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Nachhaltigkeit: Die Kraft der Spannungsfelder

Kaum ein Teenager hat das Weltgeschehen so stark beeinflusst wie Greta Thunberg. Ihre Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar fand viele begeisterte Zuhörer, zog sie die Mächtigen der Welt darin doch mit kompromisslosen Forderungen zur Rechenschaft: „Alle Investitionen in die Erschließung und Förderung fossiler Brennstoffe müssen sofort eingestellt werden. Alle Subventionen für fossile Brennstoffe müssen sofort beendet werden. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen muss sofort und vollständig erfolgen.“

Während Thunberg an die internationale Führungselite appellierte, musste die Bevölkerung in Südafrika Tag für Tag mit Stromabschaltungen zurechtkommen, weil das nationale Versorgungsunternehmen Eskom vor der maroden Infrastruktur kapituliert. Für die 59 Millionen Menschen des Landes bedeutet das, stundenlang ohne Strom und damit ohne Licht, ohne warmes Wasser, ohne Internet und in Notfällen ohne Hilfe auskommen zu müssen.

Die Stromversorgung Südafrikas hängt fast ausschließlich von dem umweltschädlichsten aller fossilen Energieträger ab: der Kohle. Die Stromabschaltungen zeigen jedoch, dass ein sofortiger Ausstieg des Landes aus fossilen Brennstoffen Millionen Menschen in schwere Not stürzen würde. Dies wirft die heikle Frage auf, wie wir die Welt retten können, ohne dabei dem Menschen zu schaden.

Verantwortungsbewusste Anleger sehen sich immer wieder mit solchen Spannungsfeldern konfrontiert. Basierend auf dem Konzept des vernetzten Denkens lassen sich drei korrelierende Formen von Spannungsfeldern unterscheiden:

1. Spannungsfeld Philosophie: Subjektivität versus Objektivität in Sachen Nachhaltigkeit

Was ist das Motiv für die Berücksichtigung der Aspekte Umwelt, Soziales und Governance (ESG)? Ist es das Bestreben, Gutes zu tun oder lassen wir uns rein von den Fakten leiten?

Uns ist schon immer wichtig, dass gute Beweggründe für eine Anlage bestehen. Wie sich diese Entscheidungen letztlich auswirken, lässt sich jedoch mitunter nur schwer absehen.

Marte Borhaug, Global Head of Sustainable Outcomes bei Aviva Investors, meinte einmal, für manche Entscheidungen sei ein Abschluss in Moralphilosophie nötig. So zum Beispiel beim Kauf plastikfreier Strohhalme, die aber in Plastikverpackung angeliefert und über Tausende von Kilometern transportiert werden.

Im Gespräch über komplexe Zusammenhänge, feine Unterschiede und die Abstriche, die erforderlich sind, um etwas bewirken zu können, sagte Borhaug: „Dieses in vielen Punkten bestehende moralische Dilemma sollte uns auch in unserer Arbeit leiten. Es gilt, sich diesem Dilemma zu stellen.“ Sie spricht sich dafür aus, Sachverhalte zu hinterfragen und zu diskutieren und warnt davor, dass verantwortungsvolles Handeln niemals bedeuten darf, dass man in einer ethischen Zwangsjacke gefangen ist.

Es liegt in der Natur des Menschen, ambivalent zu sein. Umso wichtiger ist es, die Vorteile von ESG durch harte Fakten zu untermauern. Laut der Exponential Climate Action Roadmap der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2018 stehen wir jetzt vor der Aufgabe, gemeinsame Roadmaps als Richtschnur für Regierungen, Unternehmen und Bürger zu erarbeiten, die sich an die weitere Entwicklung anpassen lassen. Die zur Erstellung solcher Roadmaps erforderlichen Daten sind dem Bericht zufolge bereits vorhanden: von staatlichen Regelungen über öffentliche Emissionsstatistiken bis hin zu allgemein zugänglichen Studien.

Massive Probleme bestehen jedoch weiterhin, wenn es darum geht, Daten einzelner Unternehmen einzuholen. Da es keine Meldepflicht gibt, kann keinesfalls von einer flächendeckenden ESG-Berichterstattung gesprochen werden. So ist es möglich, dass genau jene Unternehmen mit dem schwächsten ESG-Profil um eine Offenlegung ihrer Risiken herumkommen. Ohne klare Meldefristen erfolgt die Veröffentlichung in der Regel stark zeitverzögert. Big Data könnte diese Lücke durch Bereitstellung relevanter Informationen an Anleger schließen. Ein einheitlicher Rahmen scheint indes noch Zukunftsmusik.

Schwierig wird es, wenn wir im Entscheidungsprozess und bei der Interpretation die Balance finden müssen zwischen Mängeln in der Datenqualität und unserer eigenen ambivalenten Haltung. Dieses philosophische Spannungsfeld bewirkt, dass unser Ansatz stets Subjektivität und Objektivität in Einklang bringen muss. Beide Aspekte sollten Anleger unbedingt als positiv betrachten.

2. Spannungsfeld Performance: Absolute versus relative Nachhaltigkeit

Die Kosten-Nutzen-Analyse bei der Berücksichtigung von ESG-Kriterien führt zu einem weiteren Spannungsfeld mit Verzweigungen in verschiedene Richtungen. So stellt sich beispielweise die Frage, ob man in Unternehmen investieren sollte, die bereits ein gutes ESG-Rating haben oder lieber auf Unternehmen setzen sollte, deren Score sich verbessert.

Ein Bericht der Bank of America Merrill Lynch aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl von Unternehmen mit überdurchschnittlichem ESG-Score von Vorteil ist, da so Ausfälle vermieden werden können. Dabei wurde für die Auswahl der Unternehmen auf Basis ihrer aktuellen ESG-Scores plädiert.

Diese Vorgehensweise hat jedoch einen Haken: Die Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität kann sich angesichts der kurzen Datenhistorie schwierig gestalten. Selbst wenn mit einem hohen ESG-Score einfach nur nachweislich geringere Kapitalkosten verbunden sind, kann diese Kennzahl doch ein guter Ausgangspunkt sein, um Unternehmen ausfindig zu machen, die eine kontinuierlich gute Entwicklung versprechen.

Ein hoher ESG-Score dient mitunter auch als Indiz für die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens, denn meist legen jene Akteure mit dem besten ESG-Profil besonders hohen Wert auf belastbare und nachhaltige Geschäftsmodelle. Beispiel Lieferkettenmanagement: In diesem Bereich tätige Unternehmen kennen ihre Zulieferer genau, von deren CO2-Bilanz bis hin zu deren Arbeitsbedingungen. Dies ist auch der Grund, warum sie die Coronakrise vermutlich besser meistern werden als die meisten anderen Unternehmen.

Externe Bewertungen sind jedoch nur eine Facette. Familienunternehmen haben oft Führungsstrukturen, die nicht den Best Practices entsprechen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich aber auch hier die Spreu vom Weizen trennen: Firmen mit Vetternwirtschaft versus gut und verantwortungsbewusst geführte Unternehmen.

Der ESG-Bereich entwickelt sich ständig weiter. Es gilt, dieser Dynamik unbedingt Rechnung zu tragen. Mit einer zeitnahen Beurteilung des ESG-Momentums eines Unternehmens lassen sich wesentliche Risiken aufdecken, die gegebenenfalls fehlbewertet wurden. Solche Risiken entwickeln sich in der Regel schleichend, manifestieren sich dann jedoch abrupt. Zwar zeigt sich daran, wie wichtig die Einbindung von ESG-Kriterien in Anlageentscheidungen ist, entscheidend bleibt für Anleger in Aktien und Anleihen allerdings die langfristige Perspektive.

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Debatte über absolute gegenüber relativer Nachhaltigkeit ist die Notwendigkeit, sich nicht auf die Branchenebene zu beschränken, sondern noch mehr in die Tiefe zu gehen. So hat beispielsweise Union Pacific einen relativ niedrigen MSCI ESG-Score, obwohl das Unternehmen in einer emissionsarmen Branche tätig ist: Treibhausgasemissionen beim Transport auf der Schiene sind um 75 Prozent geringer als beim Straßengüterverkehr. Unserem Research zufolge musste sich das Unternehmen jedoch wiederholt Diskriminierungsvorwürfen stellen und weist Defizite bei der Erfüllung wesentlicher Sicherheitskriterien auf. All dies schlägt sich im ESG-Rating des Unternehmens nieder.

3. Spannungsfeld Anlagepraxis: Ausschluss versus Beteiligung

Falls man überhaupt von einem Königsweg für ESG-Investments sprechen kann, so sollte dieser bei grünen Anleihen zu suchen sein. Leider fand diese Anlageklasse am Markt bisher nicht den ihr gebührenden Anklang. Wichtige Interessengruppen haben auf Schwächen im System hingewiesen, und große Akteure wie der japanische Government Pension Investment Fund titelten die Anlageklasse als „Modeerscheinung“ ab, sollten notwendige Reformen ausbleiben.

Die gängigste Methode zur Umsetzung von Richtlinien für nachhaltige Anlagen ist die Anwendung von Ausschlusskriterien, die auf über 20 Prozent der weltweit verwalteten Vermögenswerte zutreffen. Ein Ausschluss bringt in der Praxis aber auch Probleme. Zu nennen ist dabei insbesondere, dass sich Anleger so selbst den Weg für ein Engagement verstellen.

Einige Auswahlkriterien stehen außer Frage. Tabak hat negative Auswirkungen auf 14 der 17 Nachhaltigkeitsziele. Mit acht Millionen Toten pro Jahr steht Rauchen auf der Liste zu vermeidenden Todesursachen weltweit nach wie vor ganz oben. Und damit nicht genug: Zigarettenfilter haben den größten Anteil am Plastikmüll, der unsere Meere verseucht.

Tabakkonzerne schließen wir konsequent aus. Auch bei Kohle und Waffen folgen wir strengen Grundsätzen. In einigen Fonds schließen wir den größten Anbieter von erneuerbaren Energien – NextEra Energy – aus, da er mehr als zehn Prozent seines Umsatzes mit Kohlekraft generiert. Fast-Food-Unternehmen oder Fluggesellschaften werden hingegen nicht systematisch gemieden.

In den meisten Sektoren gilt es, Ausschlusskriterien gegen den positiven Aspekt einer aktiven Beteiligung an dem Unternehmen abzuwägen, denn nur über Engagement können Anleger die Führungsspitze zur Rechenschaft ziehen und schlechtes Verhalten anprangern.

Stewardship (Einflussnahme durch aktive Beteiligung) ist dabei ein entscheidendes Element. Die Möglichkeit, in Summe Tausende von Stimmrechten auszuüben, ist ein wichtiger Hebel, um Veränderungen herbeizuführen. In diesem Punkt gab es bereits große Erfolge. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist, dass BP einen Plan zur Erreichung von Klimaneutralität erstellt hat. Die Durchsetzung von Beschlüssen ist aber nur der erste Schritt. Die laufende Überwachung ist ressourcenintensiv und erfordert Mitwirkung und Beharrlichkeit von Analysten, Fondsmanagern, Führungskräften und Anteilsinhabern.

Bei einigen Anlageklassen ist eine Beteiligung strukturell bedingt schwieriger. Nicht nur Unternehmen, auch Staaten sind zur Deckung ihres Finanzierungsbedarfs stark auf die Kapitalmärkte angewiesen. Gut ist, dass Anleger in Staatsanleihen keinen Einfluss auf die Wahl von öffentlichen Amtsträgern nehmen können, ganz egal, wie hoch ihr Anteil ist. Länder, die verstärkt Rechtsvorschriften für mehr Nachhaltigkeit erlassen, profitieren in der Regel jedoch von geringeren Fremdkapitalkosten.

Wenn es um komplexe Angelegenheiten wie ESG geht, ist die Versuchung groß, sich in Diskussionen zu verlieren, ohne tatsächlich aktiv zu werden. Stichwort: Greenwashing. Stellt man sich jedoch der Komplexität dieses Themas, lassen sich Spannungsfelder auflösen und es bietet sich die Chance auf bessere Ergebnisse für die Gesellschaft, die Umwelt und die Anleger.