assets magazin: Christian Nemeth

Kapitalmarkt mit Weitblick

Christian Nemeth über den Faktor Ukraine-Konflikt:

„Rein für die Finanzmärkte verliert der Ukraine-Konflikt derzeit etwas an Wirkungskraft. Eher preistreibend sind eindeutig die Themen Inflation, Wirtschaftswachstum und Stagflation. Das hängt natürlich schon mit den Auswirkungen des Konflikts zusammen, weil diese über die Rohstoffpreise auch direkt auf die Konjunktur wirken. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass das wahrscheinlichste Szenario ein andauernder Zermürbungskrieg über längere Zeit ist, die Lage jedoch nicht eskaliert. Das preisen die Märkte im Moment ein. Die lokalen Auswirkungen sind verheerend, aber es kommt nicht dazu, dass die Gaszufuhr für die europäischen Länder komplett gekappt wird. Das ist die Basis, die es erlaubt, den Fokus stärker auf ökonomische Merkmale zu richten. Man darf den Konflikt dennoch nicht außer Acht lassen und muss diesen in der geografischen Ausrichtung und generell in der Risikostruktur des Portfolios berücksichtigen.“

Christian Nemeth über das Rezessionsszenario:

„Wenn man sich den Index S&P 500 ansieht, lassen sich die letzten Korrekturen in Phasen unterteilen, die von einer Rezession begleitet waren und solche, die es nicht waren. Diese Korrekturen unterscheiden sich jeweils ganz stark im Ausmaß der Kursrückgänge. Während einer Rezession lagen diese im Median bei minus 24 Prozent. Das ist nicht wenig. In Nicht-Rezessionsphasen verblieben diese Rückgänge eher bei 13 Prozent. Aktuell liegen wir bei etwa minus 19 Prozent. Rein auf der konjunkturellen Seite preisen die Märkte schon recht viel Negatives ein, aber nicht unbedingt eine Rezession. Das ist der Knackpunkt für die mittelfristige Entwicklung an den Finanzmärkten. Schaffen es die Notenbanken gegenzusteuern, sodass wir in dieses berühmte Soft Landing kommen, ohne dass das Wirtschaftswachstum komplett darunter leidet und wodurch somit eine Rezession verhindert werden kann? Das ist die Gretchenfrage. Wir gehen auch davon aus, dass eine Rezession nicht das wahrscheinlichste Szenario ist, aber das bestehende Risiko lässt sich nicht leugnen. Die Volatilität ist nach wie vor hoch, aber es gibt keine Paniksituation. Wir haben die Entscheidung getroffen, unsere neutrale Position auf der Aktienseite zu bestätigen. An den Märkten ist relativ viel eingepreist und auch die Inflationswelle ist schon ziemlich stark fortgeschritten, um zu sagen, ich verkaufe alles und gehe stark auf Untergewichten. Das sehe ich weder auf der Aktienseite noch auf der Anleihenseite. In Summe ergibt das eine neutrale Positionierung.“

Hermann Wonnebauer über passive ETF-Strategien:

„Bei den Kunden herrscht derzeit eine entspannte Unruhe. Sie sind weder total begeistert, noch total panisch, sondern stellen sich häufig die Frage, wie man sich richtig positionieren soll. Wir werden oft gefragt, ob es sinnvoll ist, Aktien- und Anleihen-ETFs zu kaufen und ob man dann gut investiert ist und sich um nichts mehr kümmern muss. Hier geben wir zu bedenken: Wenn man zwei ETFs kauft, dann hat man eine passive strategische Entscheidung getroffen. Die Fonds sind zunächst 50:50 gewichtet, irgendwann wird einer im Wert mehr steigen als der andere. Das ETF-Portfolio reguliert sich nicht von selbst, ich muss irgendwann selbst eingreifen und einen Verkauf tätigen oder mich mit der Entwicklung zufriedengeben, wenn das Verhältnis irgendwann beispielsweise 70:30 ist. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir im Asset Management machen. Wir schauen, wie sich die Zahlen bewegen, sich die Wirtschaft entwickelt und nehmen dann Monat für Monat, oder dazwischen auch mal öfter, Anpassungen vor, um auf dem aktuellen Niveau gut investiert zu sein.“ „Es ist auf jeden Fall eine bessere Idee, investiert zu sein, als nicht investiert zu sein. Die wenigsten wissen jedoch genau, was in einem Index oder in einem ETF, der diesen abbildet, enthalten ist. Wenn man sich die ersten zehn Positionen des MSCI World ansieht, des beliebtesten Weltaktienindex, dann sind das etwa 15 Prozent der amerikanischen Technologieaktien. Wenn man sich den S&P 500 ansieht, enthält dieser zu 25 Prozent FANG-Aktien, also Facebook, Apple, etc. Nicht einmal ein breiter Index ist davor gefeit, gewisse Über- und Untergewichtungen in gewissen Branchen zu haben. Wenn ich dem entgehen möchte, brauche ich eine ganze Reihe verschiedener ETFs. Dann bin ich wieder in einer aktiven Entscheidung und dann kann ich das gleich wieder mit einer aktiven Vermögensverwaltung machen. Wenn ich langfristig in ETFs investiert bin, habe ich auf jeden Fall ein schlechteres Ergebnis als die Benchmark. Natürlich sind auch in ETF – wenn auch in geringerer Höhe – Kosten enthalten. ETFs sind kein Allheilmittel. Wir nutzen diese eher kurzfristig, um gewisse Marktsegmente rasch abzubilden oder auch wieder mal zu verkaufen oder dort, wo es wirklich günstig ist, wie im Anleihebereich, zuzugreifen. Es ist immer noch wichtiger, aktiv am Markt zu sein und diese Chancen zu nutzen und gewisse Risiken zu vermeiden.“