Kunst – Die jungen Stars am Kunstmarkt

Junge, aufstrebende Künstler waren am Markt noch nie so erfolgreich wie heute. Die Preissprünge sind teilweise atemberaubend. Dominiert wird die Spitze erstmals von Frauen.  Text: Eva Komarek

„Night Watcher“, ein Gemälde von Matthew Wong, stieg am 19. Mai 2022 nach einem Bietgefecht bei Sotheby’s in New York auf 5,9 Millionen Dollar. Sein Auktionsdebüt gab er im Mai 2020 mit einem Zuschlag von 50.000 Dollar. Wong, der sich 2019 im Alter von nur 35 Jahren das Leben nahm, wurde von der New York Times als „einer der talentiertesten Maler seiner Generation“ bezeichnet. Bei Sammlern entstand ein regelrechter Run auf Wong.

Nur wenige Monate nach seinem Tod wurden 2020 die ersten Arbeiten bei Auktionen versteigert. Innerhalb nur eines Jahres überschritten acht der angebotenen Werke die Millionengrenze. Gemessen am Auktionsumsatz wurde Wong zum begehrtesten Künstler der Generation unter 40 Jahren und gleichzeitig reihte er sich in die Liste der Top 100 der erfolgreichsten Künstler der Welt quer durch alle Epochen ein. Hier mag der tragische Tod des Künstlers den Markt besonders angeheizt haben, der Erinnerungen an Basquiats frühen Tod und den Mythos des „verfluchten Genies“ wieder aufleben lässt.

Doch Wong ist bei Weitem kein Einzelfall. Ähnlich ist die Entwicklung bei Flora Yukhnovich, deren Gemälde „Warm, Wet ’N’ Wild“ im März 2022 bei Sotheby’s auf 2,7 Millionen Pfund stieg. Die Schätzung lag bei 150.000 bis 200.000 Pfund. Oder Avery Singer, deren Arbeit „Happening“ im Mai 2022 5,3 Millionen Dollar erzielte. Ihre erste Arbeit kam 2017 zur Auktion und wurde für 36.000 Dollar verkauft. Von da an ging es sprunghaft nach oben. Christina Quarles ist ebenfalls unter den Top Ten der erfolgreichsten Künstler unter 40. Mit der aktuellen ersten Einzelausstellung von Quarles bei Hauser & Wirth in New York sind ihre Preise in die Höhe geschossen. Schon bei ihrem Auktionsdebüt im November 2018 bei Phillips ging das auf 30.000 bis 50.000 Dollar geschätzte Werk „Pull on Thru Tha Nite“ auf 225.000 Dollar. Heuer im Mai schrieb ihre Arbeit „Night Fell Upon Us Up On Us“ bei Sotheby’s einen Rekord von 4,5 Millionen Dollar.

Generationswechsel

Sie alle gehören zu einer neuen Künstlergeneration, die gerade einen Höhenflug erlebt. Als Ultra-Contemporary bezeichnet der Kunstmarkt dieses Segment, das laut einer aktuellen Analyse der Kunstpreisdatenbank Artprice zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 30. Juni 2022 bei Auktionen 420 Millionen Dollar umgesetzt hat, ein Plus von 28 Prozent zum Vorjahr. Vergleicht man die Marktentwicklung langfristig, dann hat sich der Auktionsumsatz vervielfacht. Im ersten Halbjahr 2002 lag der Umsatz bei gerade einmal 7,7 Millionen Dollar, während es in den ersten sechs Monaten 2022 200,9 Millionen Dollar waren. Zuletzt gab es einen vergleichbaren Hype zwischen 2013 und 2014, gefolgt von einer Flaute und Rückbesinnung auf etablierte Künstler.

Erst 2019 nahm ultrajunge Kunst wieder Fahrt auf. Während die Lieblinge des vorangegangenen Booms junger Kunst vor allem Männer waren, die sich auf Abstraktion spezialisiert hatten, sind ein Großteil der heutigen Jungstars Frauen sowie Künstler afrikanischer Abstammung, die sowohl figurative Malerei als auch neue Medienkunst produzieren.

So sind von den zehn wichtigsten Künstlern unter 40 sieben Frauen und zwei Künstler afrikanischer Abstammung. Einer davon ist in Österreich kein Unbekannter, denn der ghanaische Maler Amoako Boafo studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 2020 gab er mit „The Lemon Bathing Suit“ bei Phillips in London sein spektakuläres Auktionsdebüt. Das auf 30.000 bis 50.000 Pfund geschätzte Werk stieg damals auf 550.000 Pfund. Inzwischen liegt sein Rekord bei 3,4 Millionen Dollar und er gehört zu den Top Ten  der gefragtesten jungen Künstler der Welt.  Der Zweite in der Oberliga ist Aboudia Diarrassouba, der in seiner von ihm als „Noutchi“ bezeichneten Malweise Graffiti mit der Holzschnitzerei Westafrikas verbindet. Thematisch finden Bürgerkrieg und Straßenkinder seiner Heimat Elfenbeinküste ihren Niederschlag. Auf dem Auktionsmarkt bricht er gerade Rekorde. Sein Debüt auf dem Sekundärmarkt gab er 2013 bei Bonhams. Seither geht es steil nach oben. Im Wiener Dorotheum kam im Mai „Deux amis noutchi“ aus dem Jahr 2019 mit einer Schätzung von 70.000 bis 100.000 Euro zum Aufruf und kletterte auf 240.500 Euro. Anfang Juli schrieb ein auf 40.000 bis 60.000 Pfund geschätztes Werk ohne Titel bei Christie’s mit 504.000 Pfund einen neuen Rekord.

Flora Yukhnovich, Warm, Wet ’N’ Wild.

Frauenpower

Zum ersten Mal in der Geschichte dominieren Frauen die Spitze. Ihre Preise sind explosiver als die der meisten Männer ihrer Generation. So haben Künstlerinnen im Beobachtungszeitraum einen höheren Auktionsumsatz erzielt als Männer und auch das Preisniveau der Zuschläge liegt laut Artprice über jenen der Kollegen. Die derzeit gefragtesten Künstlerinnen sind Ayako Rokkako, Flora Yukhnovich, Avery Singer, María Berrío, Anna Weyant, Christina Quarles und Loie Hollowell. Diese aktuellen Entwicklungen werden nicht zuletzt durch die gewichtigen Megagalerien unterstützt, die sich die Nachwuchstalente gesichert haben. So werden etwa Avery Singer und Christina Quarles von Hauser & Wirth vertreten, auf Anna Weyant ist Larry Gagosian aufmerksam geworden und Pace Gallery hat 2017 Loie Hollowell unter die Fittiche genommen. Auch der österreichische Topgalerist Thaddaeus Ropac mischt bei den Jungstars vorne mit. Er hat Rachel Jones nur wenige Monate nach ihrem Abschluss an der Royal Academy of Arts in London ins Programm genommen. Heuer im Juli erzielte „Spliced Structure“ 403.200 Pfund, die Schätzung lag bei 150.000 Pfund.

Die großformatige Arbeit wurde 2019 gemalt und war in der Abschlussausstellung der Royal Academy of Arts erstmals zu sehen. Heute belegt Jones Platz 20 der gefragtesten jungen Künstler. Hier scheint nun endlich ein Generationswechsel stattzufinden, der Kunst in all ihrer Diversität annimmt.   ←