assets Magazin: Peter Ulm- Think Big
Peter Ulm, CEO Allora Immobilien:
"Nachhaltig geplante und gebaute Immobilien sind heiß begehrt."

Ganz oder gar nicht

Homeoffice, Homeschooling, Vorlesungen daheim, Onlineshopping, virtuelle Reisen: Für die eigenen vier Wände gab und gibt es wegen der Coronakrise ganz neue Verwendungsmöglichkeiten. Zwar wird sich mit dem Fortschreiten der Impfkampagnen der erzwungene Rückzug ins Eigenheim wieder etwas lockern – doch die Nachfrage nach Wohnraum wird zweifellos weiter anziehen. Schöne Wohnungen in guter Lage, möglicherweise sogar mit Außenflächen wie Terrassen, sind heiß begehrt. Städte wie Wien und Graz, aber auch ihr unmittelbares Umland, stehen dabei im Mittelpunkt.

Großprojekte heiß begehrt

Das wiederum ist für Investoren interessant und führt nun zu einem Trend, der den österreichischen Immobilienmarkt umkrempeln könnte. Weshalb nicht gleich eine ganze Wohnanlage kaufen, statt sich auf einzelne Wohnungen zu konzen­trieren? Für viele institutionelle Investoren ist das gar keine Frage mehr, sondern die Antwort auf die steigende Nachfrage. Daher kaufen sie immer öfter ganze Wohnanlagen direkt von den Bauträgern; meistens werden die entsprechenden Verhandlungen bereits geführt, bevor die Bagger auffahren und die ersten Ziegel aufgeschlichtet werden. Andererseits können auch Wohnanlagen übernommen werden, die bereits zur Gänze vermietet wurden. Den Trend erkennt auch Peter Ulm, Chef des Wiener Projektentwicklers Allora Immobilien. Der Grund dafür: „Generell ist sowohl von institutionellen Investoren als auch von Family-Offices sehr viel Liquidität am Markt, die nach
geeigneten Veranlagungen sucht.“ Gerade bei einem Einstieg des Investors zu einem frühen Zeitpunkt in der Entwicklung einer Immobilie kann diese maßgeschneidert für dessen Bedürfnisse hergestellt werden. „Gleichzeitig hat der Bauträger bereits zu diesem Zeitpunkt Verwertungssicherheit.“ Derzeit sieht er in diesem Bereich aber eher einen Überhang der Nachfrage. Nach einer aktuellen Untersuchung von Immounited, einem Spezialisten für Datenanalysen bei Immobilien, konzen­trieren sich die Investoren beim Kauf ganzer Wohnanlagen derzeit vor allem auf den hochpreisigen Bereich. „Noch immer gilt in der Immobilienbranche das Credo von Lage, Lage, Lage“, sagt Peter Ulm. Zudem komme es auf marktgerechte Miete und die zu erwartenden Kosten des Betriebs der Immobilie an. „Gerade Immobilien, die nach hohen energetischen und nachhaltigen Standards entwickelt und gebaut werden, sind für Investoren besonders attraktiv.“

Dass Bauträger immer öfter ihre Wohn­anlagen an Investoren verkaufen, statt Wohnungen einzeln zu vermarkten, beobachtet auch Sandra Bauernfeind, geschäftsführende Gesellschafterin der EHL Wohnen GmbH. „Für die Bauträger hat es natürlich auch Charme, das Objekt sofort als Ganzes verkaufen zu können, während ein Verkauf an Wohnungseigennutzer doch deutlich mehr Zeit erfordert.“

US-Investoren treiben Preise

Dieses Modell dürfte weiterhin stark an Beliebtheit gewinnen, zumal sich insti­tutionelle Anleger ohnehin um Wohn­immobilien in Österreich reißen. Das beweisen die jüngsten Zahlen, die vom US-Immo-Analysten Real Capital Analytics erhoben wurden: Wien ist auf einer Liste jener Städte, die in den vergangenen 13 Jahren das meiste Investorengeld in Europa angezogen haben, auf Platz fünf – nur Berlin, London, Amsterdam und Paris liegen in der Gunst weiter vorne. Vor allem US-Investoren reißen sich um Wohn­immobilien in diesen Städten; sie haben in dem genannten Zeitraum fast 19 Milliarden Euro in Wohnungen gesteckt. Das hat auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und die Preise von Wohnimmobilien in den Metropolen und ihrem Umland, zumal die Kommunen wegen der Coronakrise beim Bau gemeinnütziger bzw. günstiger Wohnungen ohnehin keine allzu großen Sprünge machen können.

Doch welche Wohnanlagen könnten für Investoren überhaupt als Ganzes interessant sein? Nach Ansicht von Sandra Bauernfeind sind das vor allem Wohnanlagen in guten, verkehrsmäßig gut angeschlossenen Lagen, die sich für die Vermietung eignen. Für die Investoren ist ja in erster Linie die Vermietbarkeit der Wohnungen das wichtigste Argument. Und Mieter achten auf Lage, Infrastruktur und den Anschluss an den öffentlichen Verkehr (Stichwort: U-Bahn in Wien) – das gilt für alle Städte bzw. Regionen. Die Frage ist nun aber, ob sich durch den Trend zum Kauf ganzer Wohnanlagen der Markt grundlegend verändert. Wird es beispielsweise für Investoren schwieriger, einzelne Wohnungen zu kaufen, und könnte das Angebot an Vorsorgewohnungen dadurch langfristig begrenzt werden? Sandra Bauernfeind will das nicht ausschließen: „Wir bemerken sehr wohl, dass beim Verkauf der Eigentumswohnungen – unabhängig, ob als Vorsorgewohnung oder zur Eigennutzung – die Nachfrage das Neubau­angebot derzeit übersteigt.“ Die Expertin will zwar noch nicht von einem Engpass sprechen, aber es sei ein Grund dafür, dass es nach wie vor steigende Kaufpreise gibt.

Welche Regionen sind in Sachen Wohnen für Investoren derzeit interessant? Begehrt sind vor allem Regionen, die einen funktionierenden Mietmarkt aufweisen, hier vor allem die klassischen Städte wie Wien, Graz, Linz, aber auch St. Pölten, meint Bauernfeind. Zudem darf man nicht auf die Bezirkshauptstädte vergessen, allerdings mit geringeren Projektgrößen. „Dort sehen wir durchaus auch eine Nachfrage nach Mietwohnungen, was für Investoren die Bedingung für einen Kauf ist.“