Zwei Generationen Karlo: Die Traditionsfleischer aus dem Burgenland verschmelzen jahrhundertealtes Handwerk mit digitalen Services.

Familienunternehmen – Einfachanders

Die Fleischerei Karlo im burgenländischen Seewinkel ist mit hochqualitativen Fleischwaren vom Grauen Steppenrind auch überregional ein Begriff. Seit heuer leitet die 29-jährige Therese Karlo das Unternehmen in vierter Generation. Sie führt das Lebenswerk ihres Vaters ins digitale Zeitalter und bleibt trotzdem in der pannonischen Tiefebene fest verwurzelt.  Text: Leo Szemeliker

Ein Einkauf bei der Fleischerei Karlo in der Pamhagener Rosengasse ist eine geballte Ladung Burgenland. Da präsentiert sich vor ausladenden Rindsviecherhörnern an der Wand eine Wurst- und Fleischtheke, in der Vielfalt herrscht wie kaum bei einem anderen Fleischereibetrieb. Die Kundschaft stammt aus dem Ort, aus den angrenzenden Ortschaften und dazwischen finden sich Wiener und Speckgürtelbewohner ein, extra angereist, um sich „beim Karlo“ mit luftgetrocknetem Schinken, Aufstrichen oder Dry-Aged-Steaks einzudecken. Die drei Damen hinter der Theke in Pamhagen sagen noch „guid“ statt gut, „Kui“ statt Kuh und „often“ statt danach. Darüber hinaus, erfährt man, stammen alle drei eigentlich aus dem benachbarten Apetlon, einer Ortschaft, deren Bewohner im Seewinkel „die Franzosen“ geheißen werden – ob ihrer einzigartigen Mundart. Das abgegessene Kerngehäuse eines Apfels nennen die „Obeloana“ beispielsweise „Aopföboöitzn“, was selbst die benachbarten „Pomoga“ – die Pamhagener in ihrer eigenen Aussprache – lustig finden.

Die neue Chefin

Eine der drei in Apetlon gebürtigen Damen, Barbara Karlo, ist die Mutter der neuen Chefin des Betriebs: Therese Karlo, 29 Jahre alt und bereits seit 2014 geprüfte Fleischermeisterin, hat heuer zu Jahresbeginn in vierter Generation die Fleischerei übernommen. Und amüsiert sich über die Sprachenvielfalt im Geschäft, die so gut zu den Produkten passt. Ihr Mann, der gelernte Koch Simon Müller, stammt aus Oberösterreich und wundert sich, seit er mit Therese im Oktober 2019 ins Burgenland gezogen ist. „Jedes Dorf redet hier anders“, sagt er grinsend und kopfschüttelnd. Seine Frau lacht und sagt: „Stimmt.“ Die kleine Tochter, die gerade zu reden beginnt, könne „Pomogarisch“ genauso sprechen wie „Obeloanarisch“. Willkommen im Seewinkel.

Ist es diese Verbundenheit mit der Region sei, die den Betrieb ausmache, fragte der Autor, als er mit Therese Karlo und ihrem Mann an einem Mittwochnachmittag, an dem die Fleischerei Ruhetag hat, zum Interview zusammensitzt. Die junge Fleischermeisterin ist vom Gemüt her von einer Art, wie man sie bei allen Vertretern ihrer Zunft sieht: in sich ruhend, stoisch, abwägend. (Kennt jemand einen hektischen Fleischhauer?)

Daher denkt sie etwas nach, bevor sie die Frage beantwortet, was den Betrieb nun ausmache. Die Antwort ist herzerweichend ehrlich: „Eigentlich mein Vater.“ Martin Karlo habe den Betrieb 1994 von seinem Vater – Martin senior – übernommen und ihn in den knapp drei Jahrzehnten seither zu dem gemacht, was er heute ist. „Meinen Vater kennt einfach jeder. Das ist der Karlo.“ Thereses Mann Simon ergänzt: „Würde man im Lexikon ein Foto neben dem Eintrag „Fleischhauer“ brauchen, könnte man meinen Schwiegervater herzeigen.“ Therese lacht und sagt: „Genau. Groß und breitschultrig.“

Sie selbst ist auch ein bisschen ein Medienstar. Es gab Zeitungsartikel, als sie kurz nach der Matura an der HTL in Hollabrunn die Meisterprüfung ablegte. Und es folgten Fernsehberichte und weitere Artikel, als sie heuer den Betrieb von ihren Eltern übernahm. Das mediale Interesse „hat mich fast etwas überfordert, weil ich ja so viel mit der Übernahme zu tun gehabt habe“. Ihr sei aber durchaus bewusst, warum das Interesse an ihr so hoch sei: „Als Frau in dem Beruf fällt man halt auch auf.“ Ein bisschen hätte sie diesen Teil des Business schon gekannt, denn schließlich sei auch ihr Vater immer wieder in den Medien gewesen – vor allem ab 2004, als er mit dem Nationalpark Seewinkel vereinbarte, exklusiv in Österreich Fleisch vom geschützten Steppenrind (siehe Kasten) verarbeiten zu dürfen. Die einzige hierzulande existierende Herde gehört dem Nationalpark, wo die Tiere dafür sorgen, dass sich der Schilfgürtel nicht zu sehr auswächst. Was die Familie Karlo – und auch den Nationalpark, wie man hört – ein wenig magerlt, ist, dass das Unternehmen in den Medien manchmal als „Nationalparkfleischer“ bezeichnet wird. Therese Karlo: „Das sind wir nicht. Wir sind die Fleischerei Karlo und der Nationalpark ist unser langjähriger Partner. Aber sie sind nicht unsere Eigentümer. Und uns gehören auch nicht die Rinder.“

Wasserbüffel und Steppenrind

Aus dem vor Jahrhunderten in ganz Europa geschätzten Fleisch der Steppenrinder erzeugt der Familienbetrieb heute vor allem luftgetrockneten Schinken oder auch tiefgekühlte Burgerpattys. Auf Bestellung gibt es auch Frischfleisch. Außer vom Steppenrind auch vom Wasserbüffel, ebenfalls aus dem Nationalpark. Insgesamt hebt sich das Angebot der 1948 gegründeten Fleischerei Karlo von der Meterware im Supermarkt auf die pannonische Art ab – die Würste vom wolligen Mangalitza-Schwein stammen entweder von der Familie Kroiss, die den Buschenschank Gowerl-Haus in Illmitz betreibt, oder vom Bauernhof der Familie Haspl in Pöllau bei Hartberg, die sich die Familie Karlo persönlich als Lieferanten ausgesucht hat. Abgerundet wird das mit keiner anderen Metzgerei im Burgenland vergleichbare Angebot mit Fleisch vom schottischen Angusrind, das jedoch in Andau in der Domäne Albrechtsfeld, einem Biobetrieb der Papierindustriellenfamilie Heinzel, aufgezogen wird.

Alles jedenfalls Renner über den Seewinkel hinaus. Rund zwei Drittel des Umsatzes der Fleischerei Karlo entstehen über Einzelhandelsketten – Billa/Rewe sowie die Spar-Gruppe – und über die Gastronomie. „Wir arbeiten außerdem gerade an einem Onlineshop“, so die Chefin, „nicht für Frischfleisch, aber für Wurstwaren, Luftgetrocknetes, Aufstriche, Geschenksboxen.“ Dieser Onlineshop wird mit der schon existierenden Karlo-Handy-App gekoppelt sein, über die es bisher ein Chashback-Programm sowie Firmennews zu beziehen gibt. In Sachen Vertrieb hat die junge Generation neue Initiativen gesetzt: Vor dem Verkaufslokal in Pamhagen befindet sich der „Karlomat“, eine Möglichkeit zur Befriedigung des Fleischbedarfs rund um die Uhr. Der Automat sei im heurigen Sommer „super guid gaunga“, so Karlo, beim Grillen seien die Leute eben „viel spontaner als sonst“. Welche der rund 200 Produkte, die in der Fleischerei Karlo selbst hergestellt werden, jetzt im Winter „guid“ in den Automaten passen, werde man heuer erneut austesten. Und außerdem suche man ein Verkaufslokal im Raum Neusiedl am See, „um etwas näher am urbanen Bereich zu sein“. Die seit 2008 von einer Fleischerfamilie, die aufgehört hatte, gemietete Filiale in Illmitz sei heuer zugesperrt worden. Sie habe sich nicht mehr gerechnet.

Längst eine Pilgerstätte: Zwar beliefern die Karlos auch Handelsketten, aber nur der eigene Shop in Pamhagen wartet mit der kompletten breiten Palette an Spezialitäten auf.
Therese Karlo mit Ehemann Simon Müller – trotz Karriere in Fremdunternehmen war die Übernahme des Familienbetriebs logisch: „Das wurde mir in die Wiege gelegt.“

Andere Einstellung

Fleischhauer gab es früher in jedem Dorf im Burgenland, in manchen Ortschaften waren es drei, vier oder mehr Betriebe. In den frühen 70er-Jahren, also vor zwei Generationen, lange vor der massiven Ausbreitung der Supermärkte, zählte die Innung im Burgenland noch mehr als 250 Firmen. Heute sind es knapp 60, in 171 politischen Gemeinden. Das Verschwinden der Fleischhauer ist kein burgenländisches Phänomen. Man sieht Ähnliches in allen Bundesländern. Im Burgenland sind die Fleischhacker schon vor vielen Jahren aus der Landesberufsschule in Eisenstadt ausgezogen. Wo früher das fachgerechte Zerlegen von geschlachteten Tieren und Wurstmachen unterrichtet wurde, werden heute Gesundheits- und Krankenpflegerinnen ausgebildet, um dem Pflegemangel zu begegnen. Im Fleischereigewerbe gibt es noch zwei Lehrberufe: Fleischverarbeiter oder Fleischverkäufer. Die Ausbildungszeit beträgt wie üblich drei Jahre. Ausgebildet wird wie immer im österreichischen dualen System in Lehrbetrieben sowie in der Berufsschule. Diese gibt es für die genannten Berufe noch in Hollabrunn, in Linz, in Bad Gleichenberg sowie in Salzburg und Innsbruck.

Oder man wählt den Weg mit Matura, wie es Therese Karlo gemacht hat: Sie absolvierte die fünfjährige Private HTL für Lebensmitteltechnologie in Hollabrunn und erwarb mit dem Abschluss auch den Lehrabschluss als Fleischverarbeiterin. Auf die Frage, was sie dazu bewogen hat, als Frau im Männerberuf arbeiten zu wollen, denkt sie vor der Antwort gar nicht lange nach: „Ich kann’s nicht besser sagen, als dass mir der Beruf wahrscheinlich in die Wiege gelegt worden ist. Für mich hat sich die Frage nie gestellt.“ Ihre Schwester – die heute nicht im Familienbetrieb arbeitet – und sie hätten dem Papa immer geholfen, und zwar sehr gern: „Ma hout ins za nix bemuißt“, wie es in Pamhagen heißt, übersetzt ins Hochdeutsche: Man habe von den Mädels nichts verlangt, was sie nicht ohnehin gern gemacht hätten. Therese Karlo macht eine Pause im Gespräch, als ob sie lesen könnte, was das Gegenüber denkt. Sie sagt: „Nein, die Arbeit hat mich nicht abgeschreckt. Ich bin damit aufgewachsen, mit der Verarbeitung und auch mit der Schlachtung. Es ist so wie bei vielen Fleischerkindern, wir haben eine andere Einstellung.“

Die Rückkehr

Nach der Matura 2014 und der Meisterprüfung bereits im selben Jahr, die sie im bayerischen Landshut ablegte, blieb die junge Seewinklerin zunächst zwei Jahre lang in Oberösterreich, bei der Landhof GmbH, einer Tochterfirma der Marcher Fleischwerke, eines Villacher Familienunternehmens. „Dort bin ich sofort Abteilungsleiterin für Wurstabfüllung und Räucherei geworden. In der Hochsaison habe ich fünfzig Mitarbeiter gehabt, in der Nebensaison dreißig.“ Danach wollte sie noch etwas anderes machen – und ging zu Donaulager Logistics am Linzer Hafen ins Qualitätsmanagement. Im Herbst 2019 war schließlich die Zeit gekommen, in den Seewinkel und in den elterlichen Betrieb zurückzukehren. Um vier Monate später von der Coronakrise getroffen zu werden. „Ich war froh, dass ich die Zeit nicht mehr in unserer 40-Quadratmeter-Wohnung in Linz erleben habe müssen“, sagt sie heute. Ihr Mann Simon fügt hinzu: „Die Pandemie war eine schwierige Zeit, aber wir haben es geschafft. Unser Vorteil war, dass der Einzelhandel immer offen gewesen ist.“ Härter sei gewesen, dass 2022 plötzlich die Gaspreise um das fast Vierfache und die Strompreise um das Siebenfache anstiegen. „Mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen. Das war ein Schock für uns. Vor allem unsere luftgetrockneten Artikel sind sehr energieintensiv“, sagt Simon Müller, „wir haben die Preise anheben müssen.“ Das habe sogar zu bösen Facebook-Postings vonseiten einiger lokaler Kunden geführt. Therese Karlo sieht die Sache heute wieder entspannt: „Maoche Leit heit auf Social Media … sou impulsiv!“

Keine Tricks

Andererseits gebe es auch gute Gründe, „sehr froh“ darüber zu sein, „dass wir am Land sind“, sagt sie dann, denn eine vegane Lebensweise, vor allem in ihrer missionarisch-militanten Ausartung, ist dem Bezirk Neusiedl am See eher fremd. Therese Karlo sieht auch die Trends im Essverhalten der Millennials stoisch: „I ess meinigs, a aundara seinigs.“

Und beim Thema „meinigs“ findet das junge Paar dann auch gleich die passenden Worte dafür, was den Familienbetrieb im Kern ausmache – zusätzlich zur Pionierarbeit von Vater Martin Karlo: „Wir arbeiten ehrlich. Wie man vor hundert Jahren auch gearbeitet hat. Ja, wir sind wegen der hohen Energiepreise schon zusammengesessen und haben überlegt, was wir einsparen könnten – wie beim Illmitzer Standort. Aber wie wir produzieren und dabei vorgehen – das wird sicher nicht angegriffen. Wir arbeiten nicht mit irgendwelchen Industrietricks. Darauf legen wir wirklich Wert.“ Willkommen im Seewinkel.  

Steppenrinder und Mutterkühe

Die Fleischerei Karlo hat das Steppenrind im Logo – mit seinen charakteristischen ausladend langen Hörnern. Die Rasse wird auf Ungarisch „magyar szürkemarha“ genannt, was direkt mit „ungarisches Graurind“ zu übersetzen ist. Die alte Rasse dominierte einst die Pannonische Tiefebene, das Rind war Protagonist einer extensiven Weidewirtschaft, Arbeitstier und natürlich Fleischlieferant. Das originale ungarische Guylas, die Hirtensuppe, wurde mit Fleisch des Graurinds, Zwiebeln, Paprika und Erdäpfeln in einem Topf über offenem Feuer angerichtet. Das Fleisch galt als dermaßen hervorragend, dass die Graurinder nach ganz Westeuropa getrieben und verkauft wurden. 1865 bis 1871 trocknete der Neusiedler See wegen Dürre aus, wovon auch der Rinderbestand hart getroffen wurde. Mit der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert wurden die Rinder immer weniger.

1921 kam der über Jahrhunderte zu Ungarn gehörige, aber deutschsprachige Seewinkel zu Österreich und wurde Teil des Burgenlandes. Die Graurinder wurden zu einer gefährdeten Spezies. In den 1960er-Jahren gab es nur mehr drei Herden, die von ungarischen Staatsbetrieben gehalten wurden. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geht die Population wieder nach oben. Mittlerweile leben wieder 200 bis 300 Tiere im Nationalpark im Seewinkel. Die Herde sorgt dafür, dass sich das Schilf im Nationalpark weniger ausbreitet. Die Tierhaltung ist biologisch. „Dem Futter der Tiere werden garantiert keine Beruhigungsmittel, keine Antibiotika und keine Wachstumsförderer beigemischt“, heißt es auf der Website der Fleischerei Karlo. Um den Bestand zu sichern, dürfen nur wenige Tiere pro Jahr geschlachtet werden. Der Nationalpark hat mittlerweile auf Mutterkuhhaltung umgestellt. Das heißt, die weiblichen Tiere verbleiben in der Herde, die männlichen Kälber kommen auf die Domäne Albrechtsfeld in Andau – ein Biobetrieb, der im Eigentum der Papierindustriellenfamilie Heinzel steht. Dort werden die Tiere gezielt und mit den besten Zutaten gemästet. Laut Therese Karlo habe das Graurindfleisch aus dem Seewinkel mittlerweile eine immens hohe Qualität erreicht, die es vor der Umstellung auf Mutterkuhhaltung nicht hatte.