Round Table – Zeiten-Wende – Die neuen Herausforderungen der Immobranche

Steigende Zinsen, sinkende Kaufkraft und der Klimawandel stellen die Immobilien-branche vor viele Herausforderungen. Am Round Table von assets diskutieren Immobilienexperten mögliche Lösungsansätze.  Moderation: Stefan Schatz, Fotos: Philipp Tomsich

Läuten die rasant steigenden Zinsen das Ende des Immobilienbooms ein? Diese und andere Fragen diskutieren im gediegenen Ambiente des Park Hyatt Vienna  Franz Pöltl (EHL Immobilien), Alexander Widhofner (wien invest), Peter Ulm (allora Immobilien), Michael Baert (IFA Institut für Anlageberatung), Hannes Speiser (Winegg Realitäten), Walter Neumann (Valuita) und Michael Schmidt (3si Immogroup).

assets: Laut Expo Real werden heuer 52.681 Wohnungen fertiggestellt. Ist der Immobilienboom dann vorbei?

Peter Ulm: Im Moment erleben wir multiple Herausforderungen durch exogene Marktumstände, die zu Verschiebungen von Transaktionen und Investitionen führen, vielleicht auch zu kleinen Preiskorrekturen. Aber mittel- und langfristig sind wir in einem gesunden Markt.

Hannes Speiser: Es ist herausfordernder, Immobilien zu entwickeln und zu realisieren. Die Rahmenbedingungen sind anders als noch vor wenigen Monaten.

Michael Baert: Erfreulicherweise hat es bei der Fertigstellung von Wohnungen in Wien letztes Jahr ein Rekordergebnis gegeben. Nur waren es zuvor und sind es aktuell immer noch zu wenige Wohnungen.

Michael Schmidt: Wir brauchen Wohnungen. Wir haben einen regen Zuzug. Immobilien werden knapp, das wird man 2023 spüren. Knappe Güter steigen im Preis.

Baert: Die Verknappung ist auch ein Ergebnis der Singularisierung der Haushalte. Zudem steigt die Lebenserwartung, man bleibt länger in der Wohnung als früher. Die Verknappung von Wohnraum nimmt zu.

Alexander Widhofner: Wir spüren tatsächlich, dass die Nachfrage vom Endkunden abnimmt. Wir gleichen das über den Vorsorgewohnungsmarkt  aus.

„Zinshäuser haben am Anfang kleine Renditen, aber eine aufregende Wertsteigerung.“
– Michael Schmidt –
Geschäftsführender Gesellschafter 3SI Immogroup

Sind Ertragswohnungen noch ein Thema?

Walter Neumann: Durchaus und auch Bauherrenmodelle bleiben begehrt. Es wird etwas schwieriger, aber wir können nicht klagen. Die Nachfrage davor war enorm, jetzt lässt sie etwas nach, wird sich aber auf hohem Niveau fortsetzen.

Schmidt: Bei Altbauwohnungen sind die Quadratmeterpreise nach wie vor auf Rekordniveau. Im gehobenen Immobiliensegment spüren wir gar keinen Rückgang der Nachfrage, Immobilien für den regulären allgemeinen Markt erhalten jetzt fünf Angebote statt zehn. Das ist immer noch viel.

Ulm: Die Zeiten sind anspruchsvoller geworden: Eigenkapitalerfordernisse steigen, institutionelle Investoren treffen keine Entscheidungen, es gibt zwar keinen Preiseinbruch, aber der Markt verlangsamt sich. Die Wohnung entwickelt sich vom reinen Anlegerprodukt zum ursprünglichen Zweck zurück. Wer seine Hausaufgaben macht und professionell arbeitet, nimmt keinen Schaden. Aber es könnte in den nächsten zwölf Monaten zu einer kleinen Marktbereinigung kommen, was aber die Preise nicht beeinflusst und kein Nachteil für Anleger sein wird. 

Schmidt: Man muss wieder mehr arbeiten. Wer Sanierungen plant und einreicht, vermietet oder Einzelwohnungen verkauft, wird weiter gutes Geld verdienen.  Ein Zinshaus kaufen, ein paar Monate warten und mit Aufschlag weiterverkaufen – das geht nicht mehr. Diese völlig abnormale Situation war Corona geschuldet und der Politik des großen Geldes. Jetzt beruhigt sich der Markt wieder.

Ulm: Die herausfordernde Frage ist: Wohin entwickeln sich die Renditen in den nächsten zwölf bis 18 Monaten? Nach
unten wohl kaum. Werden sie stabil bleiben oder nach oben korrigiert? In Deutschland werden große Wohnungseigentümer wie Vonovia am Kapitalmarkt massiv abgestraft. Das ist ein Zeichen, dass sich in der Kapitalisierung der Immobilienwerte etwas ändert.

Sie gehen nicht von sinkenden Preisen aus?

Franz Pöltl: Ich gehe nicht mehr von steigenden Preisen aus. Im Kapitalmarkt spürt man Verunsicherung, die sich voraussichtlich Ende des erstes Quartals 2023 auflösen wird. Investoren müssen ihre Anleihenprodukte abwerten. Damit haben sie höhere Immobilienquoten in ihren Büchern. Deshalb kaufen sie vorerst keine neuen Immobilien. Das hat fundamental nichts mit Immobilien zu tun, die halten ihren Wert. Es wird Änderungen im vernünftigen Bereich geben, eine Krise sehe ich keine.

SchmidT: Bei der Immobilie als Finanzprodukt kommt es derzeit zu Verlangsamungen bis zum Stillstand. Aber bei Wohnungen zur Eigennutzung erzielen wir Preise wie im Jahr 2021.

Speiser: Immobilien können aktuell nicht günstiger werden. Die Kosten entstehen aufgrund der höheren Investitionen und der aktuellen Rahmenbedingungen. Es gibt wenig Neuentwicklung, der Prozess bis zur Fertigstellung wurde herausfordernder. Aber die Nachfrage bleibt hoch. Auch wenn sich der Markt etwas verlangsamt, gilt: Immobilien bleiben werthaltig und damit interessante Investitionsobjekte zur Eigennutzung oder zur Veranlagung.

Baert: Wegen der Inflation kommt es zu deutlichen Lohnerhöhungen. Lohnkosten machen 70 Prozent der Baukosten aus. Das heißt: Baumaterial müsste um 14 Prozent billiger werden, um eine Lohnerhöhung von sechs Prozent auszugleichen.    Bei steigenden Energiekosten und CO2-Besteuerung ist das unrealistisch. Auch wenn die Auslastung der Baufirmen weniger wird, rechnen wir nicht mit sinkenden Baukosten. Die Nachfrage nach Wohnraum in Ballungsgebieten ist ungebremst hoch. In Wien nehmen wir neue Projekte schon nach Stunden wieder von der Website und könnten dennoch jede Wohnung mehrfach vermieten. Die 20.000 Wohnungen, die in Wien heuer dazukommen, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 

Schmidt: Wenn überhaupt so viele fertiggestellt werden. Es gibt Lieferverzögerungen, bei kleineren Projekten müssen wir beispielsweise ungewohnt lange auf Wärmepumpen warten.

„Bauen ist anspruchsvoller geworden, man braucht mehr Kapazitäten, Ressourcen und mehr Erfahrung.“
– Peter Ulm –
Geschäftsführender Gesellschafter allora Immobilien

Finden Sie noch genug Objekte für Ertragswohnungen, für Bauherrenmodelle?

Neumann: Es gibt genug Projekte. Unsere Projektpartner habe in den letzten Jahren – noch vor dem ganz großen Hype – fleißig eingekauft. Die jetzige Zinssituation macht die Finanzierung von Zukäufen schwieriger. Es werden in nächster Zeit aber einige Projekte auf den Markt kommen, man wird wieder zu  vernünftigeren Preisen kaufen können.

Wird sich die Immobiliennachfrage vom Kauf in Richtung Miete verschieben?

Widhofner: Grundsätzlich: Ja, bei unserer Maklergesellschaft sehen wir steigende Anfragen. Man wird sehen, ob das ein langfristiger Trend wird. Wichtiger ist das Thema Nachhaltigkeit. Eine günstige Miete nützt nichts, wenn die Energiekosten davongaloppieren. Das könnte alte, unsanierte Wohnungen betreffen.

Baert: Nachhaltigkeit ist seit vielen Jahren ein Thema. Wir können bei der Dämmung nicht mehr viel verbessern, aber den Energieträger hin zu Erneuerbaren ändern. Und im Sommer wird Kühlen ein Thema.

Nachhaltigkeitsauflagen sind teuer. Wie reagiert man als Developer, der seine Projekte für Abnehmer leistbar halten muss?

Ulm: Die Zeiten, wo wir einen Generalunternehmervertrag abschlossen und erst bei der Fertigstellung des Baus wieder auftraten, sind vorbei. Man kümmert sich wieder selbst um Beschaffung und Einzelausschreibungen. Bauen ist anspruchsvoller geworden, man braucht mehr Kapazitäten, Ressourcen und mehr Erfahrung. Das ist für uns aber langfristig ein Vorteil.

Speiser: Die nachhaltige Projektentwicklung bedarf gerade jetzt höchster Expertise des Bauträgers. Das wird in den nächsten Jahren immer wichtiger. Nun steigen die Anforderungen an Ökologie und Energieeffizienz. Billig baute man in den 60ern und 70ern. Diese Objekte sanieren wir nun Zug um Zug. Wir schaffen damit Werte für die Zukunft und investieren in nachhaltige Projektentwicklung. Dieser Herausforderung stellen wir uns sehr gerne, es zahlt sich aus. Unbestritten.

Schmidt: Käufer sind bereit, Nachhaltigkeit zu bezahlen. Gerade jetzt fragen sich viele, woher sie die Energie für die Wohnung beziehen können.

Speiser: Die Energiefragen zu lösen, ist auch unsere Verantwortung. Der Kunde erwartet das von uns. Der Gesetzgeber gibt Rahmenbedingungen vor, wir Wohnbauträger müssen das Bestmögliche daraus machen.

Schmidt: Wir tun, was möglich ist. Im Altbau ist man bei Dämmung und Energieversorgung sehr eingeschränkt. Da braucht es noch viel Forschung, die aber nicht von Bauträgern kommen kann.

Baert: Es hängt insofern von uns ab, als gilt: Je größer die Nachfrage nach alternativen Lösungen, desto intensiver wird daran gearbeitet. Manches rechnet sich jetzt auch anders. Wenn Heizenergie das Vierfache kostet, sind ursprünglich zu teure Lösungen plötzlich rentabel.  

Ulm: Was aber am Grundproblem nichts ändert. Im vergangenen Jahrzehnt haben uns sinkende Kapitalmarktzinsen aus Krisen gerettet. Jetzt müssen wir uns erstmals seit langer Zeit wieder selber retten. Schmidt: Dafür verschwinden die Glücksritter vom Markt.

„Wir schaffen Werte für die Zukunft und investieren in nachhaltige Projektentwicklung.“
– Hannes Speiser –
Prokurist Winegg Realitäten

Es gibt also keine Chance auf Einsparungen beim Bauen.

Widhofner: Wichtig ist nicht, günstiger zu bauen, sondern nachhaltiger, sinnvoller und energiesparender. Das wird am Markt bezahlt, billige Bauten nicht.

Schmidt: Bei Garagen kann man ohne Qualitätsverlust sparen. Die braucht man in vielen Objekten nicht, die stehen leer. Aber sie sind vorgeschrieben. Keller sind das teuerste Geschoss am Bau. Spart man Garagen, senkt man Baukosten massiv.

Ulm: Der Gesetzgeber könnte noch viel mehr tun. Die neuen Finanzierungsvorschriften erschweren den Eigentumserwerb. Generationenkredite, absetzbare Zinsen für Eigenheime, Förderung als Pensionsvorsorge – damit könnte jeder mit 60 seine eigene Wohnung haben. Die Gesellschaft würde resilienter.

Neumann: Für Endkunden und Investoren steht die Energiefrage im Mittelpunkt: Eine der ersten Fragen ist, welche Energieversorgung für eine Immobilie geplant ist. Das gab es vor fünf Jahren nicht. Dieses Bewusstsein führt zu niedrigeren Nebenkosten, was Wohnungen über ihre Lebensdauer viel billiger macht. Und auch die Gesamtausgaben für Mieten senkt.

Baert: Früher hat man geprüft, ob man nicht noch irgendwo ein Zehntel Renditeplus rausholen kann. Doch heute ist den Menschen die nachhaltige Qualität viel wichtiger.

Sinken die gewünschten Wohnungsgrößen?

Pöltl: Mittlerweile haben wir bei Zweizimmerwohnungen Größen von 42 bis 46 Quadratmetern erreicht. Das Einsparpotenzial ist beschränkt. Nachhaltigkeit ist viel wichtiger. Im institutionellen Bereich ist das Standard, Fonds kaufen nur mehr Projekte mit einem Zertifikat. Nicht ESG-konforme Immobilien sind nur mehr mit Preisabschlägen handelbar. Der private Markt zieht nach. Billiger werden Wohnungen dadurch aber nicht.

Kommt es zur besprochenen Marktbereinigung durch steigende Zinsen?

Pöltl: Nicht nur die Zinsen steigen: Die Banken fordern auch höhere Margen, ein anderes Tilgungsprofil und höhere Eigenkapitalquoten. Die Immobilie bleibt aber die gleiche. Bilanziell betrachtet liegt das Problem auf der Passivseite, nicht auf der Aktivseite.

Schmidt: Es trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer nur mit Mezzaninkapital und Crowdfunding gearbeitet hat, steht vor großen Herausforderungen.

Ulm: Es braucht eine seriöse Kalkulation. Es ist eine Mischung von Professionalität und Finanzierungsstruktur, die entscheidet, ob man im Markt erfolgreich ist.

Schmidt: Und die Frage, was und ob man gut eingekauft hat.

Baert: Wer Immobilienprojekte von Anfang an zu Ende denkt, kommt nicht in Not. Die Zinsen sind noch nicht hoch.

Neumann: Aber Glücksritter haben das Equity nicht. Die können sich nicht einmal zwei Prozent Zinsen leisten.

Ulm: Deren Projekte werden günstig auf den Markt kommen, das freut uns.

Pöltl: Die Grundstückspreise haben aber nicht nachgegeben. Vielleicht bewegen sie sich seitwärts, aber nicht abwärts. 

Schmidt: Bei Zinshäusern sind die Marktteilnehmer weniger geworden. Die Glücksritter ziehen sich schon zurück.

Ulm: In Deutschland erleben wir, dass Verkäufer, die unser Angebot vor ein paar Monaten ablehnten, jetzt anrufen und fragen, ob wir noch interessiert sind.

Baert: Die Mondpreise verschwinden.

Neumann: Was Opfer fordert, weil viele zu Mondpreisen eingekauft haben.

Speiser: Wir screenen gerade die Transaktionen der letzten sechs Monate, viele wurden tatsächlich nicht abgeschlossen. Die Kaufpreise konnten einfach nicht bezahlt werden. Diese Liegenschaften kommen daher wieder auf den Markt. Die Frage ist: Wie lange dauert es, bis jene bereit sind, auch mit Abschlägen zu verkaufen?

Widhofner: Händler, die am Limit handeln, nehmen die nächsten Monate nicht am Markt teil. Wer ein Projekt halten kann, wird es normal weitermachen.

„Gemeinsam mit unseren Investoren schaffen wir hochwertigen, leistbaren Wohnraum.“
– Michael Baert –
Vorstand IFA AG

Ziehen sich Fonds aus Wien zurück?

Ulm: Sie ziehen sich nicht zurück, sondern treffen im Moment keine Entscheidungen. Aber den Markt verlässt keiner.

Schmidt: Das betrifft den deutschen Markt genauso. Wir sind in einem Wirtschaftskrieg mit Russland. Die Welt steht vor vielen Herausforderungen. Auch wir waren schockiert und abwartend. Aber wir kaufen weiter, natürlich selektiv.

Baert: Gemeinsam mit unseren Investoren schaffen wir hochwertigen, leistbaren Wohnraum. Die Nachfrage ist konstant hoch. Spannend wird, was der Gesetzgeber mit den Richtwerten macht.

Widhofner: Institutionelle Investoren haben noch immer viel Geld. Es wird selektiver investiert, aber es wird investiert.

Werden Zinshäuser noch nachgefragt? 

Schmidt: Zinshäuser sind sogar sehr gefragt. Jetzt können wir Immobilien aber wieder zu Preisen bekommen, die eine vernünftige Rechnung erlauben.

Pöltl: Viele Zinshäuser waren permanent am Markt und sind immer im Preis gestiegen. Das konnte nicht gut gehen.

Schmidt: Das Zinshaus ist ein Liebhaberprodukt. Da geht es nicht nur um die Rendite, da sind manchmal eineinhalb Prozent vollkommen in Ordnung. Wirtschaftlich interessant sind sie wegen eines Dachbodenausbaus oder Altmietern, die einen Ausblick auf höhere Neuvermietung erlauben. Natürlich muss man viel Geld in alte Bauten stecken. Zinshäuser haben am Anfang kleine Renditen, aber eine interessante Wertsteigerung im Lauf der Zeit.

Speiser: Mit Zinshäusern muss man sich beschäftigen, dann erzielt man einen überdurchschnittlichen Ertrag. Wir haben den größten Erfolg, wenn wir gesamte Häuser sanieren können. Bei Einzelwohnungen muss man auf Regulatorien und Mehrheitsverhältnisse reagieren.

Baert: Institutionelle Anleger schauen auf die Rendite, private Anleger nicht immer. Wer genug Geld hat, sieht die Immobilie auch als Geldspeicher. Wenn man es mit der DAX-Entwicklung über die letzten 20 Jahre vergleicht, war die Immobilie jedenfalls die richtige Entscheidung.

Schmidt: Die Frage ist: Womit verliert man am wenigsten Geld? Mit Aktien, Bargeld, Gold, Krypto oder Immobilien? Immobilien sind das Sicherste.

Auch auf dem Land? Gibt es die Stadtflucht?

Schmidt: Die Stadtflucht gab es nur kurz, wegen Corona. Wegen der hohen Energie- und vor allem Spritkosten zieht es die Menschen zurück in die Stadt.

Ulm: Gute öffentliche Verkehrsanbindungen unterstützen die eine oder andere Ansiedelung im Umfeld von Großstädten. Das ist aber keine Stadtflucht.

Schmidt: Was es gibt, ist der Wunsch nach Freiflächen. Diesen Wunsch haben wir als Bauträger erfüllt. Es gibt beim 3SI-Neubau keine Wohnung ohne Freiflächen mehr. Auch beim Altbau rüsten wir nach.

Widhofner: Wir haben einen Zuzug in die Stadt. 2027 wird Wien zwei Millionen Einwohner haben. Auch die Speckgürtel wachsen. Nicht, weil Städter dort hinziehen, sondern weil Menschen vom Land näher zur Stadt ziehen.

Pöltl: Urbanisierung ist ein langfristiger und globaler Effekt. Die Statistik besagt: Früher sind Menschen im Alter aufs Land gezogen. Jetzt ziehen sie im Alter in die Stadt, wegen der Infrastruktur, der Kultur, der medizinischen Versorgung. 

Neumann: Was sich durch die Pandemie geändert hat, ist der Anspruch an Wohnungen in der Stadt.

Wie sieht es mit Bezirkshauptstädten aus?

Widhofner: In Wiener Neustadt etwa bauen viele gemeinnützige Bauträger. Der frei finanzierte Anteil ist gering. Die Kaufkraft ist begrenzt. Wer dort große Volumina im frei finanzierten Bereich schafft, muss die erst einmal verkaufen können.

Pöltl: Marktgröße ist wichtig. In Wien habe ich zwei Millionen Marktteilnehmer, das senkt die Volatilität. Das ist ein wirtschaftliches Naturgesetz.

Speiser: Jede Region hat Potenzial für Neuentwicklung. Es gibt überall vielfältige Lebensqualität, um die gefragten Immobilienprojekte zu entwickeln.

Baert: In Wien ist ein Haus bei der Fertigstellung voll vermietet. In Graz dauert es zwei, drei Monate länger. Allerdings wird sich dort das Verhältnis Angebot zu Nachfrage in den nächsten vier bis fünf Jahren deutlich reduzieren. 

Ulm: Es gibt in Österreich keinen Ort, an dem Goldgräberstimmung herrscht, aber auch keinen, wo man in Depressionen verfällt. Jeder Markt hat seine regionale Bedeutung. Wien hat mit dem Fokus auf geförderten Wohnbau auf frei finanzierte Wohnungen vergessen. Dadurch herrscht ein Nachfrageüberhang. Erhöht man das Angebot in Wien, steigt der Raum an leistbarem Wohnen. Überbordende Einschränkungen in der Flächenwidmung helfen jedenfalls nicht.

Wir müssen verdichten und in die Höhe bauen. Dann ersparen wir uns, grüne Wiesen zu versiegeln.“
– Alexander Widhofner –
Geschäftsführender Gesellschafter wien invest Holding

Baert: Als Beispiel ist die Widmung „geförderter Wohnbau“ wohl hinter den Erwartungen geblieben.

Schmidt: Man muss mehr nachverdichten. Das und die Nutzung bestehender Infrastruktur ist definitiv sinnvoller, als Böden zu versiegeln.

Derzeit werden Leerstandsabgaben diskutiert. Sinken damit die Immobilienpreise?

Baert: Wo ist der riesige Leerstand?

Widhofner: Wenn es sich jemand leisten kann, eine Wohnung leer stehen zu lassen, wird er sich von 100 Euro Mehrkosten auch nicht abschrecken lassen.

Schmidt: Wohnungen werden von uns nur dann leer gelassen, wenn man eine Immobilie umbauen will. Sonst ergibt Leerstand keinen Sinn. Wir wollen Rendite schaffen.

Baert: Im Gegenteil, wir kämpfen darum, den Leerstand zu minimieren.

Pöltl: Jeder, der investiert, möchte Rendite erzielen. Das ist mit Leerstand nicht möglich. Das ist politischer Populismus.

Sie rechnen aber nicht damit, dass sich beim Miet- und Baurecht Wesentliches tut?

Ulm: Wir haben kein Baurecht. Wir haben neun Bau- und Raumordnungen. Wien plant eine massive Reform. Sie wird stark Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz gehen. Das unterstütze ich. Beim Mietrecht weiß ich nicht, ob ich noch eine nachhaltige Reform erlebe.

Baert: Im Jahr 1989 war die Wiener Bauordnung ein fingerbreites A4-Heft. Jetzt ist es ein dickes Buch, dazu kommen noch ordnerweise OIB-Richtlinien und Erläuterungen.

Was nachhaltig ist, ändert sich mit dem Fortschritt der Technologie. Wie gehen Sie damit um?

Baert: Wir haben keine andere Wahl, als am Puls der Zeit zu agieren. Wir können nicht einfach zuwarten, wir müssen jetzt etwas tun, damit auch unsere Enkel eine lebenswerte Zukunft haben.

Speiser: Wir errichten seit zwei Jahren nur mehr Neubauten mit nachhaltiger Energieversorgung. Bei Zinshäusern oder Revitalisierungsobjekten ist das schwieriger und funktioniert nur, wenn eine ganzheitliche Umstellung möglich ist, beispielsweise an eine zentrale Wärmeversorgung angeschlossen wird.

Widhofner: Wenn wegen Belegung oder Eigentumsverhältnissen nicht ganzheitlich saniert werden kann, bedarf es der Hilfe des Gesetzgebers. Verfahrensdauern müssten verkürzt und Projekte unterstützt werden. Man kann nicht alles den Bauträgern umhängen.

Baert: Es gibt genug thermische und energetische Förderungen. In jedem Bundesland. Die Zusammenarbeit zwischen Förderungsgeber und Projektentwickler könnte weiter verbessert werden. Das gemeinsame Wissen und die gemeinsame Kreativität müssen noch stärker zusammenfinden, damit Lebens- und Umweltqualität steigen.

Schmidt: Im Neubau auf der grünen Wiese funktionieren alternative Systeme. Aber in den 13.000 Zinshäusern, Bürogebäuden, älteren Neubauten – wie stellen wir die um? Mit welcher Technik? Mit welchem Material? Mit welcher Manpower? Fernwärme ist keine Lösung, die verbrauchen auch Gas.

Neumann: So viele Anfragen zur Energieversorgung unserer Häuser wie derzeit hatte ich noch nie. Was immer möglich ist, wird umgesetzt, weil es sinnvoll ist. Es ist gut für die Umwelt, die Nebenkosten und damit gut für die Vermietbarkeit.  

Baert: Für Privatkunden ist es ein emotionales Thema, Institutionelle berechnen den Wiederverkaufswert in 20 Jahren.

Wie mühsam sind die vielen Bürgerinitiativen, die gegen Neubauten wettern? 

Widhofner: Angeblich gibt es keine Kröten und keine Ziesel mehr, aber auf jedem zweiten Grundstück werden plötzlich welche gefunden. Wir müssen verdichten, wo immer es möglich ist. Und in die Höhe bauen. Dann ersparen wir uns, grüne Wiesen am Stadtrand zu versiegeln.

Schmidt: Die Nachverdichtung schafft 20 Prozent der Flächen, die wir brauchen, der Rest kommt vom Neubau. Der geht nur auf der grünen Wiese. Die Nachbarschaftsrechte sind zu stark, die gibt es in diesem Ausmaß nur in wenigen Ländern.

Speiser: Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit müssen übergeordnet geregelt sein. Sie dürfen den Einzelnen nicht vergessen, aber ohne die Entwicklung etwa durch ewige Verfahren zu hemmen.

Baert: Wenn jeder Einzelne Stromtrassen verhindern kann, werden wir Wärmepumpen nicht in Betrieb nehmen können. Eine gewisse Infrastruktur muss übergeordnet vorgegeben werden.

Speiser: Es geht um Kommunikation. Es ist uns wichtig, dem Umfeld in einem Widmungsverfahren zu erklären, wovon sie bei neuen Projekten profitieren werden.

„Logistikgrundstücke sind derzeit in Einzelfällen teurer als Grundstücke für Wohnungen und Büros.“
– Franz Pöltl –
Geschäftsführender Ges. EHL Investment Consulting

Homeoffice, E-Commerce, Arbeitskräftemangel: Corona hat das Leben verändert. Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?

Ulm: Homeoffice ist eine vernünftige Beimischung, aber das Büro und der Arbeitsplatz werden weiter bestehen. Wir haben kaum Leerstandsraten in Bürogebäuden. Auch die junge Generation schätzt die soziale Infrastruktur eines Büros. Die Innenarchitektur wird sich verändern, die Struktur der Büros, aber nicht die Gebäude. Der Handel hatte schon vor Corona Probleme: Nebenstraßen leiden seit 20 Jahren, die Highstreet wird es immer geben. Verhindern muss man Monokultur. Riesige Wohnsiedlungen, Bürobezirke – das ist Vergangenheit. Was kommt, ist die lebendige, durchmischte Stadt der kurzen Wege.

Baert: Durch die Zunahme der Single-Haushalte werden Wohnungen kleiner, das Draußen vor der Tür wird wichtiger.  Wohnen und Arbeiten wachsen zusammen.

Pöltl: Es wird mehr innerstädtische Last-Mile-Logistik geben. Nicht nur Amazon-Hallen mit 18.000 Quadratmetern, sondern auch kleinere Lager. Momentan kosten Logistik- zum Teil mehr als Wohngrundstücke. Bei den Büros gibt es wenig Neuentwicklung, der Druck auf den Markt ist gering. Wer große Flächen braucht, muss sich frühzeitig umsehen.

Ulm: Wir Projektentwickler müssen im gewerblichen und kommerziellen Bereich Gebäude errichten, die länger als 20 oder 30 Jahre halten, ohne ausgehöhlt und neu zusammengebaut zu werden. Da müssen wir viel Hirnschmalz investieren.

Sind städtische Handelsflächen gefragt?

Pöltl: Ein Gutteil des Umsatzes hat sich ins Netz verlagert, das setzt Einzelhändler unter Druck, der mit der Inflation stärker wird. Logistik ist der Gewinner dieser Entwicklung. Der stationäre Einzelhandel zahlt die Rechnung.

Was macht man mit den Grätzelzentren? 

Pöltl: Es wird mehr Gastro entstehen. Die Leute wollen eine ansprechende Infrastruktur vor Ort. Die wird sich bilden. Das ist in den Highstreets nicht anders. Dort gibt es mittlerweile viel mehr Gastronomie als früher, mehr Entertainment.

Widhofner: Es wird sich konsolidieren, auf Grätzel und Straßenzüge konzentrieren. In jeder Straße ein oder zwei Läden, das rechnet sich nicht. Wenn die Stadt clever ist, unterstützt sie den Fokus.

„Für Endkunden und Investoren steht die Energiefrage im Mittelpunkt. Das senkt die Betriebskosten.“
– Walter Neumann –
Geschäftsführer Valuita

Wie baut man, damit man auch im Sommer noch angenehm wohnt in der Stadt?

Widhofner: Mit Bauteilaktivierung,  mit Begrünung – die Themen sind auf dem Tisch. Es muss nur ordentlich, nachhaltig und schön gemacht werden.

Neumann: Im Althaus ist die Hitzebildung überschaubar. Und für den Neubau gibt es ökologisch vertretbare Lösungen zur Temperaturregelung. Es braucht keine stromfressenden Klimaanlagen. 

Schmidt: Mit Wärmepumpen kann man im Sommer auch kühlen. Man muss sich auch etwas für Schutzzonen überlegen. Ist es klug, dort aus Stadtbildgründen den Einbau von Rollos zu verbieten?

Baert: Angeblich würden die Nachttemperaturen in Paris um vier Grad sinken, wenn man alle Klimaanlagen abstellt.  Es geht darum, den Wärmeeintrag zu verhindern. Deshalb klären wir Nutzer auf, wie man richtig lüftet und beschattet. Der öffentliche Raum braucht auch mehr Grün. Beton- und Steinwüsten sind nicht mehr zeitgemäß. Und ein Pkw, der den ganzen Tag in der Sonne parkt, wird in der Nacht zum Ofen, der die Abkühlung verhindert.

Pöltl: Kaufinteressenten einer Wohnung fragen sehr gezielt nach Kühlung, zumindest in den oberen Geschossen. Das wird trotz Nachhaltigkeit nachgefragt.

Ulm: Wir müssen beim Big Picture bleiben, um den Klimawandel aufzuhalten. Wie können wir durch geringeren Ressourcen- und Energieverbrauch, durch Kreislaufwirtschaft einen ökologischen Beitrag leisten? Diese Frage muss uns viel mehr beschäftigen als der Kühlbedarf von Karl Huber im Dachgeschoss.

Herzlichen Dank für die rege Diskussion.   ←