreibt Dr. Fritz, warum die richtige Personalwahl an der Spitze heute wichtiger denn je ist.

Der Herbst mit all seiner Farbenpracht und diesem besonderen tiefblauen Herbsthimmel und einer Aussicht weit ins Land lädt zu Touren in unsere Berge ein. Doch gerade jetzt kann das Wetter Starkregen, dichten Nebel, sogar plötzlichen Schneefall bringen. Dies muss der Berggeher mit entsprechender Ausrüstung bewältigen können.

So wie im Gebirge das Wetter rasch umschlagen kann, ist es auch heute im vom starken Wandel und von fortwährenden Krisen geprägten Leben – vieles verändert sich schlagartig. Die Anforderungen sind größer geworden und werden noch weiter steigen. Dies verlangt auch eine sich immer mehr verändernde Stimmung in der Öffentlichkeit.

Toppersonal muss jetzt nach professionellen Kriterien in Wirtschaft, Politik, Kunst und Kultur, Sport und Freizeit ausgewählt werden.

Personalentscheidungen erfolgten bisher zumeist bei und für „Schönwetter“!

Die globale Finanzkrise, die die Welt für eine Dekade erschütterte, war damals ein zwar epochales, aber doch singuläres Ereignis. Heute taumeln wir von einem – weltweiten – Krisenmodus in den nächsten, ohne dass eine Krise einigermaßen bewältigt wäre – Corona, zerbrochene Lieferketten, Arbeitskräftemangel, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation …

In solchen Zeiten bedürften wir der Besten an der Spitze – sei es im Land, in der EU und in den die Weltordnung bestimmenden großen Nationen. Erleben wir die Besten am Werk?

Die Besten sind nicht dabei

Derzeit haben es alle in der Öffentlichkeit Stehenden schwer wie nie zuvor. Noch bevor sie tatsächlich ihr Amt ausüben, werden ihr Privatleben, ihre Vergangenheit immer öfter mit unlauteren Mitteln eines Voyeur-Journalismus ausgeleuchtet und dann – bevorzugt – anonym in sozialen Medien diffamiert, diskreditiert und auch mit lancierten Unwahrheiten an den Pranger gestellt. Während all dies die Schlagzeilen aufleuchten lässt, erscheinen, wenn überhaupt, erst viel später zugegebene „Irrtümer“ und werden Behauptungen bestenfalls im Kleingedruckten, als Randnotiz oder unter „ferner liefen“ widerlegt bzw. nur erwähnt. Dies sind Umstände , die den Großteil der wirklich Befähigten oft von vornherein abschrecken – wie oft höre ich den Satz: „Wer geht denn heute noch in die Politik?“ In der Wirtschaft ist es mittlerweile so, dass sich Topqualifizierte für bestimmte staatsnahe Wirtschaftsaufgaben oder bei Ausschreibungen, die ja auch alibihalber erfolgen, nicht einmal mehr bewerben wollen.Kurzum, schon bevor eine Personalentscheidung getroffen werden kann, sind die Besten häufig gar nicht dabei!

Diejenigen, die dann zur Auswahl stehen – also „second hand“  –, werden dann nicht selten von dazu nicht Befähigten auserwählt. Wie sagte doch jemand zutreffend: Lehrlinge werden sorgfältiger ausgewählt als die an der Spitze!

Stellvertretend für so viele Meldungen und in allen politischen Parteien aus den verschiedensten Ländern vorkommend, sei ein Kommentar aus „ThePioneer“ über Robert Habeck auszugsweise wiedergegeben:  „Mit seinem Griff nach dem deutschen Wirtschaftsministerium hat er womöglich den strategischen Fehler seines Lebens begangen. Er bleibt ein talentierter Politiker. Er besitzt unzweifelhaft Sprachbegabung. Aber als Wirtschafts- und Energieminister im größten Industrieland Europas ist der ehemalige Kinderbuchautor für die Mehrheit der Deutschen derzeit eine Fehlbesetzung. Die multiplen Krisen der Gegenwart bringen den Vizekanzler erkennbar an den Rand seiner Möglichkeiten. Willkommen im Zeitalter der Überforderung!“

Und da fallen einem doch gleich auch österreichische Beispiele ein – ein Zivildiener als Verteidigungsminister, ein Mann als Frauenminister, ein kettenrauchender Gesundheitsminister oder ein Beinahe-Minister, der auf der Fahrt nach Wien dann doch nicht berufen wurde, weil ein anderes Bundesland „regionale Ansprüche auf die Entscheidung geltend machte“.

Schon seit langer Zeit scheint es so zu sein, dass Wahlsieger ziemlich unvorbereitet ihre Ministerentscheidungen treffen oder nach Kriterien, die der Sache und vor allem den Menschen im Land nicht förderlich sein können. Stimmen, Politiker zur Verantwortung zu ziehen – nicht nur durch Rücktritt, sondern sie auch finanziell haften zu lassen –, werden lauter.

Verlassen wir das glatte, politische Parkett: Schönwetter-Entscheidungen bei Aufsichtsratsbestellungen unterscheiden sich marginal. Wie oft habe ich in meinem Berufsleben Vorstandsbestellungen erlebt, die den Anforderungen eines professionellen Auswahlprozesses nicht gerecht wurden. Im Aufsichtsrats-Hearing geht es nur zu oft um „Persönliches“, aber auch da nicht aus dem Blickwinkel, neben den fachlichen Fähigkeiten auch die „Social Skills“ zu erkunden, sondern um sich in  Subjektivem, völlig Nebensächlichem zu ergehen: „Ah, Sie waren an der XY-Universität in den Staaten – wie hat Ihnen denn die Stadt gefallen, welche Restaurants haben Sie besucht, welche Klubmitgliedschaften sind Sie eingegangen …?“ Und schon sind 85 Prozent der zur Verfügung stehenden Zeit verschwendet. Interviews sind mit 96 Prozent die am häufigsten genutzten Methoden bei der Bewerberauswahl. Sie sind jedoch nur dann valid, wenn sie auf einem gut vorbereiteten, hochstrukturierten Prozess basieren. Ansonsten kommen Objektivität und strategische Inhalte zu kurz. Die Folge sind Bauchentscheidungen und Besetzung nach Selbstähnlichkeit – Hans sucht Hänschen.

Geschäftsleitungsfehlbesetzungen leuchten nicht im Vorhinein am Radarschirm auf. Fatalerweise werden die immensen Kosten von Fehlbesetzungen auf „noch auszuzahlende Entgelte und Prämien sowie Abfertigungsansprüche  – oft in Millionenhöhe! – reduziert. Die noch viel höheren erwachsenden Kosten aus Fehlentwicklung, falschen Entscheidungen, nicht genutzten Chancen, aus Erlösen aus entgangenen Geschäften, aus dem Ausscheiden von guten Leuten wegen inkompetenter Führung, Vertrauensverlust bei Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Stakeholdern werden nicht einmal bedacht, erfasst oder vorab in die Entscheidung einbezogen.

Der Gesetzgeber verlangt zwingend einen Finanzexperten im Aufsichtsrat. Da die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats die Vorstandsbestellung und gegebenenfalls auch vorzeitige Abberufung ist, sollte ein Personalexperte in einem guten Gremium nicht fehlen. Investoren bewerten Unternehmen immer mehr auf Basis ihres Human-Capital-Managements und der Qualität der obersten Führungsebene.

Wenn Sie die Bedeutung der Auswahl des oder der Richtigen mit mir teilen, dann werden Sie mir auch beipflichten, dass dies auch bei Organisationen aller Art, von Social-Profit-Organisationen bis zu Vereinen, professionell unter Beachtung aller maßgeblichen Kriterien zu erfolgen hat. Menschen machen den Unterschied. Und vor allem Menschen an der Spitze. Sie stellen die Weichen für die Zukunft!

Elementare Bedeutung

In Zeiten, in denen Rahmenbedingungen konstant waren – Schönwetter – und Gewinne „automatisch anfielen“, genügte es, zwischen Erfolgreichen und weniger Erfolgreichen zu unterscheiden. In einer Ära, die von Umbrüchen und Krisen aller Art geprägt ist, kommt der Personenauswahl elementare und immer mehr oft überlebensnotwendige Bedeutung zu.

Ihr Unternehmen, der Verein, den Sie besuchen, die Stadt, in der Sie wohnen, Ihr Land, ja, die Welt haben Ihretwegen die Besten an der Spitze verdient!   ←