assets magazin: Christian Nemeth

ZKB: Die drei Ukraine-Szenarien und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind

Christian Nemeth über das Basisszenario:

„Unser Basisszenario für die Ukraine – wir gehen im Moment davon aus, dass es mit rund 60 Prozent die höchste Wahrscheinlichkeit aufweist – ist leider ein ‚andauernder Konflikt‘. Das beschreibt, dass dieser Zermürbungskrieg mit sehr hohen Verlusten, vor allem auch in der Zivilbevölkerung, sich eine Zeit lang hinziehen wird und es nicht zu einer raschen Lösung kommt. Das bedeutet, dass zwar Russland in allen wesentlichen Bereichen durch den Westen isoliert ist, aber in diesem Szenario weiterhin Öl und Erdgas aus Russland nach Europa fließen. Ökonomisch umgemünzt, bedeutet es, dass die Energiepreise hoch bleiben, die Inflation dadurch weiter angeheizt wird, aber die Notenbanken an ihrer restriktiven Politik festhalten können und es zu Zinserhöhungen kommt, weil keine Eskalation auf der Kriegsseite droht. Es wäre also ein andauernder Konflikt, der regional begrenzt bleibt, in dem die Nato nicht involviert wird, der aber dennoch enorme Auswirkungen hat, vor allem über die Energieseite.“

Christian Nemeth über die zwei Nebenszenarien:

„Das erste Nebenszenario ist die ‚Eskalation‘, die Wahrscheinlichkeit dafür beziffern wir mit rund 30 Prozent. Demnach zieht sich der Krieg weiter hin, Putin geht noch mehr in die Drohgebärde, deutet Vergeltungsschläge Richtung NATO und gegen andere europäische Staaten an und die Energiepreise machen noch einmal einen massiven Sprung nach oben. Da muss man auch damit rechnen, dass auch der Ölpreis auf ein Niveau Richtung 180 US-Dollar pro Fass nach oben springen kann, die Inflation komplett aus dem Ruder läuft und auch die Öl- und Gaslieferungen aus Russland nach Europa gekappt werden. In einem solchen Szenario würden auch die Notenbanken in den absoluten Krisenmodus schalten und es angesichts der hohen Inflation nicht zustande bringen, die Normalisierung der Geldpolitik auf Kurs zu halten.

Auf der anderen Seite gibt es auch ein positives Szenario, das wir mit ‚rasche Entspannung‘ umschreiben. Der Krieg in der Ukraine findet ein Ende und es wird ein Waffenstillstand vereinbart, auf dessen Basis man auch zu einer Lösung kommt und die Verhandlungen voranschreiten. Wir würden eine Erholung an den Aktienmärkten sehen, das Weltwirtschaftswachstum würde überdurchschnittlich hoch bleiben und die Energiepreise würden sinken. Das ist im Moment mit 10 Prozent das unwahrscheinlichste Szenario.“

Christian Nemeth über die Herausforderung im Rohstoffsektor:

„Die Inflation ist derzeit ein Riesenthema. Russland und Ukraine sind zwar beide keine extremen Impulsgeber für das globale Wirtschaftswachstum, gerade die Ukraine und auch Russland sind jedoch in einigen Rohstoffsegmenten sehr wichtig. Und hier merken wir, wo die Inflation herkommt. Wir hatten schon im letzten Jahr einen enormen Energiepreisschub und damit auch 50 Prozent der Inflationsentwicklung erklärt. Dieser Anteil geht noch weiter nach oben. In den Segmenten, wo beide zusammengenommen einen wichtigen Anteil im Welthandel darstellen, beispielsweise Weizen, Kohle oder Mais, sind die Preise stark angestiegen. In Europa ist die Situation besonders verstärkt. Österreich und Deutschland haben eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas. Aber auch EU-weit betrachtet kommen rund ein Viertel der Erdölimporte, 40 Prozent der Gasimporte und die Hälfte der Kohleimporte aus Russland. Die Rohstoffabhängigkeit Europas von Russland ist gegeben und da gibt es auch keine raschen Lösungen. Das schlägt sich in den Inflationsraten brutal nieder. In der Eurozone haben wir eine Jahresveränderungsrate von 7,5 Prozent. Die Inflation ist riesig, wenn man sich nur die Jahresrate im Energiebereich ansieht, ist diese auf 44,7 Prozent gestiegen. Das sind nicht nur Öl und Gas, sondern der ganze Energiemix. Es ist klar, dass dies Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Notenbankpolitik hat. Wir sehen ein tieferes globales Wachstum, höhere Inflationsraten und das ist eine sehr unangenehme Situation. Wir gehen davon aus, dass mit Stand heute eine Rezession vermieden werden kann, es aber nicht leicht wird. Wir kommen zum Glück aus einer relativ robusten Phase heraus in diese Krise.“

Die Schlüsse aus der Ukraine-Krise für das Portfolio:

„Als der Konflikt losgebrochen ist, haben wir gesagt, wir halten die Füße still und machen wenig. In die Panik hinein sind Transaktionen meistens wenig gewinnbringend. Das hat sich auch bewahrheitet. Es hat einen raschen und auch kräftigen Rebound gegeben. Zu Monatsbeginn haben wir nun einige Umschichtungen getätigt. Die derzeitige Ungewissheit bringt uns dazu, dass wir die Aktien-Übergewichtung jetzt abbauen und in eine neutrale Position gehen: Wir haben in Europa nicht viel reduziert, hier hatten wir schon zuvor Richtung Amerika umgeschichtet. Wir haben nun etwas aus dem asiatisch-pazifischen Raum herausgenommen, weil es auch da Abhängigkeiten von der Rohstoffseite gibt und Covid in China wieder ein starkes Thema ist. Wir haben auch das Übergewicht in den USA auf eine neutrale Position reduziert. Ein wichtiges Signal ist: Wir nehmen keine Aktien-Untergewichtung vor, weil wir glauben, dass Aktien nach wie vor ein wichtiger Inflationsschutz sind. Wir haben auf der Anleihenseite die Duration der Papiere noch etwas verkürzt und sind etwas defensiver geworden. Mit der derzeitigen Inflationsentwicklung bieten auch Staatsanleihen wenig Schutz. Wir haben uns entschieden, nun auch Gold ins Portfolio aufzunehmen. Weniger wegen der Inflation, sondern um gewappnet zu sein, falls sich diese 30-prozentige Wahrscheinlichkeit einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges bewahrheiten sollte, um hier mehr Stabilität im Portfolio zu haben.“

Die gesamte Episode können Sie auf der offiziellen Website, via Audio-Streaming-Dienst Spotify sowie Apple Podcast abrufen.