assets Magazin: Nils Langenhans
Der Autor Nils Langhans ist Gründer und Geschäftsführer der Strategieberatung KAUFMANN / LANGHANS. Er berät Unternehmen in den Bereichen Strategy Making, Business Model Design und Equity Storytelling und hat Start-ups aus unterschiedlichen Industrien von der Pre-Seed-Finanzierung bis zum IPO bei der Entwicklung ihrer Equity Story unterstützt.

Essay

Katerstimmung nach der großen Party – Über die Krise der Start-up-Finanzierung

Im Angesicht von steigenden Zinsen, Inflation, Rezessionsängsten und geopolitischen Konflikten hat sich das Investitionsklima auch an den Venturecapital-Märkten drastisch verschlechtert. Viele hoch bewertete Start-ups kämpfen plötzlich ums nackte Überleben.  Text: Nils Langhans

Mehr als 500 neue Unicorns. Mehr als 600 Milliarden US-Dollar eingesammeltes Kapital. Mehr als 1.500 sogenannte Megarunden mit mehr als 100 Millionen US-Dollar Finanzierungsvolumen. Mehr, mehr, mehr. 2021 war das ultimative Jahr von „immer mehr“. Ein Rekordjahr für Start-ups und Venturecapital-Investoren. Eine scheinbar endlose Sause mit immer höheren Bewertungen. Scheinbar. Denn die Party ist fürs Erste vorbei und der Kater da: Im Angesicht von steigenden Zinsen, Inflation, Rezessionsängsten und geopolitischen Konflikten hat sich das Investitionsklima seither drastisch verschlechtert und für erhebliche Zurückhaltung bei Investoren gesorgt. Zunächst an den öffentlichen Kapitalmärkten und von dort ausgehend anschließend auch an den vorgelagerten Venturecapital-Märkten. Szenegrößen wie Sequoia oder der Y Combinator haben ihre Portfoliounternehmen scharf und eindringlich gewarnt, sich in den kommenden Monaten auf das Schlimmste vorzubereiten. Panikmache?

Leider nein. Im dritten Quartal des aktuellen Jahres sind die globalen Venture-capital-Investitionen im Jahresvergleich um 53 Prozent eingebrochen. Besonders betroffen: der Later-Stage-Bereich mit seinen großen Finanzierungsbedarfen. Dort ist das Funding-Volumen gar um 63 Prozent abgesackt. Viele hoch bewertete Start-ups kämpfen plötzlich ums nackte Überleben. Entlassungen und radikale Einsparmaßnahmen sind an der Tagesordnung. Und selbst etablierte Größen wie Stripe oder Klarna müssen empfindliche Downrounds in Kauf nehmen, um überhaupt Kapital zu erhalten. Experten gehen davon aus, dass die durchschnittlichen Start-up-Bewertungen in den vergangenen Monaten um 25 bis 40 Prozent gefallen sind.

Wagniskapitalgeber verändern ihre Investitionskriterien

Im Angesicht der massiven Investitionszurückhaltung ist es für Gründer aktuell entsprechend enorm schwierig, Venture-capital-Fonds selbst zu deutlich verringerten Bewertungen von einem Investment zu überzeugen. Schwierig, doch keinesfalls unmöglich. Denn viele VCs sitzen trotz Krise auf vollen Fonds mit viel trockenem Pulver. Weltweit verfügen VCs aktuell über insgesamt 562 Milliarden US-Dollar freies Investitionskapital – auch hier ein Rekordwert –, das mehrheitlich noch in der Hausse eingesammelt wurde und nun auf seine Allokation wartet. Doch die Anforderungen, die Investoren jetzt an Start-ups und ihre Equity Story stellen, haben sich durch die Krise verändert. Hyperburn-Cases, wie sie noch vor Kurzem im Bereich Quick Commerce mit Unternehmen wie Gorillas, Flink oder Getir hochgejubelt wurden, sind für Venturecapital-Investoren im Angesicht von schnell steigenden Zinsen kaum mehr attraktiv. Statt einzig auf rasantes Wachstum um jeden Preis zu setzen, wird die Nachhaltigkeit, Stabilität und technologische Substanz eines Geschäftsmodells für VCs deutlich wichtiger. Damit einher geht auch ein deutlich stärkerer Fokus auf Profitabilität: Noch vor einem Jahr hat kaum ein VC ernsthaft auf Profitabilität geachtet, solange die Wachstumsziele bloß ambitioniert genug waren. Wer hingegen dieser Tage Geld einsammeln will, der muss früh und glaubwürdig zeigen, dass sein oder ihr Unternehmen eine klare Perspektive auf schwarze Zahlen hat. Eine Anforderung, die sich auch in den Strategieschwenks von Scale-ups wie etwa N26, Solaris oder Tier Mobility zeigt, die zuletzt praktisch unisono angekündigt haben, schneller als bisher geplant profitabel zu werden. Auch ein weiteres, insbesondere von jungen Start-ups leider allzu häufig vernachlässigtes Thema gewinnt in diesem Kontext massiv an Bedeutung: Vertrieb. Wer Investoren im aktuellen Marktumfeld von sich überzeugen will, der muss zeigen, dass er ein Produkt nicht nur entwickeln, sondern auch verkaufen kann. Eine Herausforderung für viele Gründer, sind doch die meisten unter ihnen zwar enorm produkt-, technologie- oder impactgetrieben, jedoch eher selten ins Verkaufen vernarrt. Insgesamt kommt der Rolle der Gründer, die auch in normalen Zeiten ein wichtiges Investitionskriterium ist, aktuell eine noch größere Bedeutung zu: Venturecapital-Investoren suchen hier vor allem nach Vollblutunternehmern, die nicht nur große Visionen an die Wand werfen können, sondern die eine Firma auch durch harte Zeiten führen und auch mit knappen Mitteln haushalten können.

Auch Venturecapital-Fonds stehen vor Herausforderungen

Klar ist: Die Zeiten für Start-up-Finanzierung sind herausfordernd. Doch die deutliche Abkühlung wird auf Sicht auch zu neuen Chancen führen, stellen die verringerten Bewertungen doch auch attraktive Einstiegspunkte für Investoren dar. Dennoch stellt die aktuelle Lage auch Venture-capital-Fonds vor Herausforderungen. Denn als Folge der eingebrochenen Bewertungen ihrer Portfoliounternehmen verschlechtert sich auch die Performance ihrer Fonds. Im dritten Quartal 2022 haben VCs Exit-Erlöse in Höhe von 14 Milliarden US-Dollar erzielt. Zum Vergleich: Im zweiten Quartal des Vorjahres lag dieser Wert bei 267 Milliarden US-Dollar. Die Konsequenz: Auch für VCs wird das Fundraising schwieriger, was auf Sicht eine Verknappung von Venturecapital bedeuten kann. Es entsteht ein Stau, wie es Hendrik Brandis, Gründer von Earlybird, kürzlich in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche beschrieb. Ein Stau, der sich jedoch auch wieder auflösen wird, sobald sich die Stimmung an den Märkten wieder etwas aufhellt. Denn die Grundannahme von Venturecapital – gestreute Investments in Köpfe, Ideen und Produkte, die alte, große Märkte disruptieren und neue, schnell wachsende Märkte dominieren können – bleibt von den Krisen der Gegenwart letztlich unberührt. Im Gegenteil: Venturecapital ist letztlich eine der Antworten auf all diese Krisen und Herausforderungen, sorgt es doch dafür, dass das Neue und das Innovative ihren Weg in die Welt finden. So wundert es auch nicht, dass etwa in den Bereichen Climate Tech, Energie und Mobilität, aber auch im Bereich KI oder B2B-Plattformen trotz schwieriger Marktsituation nach wie vor vergleichsweise viele VC-Investments getätigt werden.   ←

Kontakt:
nils@kaufmannlanghans.de
www.kaufmannlanghans.de