Familienunternehmen – Das Natur-Talent

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Es gibt wohl nur wenige Menschen auf der Welt, die mehr über Obst und Essig wissen als Alois Gölles.

Seit 40 Jahren ist in der heimischen Kulinarik alles anders: Seit damals kommt der beste Apfelessig der Welt aus dem Vulkanland. Produziert wird er von Alois Gölles, der mit disruptiven Ideen den Ruf österreichischer Spezialitäten für immer verändert hat. Jetzt plant er seinen Rückzug.
Text: Stefan Schatz

Wir leben hier im Paradies“, sagt Alois Gölles gern. Zufrieden lässt er den Blick von der Terrasse seines „Genusshotels Riegersburg“ über das mit sattgrünen Hügeln gefüllte Panorama bis zum mächtigen Felsen, mit dem ebenso imposanten wie namensgebenden Adelssitz schweifen. Tatsächlich scheint die Welt hier noch in Ordnung: viele schmuck sanierte Bauernhöfe, Gewerbe und Handwerk in einem auch für die Landschaft verträglichen Ausmaß, hübsche Städtchen und viele Hofläden mit geschmackvollen Spezialitäten. Denn: Das Vulkanland – so heißt das Weinbaugebiet hier seit den Sechzigern – ist so etwas wie der Feinkostladen Mitteleuropas. Die Steiermark dominiert zwar mit einem Anteil von fast 70 Prozent insgesamt den Obstmarkt in Österreich, aber hier, rund um Riegersburg, haben sich besonders viele Manufakturen mit Weltruf angesammelt. Der berühmte Chocolatier Zotter etwa, dazu Produzenten von feinstem Schinken und edlem Käse, von Biosafran und Honigen, Pilzmanufakturen und Kernölmühlen, sogar Reisbauern und Bisonzüchter, natürlich Wein- und Obstbauern – und eben Gölles. Er war nicht nur Genusspionier, der Betrieb steht auch exemplarisch für den Wandel, den diese einst nicht mit großem Reichtum gesegnete Region so erfolgreich bewältigte.

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Bei Genusstouren durch die schicke Manufaktur erzählt Essig-Revolutionär Gölles, wie aus edelsten und perfekt gereiften Früchten kostbare Delikatessen werden.

Der große Umbruch

Denn: Während im steirischen Norden ausgedehnte Wälder schon in vergangenen Jahrhunderten heiß begehrten Brennstoff und der Erzberg die Rohware für die Metallerzeugung lieferten und für Industrialisierung sorgten, blieb der Südosten bäuerlich und gewerblich geprägt. In den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts hatte sich die Idee vom landwirtschaftlichen Mischbetrieb mit etwas Vieh, ein wenig Korn, dazu Wein, Obst und Gemüse für den Eigenbedarf, überlebt. Wer bestehen wollte, brauchte große, einfach zu bewirtschaftende Flächen – was in der oststeirischen Hügellandschaft mit der traditionellen Erbteilung, den steilen Hängen und den vielen kleinen Höfen einfach nicht möglich war. Also stellte auch die Familie Gölles ihren elf Hektar kleinen Betrieb auf Obstbau um. Bei der Ernte war die ganze Familie im Einsatz. „Als Kind absolvierte ich bei der Ribiselernte ein erstes Wirtschaftsstudium“, schmunzelt Alois Gölles heute. „Habe ich viele Kilo geerntet, bekam ich viele Schilling, erntete ich wenig, bekam ich wenig Schilling.“ Die zweite prägende Erfahrung kam kurz danach: Fleiß alleine reicht nicht. Auch Know-how ist entscheidend. Gölles: „Als Bauer trifft man weitreichende Entscheidungen. Wer nicht aufpasst und seine Ernte versemmelt, hat nichts.“ Deshalb ist er seinem Vater unendlich dankbar für die Ausbildung an der HBLA in Klosterneuburg, wo er intensiv in die Welt der Veredelung und Optimierung landwirtschaftlicher Erzeugnisse eintauchte. Dabei sprang ein Funke über, der ein bis heute loderndes Feuer in Alois Gölles entfachte: der brennende Wunsch nach bestem Geschmack, einzigartiger Qualität und technologischer Perfektion.

Ein wenig fehlte noch, um das Geheimnis entschlüsseln zu können, wie man die vielfältige Aromenwelt einer perfekten Frucht in einem veredelten Produkt einfängt und verdichtet. Er holte es sich beim Fruchtsaftspezialisten Rauch, als Produktionsleiter bei Steirerobst, in der Obstbau-Versuchsstation Haidegg – und mit Praktika in Italien, wo er mit dem berühmten Aceto Balsamico in Berührung kam. Zurück am elterlichen Hof in der Steiermark begann er, sein mittlerweile enormes Wissen anzuwenden: in der Schnapsbrennerei, wo er mit einer alten bäuerlichen Regel brach. Nicht der unverkaufbare Ausschuss landete im Gärfass, sondern nur die perfekt gereifte Frucht. „Die Schnapsbrennerei war ein Hobby, mein Zugang wurde von den Nachbarn belächelt.“ Aber, so Gölles ganz bescheiden, der Zeitgeist half: „In den Achtzigern gab es in der Kulinarik eine Aufbruchstimmung.“ Die ersten Restaurants setzten auf Nouvelle Cuisine, man kredenzte edle Cognacs und besorgte in Ungarn feine kubanische Zigarren. „Der Gedanke, wie man etwas besser machen kann, hat mich beflügelt.“

Endlich wurde Gölles von dieser auflebenden Gourmetszene entdeckt. „Die Familie Reitbauer betrieb für ihr ‚Steirereck‘ in Wien ein regelrechtes Scouting: Wer hat etwas Gutes, etwas Besonderes? 1986 kauften sie erstmals Schnaps bei mir.“ Seit damals gab es keinen Tag, an dem Gölles nicht in dem mit zwei Michelin-Sternen geadelten Wiener Gourmet­tempel – der schon unter die Top-Ten-Restaurants der Welt gewählt wurde – vertreten war. „Das ist für mich wie ein Regen aus 40 Goldmedaillen.“

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Das Auge isst mit: Gölles schuf mit dem Gewölbekeller ein viel fotografiertes Kunstwerk, beim Marktauftritt half ihm grafische Meisterhand zum längst ikonischen Design.

Die Idee der Zwetschke

Für die Gäste des Gourmet-Treffs in der Hauptstadt öffneten Gölles’ Spirituosen die Tür in eine neue Welt. War klarer Schnaps bis dahin ein mehr oder weniger am Gaumen brennendes Hausmittel gegen die Folgen allzu schwerer Kost, erlaubten die fassgelagerten Gölles-Destillate ein multisensorisches Fruchterlebnis. Seine „Alte Zwetschke“ etwa, sein bis heute berühmtester Brand, schmeckt nicht nur nach der violetten Frucht – vielmehr scheint er jede Körperzelle mit der Idee des Obstes zu durchfluten. Der edle, acht Jahre im Holzfass gelagerte Tropfen verhalf dem Steirer auch zu internationalem Ruhm.

Der sich bald mehrte. Nicht nur, weil er dem feinen Geschmack längst aus dem Handel genommener Obstsorten wie Kriecherl und Saubirnen im Brennkessel zu einem viel bejubelten Comeback verhalf, sondern auch, weil er einen empfindlichen Magen hat. Und deshalb besonders milden Essig braucht. Also begann er wieder mit Experimenten. Und stellte sich vor 40 Jahren eine entscheidende Frage: Könne man nicht auch in der Steiermark einen Balsamico-Essig mit den in Italien erprobten Verfahren herstellen? Nur dass eben nicht Lambrusco-Trauben stundenlang eingekocht werden, sondern Äpfel aus der Umgebung? Den so gewonnenen Most vergärte er und lagerte ihn im Holzfass. Das Ergebnis versetzte selbst Jahrhundertköche wie Eckart Witzigmann in Verzückung. „Damals war die kulinarische Community eine kleine Szene. Wer im Gault&Millau oder Falstaff stand, gehörte dazu und wurde von allen anderen mit offenen Armen empfangen“, erzählt Gölles, der schnell Teil dieser ebenso verschworenen wie geschmackssicheren Gemeinschaft wurde. Immer wieder beriet sich der weltoffene Meister der Obstveredelung mit Spitzenköchen, was man noch probieren könne, was verbessern. Und hielt dabei immer eisern am Qualitätsmaßstab fest: In seinem Himbeeressig etwa ist nichts anderes drinnen als Himbeeren. Aromen, Schwefel und Farbstoffe kennt sein Betrieb nur vom Hörensagen. Bald waren seine Produkte in den edelsten Delikatessländern auf der ganzen Welt zu finden: bei Dean & DeLuca in New York, Harrods in London, im KaDeWe in Berlin, bei Isetan Shinjuku in Tokio und anderen mehr.

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1.400 Eichenfässer füllen den wohl größten Barriquekeller des Landes.

Der Blick fürs Gute

Dafür brauchte er freilich mehr als ein erstklassiges Produkt. Während es Italienern recht leicht fällt, lokale Spezialitäten zu einzigartigen Delikatessen zu erklären, brauchen Produzenten aus anderen Ländern eine Marke. Weil, so Gölles: „Es gibt 60 Millionen Italiener auf der Welt, aber 100 Millionen italienische Restaurants. Deshalb glaubt man überall, die italienische Küche sei automatisch besser.“ Tatsächlich konfrontierte ihn ein damals für Feinspitze unverzichtbarer Weinhändler schon in den Achtzigern mit der harten Realität: „Er sagte zu mir: ‚Deinen Schnaps würde ich schon ins Programm nehmen. Aber nur mit einem gescheiten Etikett. So kann ich den nicht verkaufen.‘“ Also engagierte Gölles einen Grafiker aus Gleisdorf, der für Steirerobst die Verpackung von Fruchtsäften gestaltete. „Er sagte mir: Das kann ich schon machen. Aber das kostet halt Geld.“ 36.000 Schilling wollte der gefragte Mann haben. Für Gölles ein Vermögen. Er handelte sich noch ein Rücktrittsrecht aus – und bezahlte. „Schon beim Erst­entwurf habe ich gesehen: Das sieht supercool aus.“ Der gute Geschmack beschränkt sich bei Gölles eben nicht nur auf Zunge und Gaumen.

Solche Design-Geniestreiche ziehen sich durch sein Leben. Etwa, als er den berühmten Fotografen Lois Lammerhuber ein Jahr lang die Manufaktur und die umliegende Landschaft fotografieren ließ. Das kostete ihn zwar den Gegenwert einer Mittelklasselimousine, aber: „Dafür habe ich mehr als zehn Jahre lang geniale Bilder gehabt.“ Oder, als er seinen Gewölbekeller Anfang der Neunziger baute – und ein Schmuckstück schuf, das heute mit seinen ikonischen Glasballons wohl zu den meistfotografierten unterirdischen Immobilien Österreichs zählt. „Auch das ist Marketing“, lächelt Gölles weise, „aber viel nachhaltiger als ein Imageprospekt oder eine Broschüre.“ Nächstes Beispiel: sein Genusshotel Riegersburg. „Eigentlich wollte ich nur Geld in einer schönen Immobilie anlegen, weil es hier so viele schöne Höfe gibt, die sicher nicht weniger wert werden. Ein Bekannter sagte mir dann, dass neben ihm ein einzigartiges Baugrundstück für ein Hotel zu haben wäre.“ Gölles’ Antwort: Nein, danke, er baue sicher kein Hotel. Der Bekannte blieb hartnäckig. Und holte Gölles auf das Grundstück. „Als ich die Aussicht sah, habe ich mich für das Hotel entschieden.“ Weniger als zwei Jahre später wurde eröffnet. Und es wurde, wenig überraschend, ebenfalls ein Juwel. Mit großen Zimmern, einzigartigem Panorama, herrlicher Terrasse – und vorzüglicher Küche. Schnell mauserte es sich zum Treffpunkt für Genießer. Die dann auch gerne bei Gölles vorbeischauen und sich mit Köstlichkeiten aus dem Shop eindecken. Ein genialer Kreislauf.

Dessen Schaffung natürlich große Summen verschlang. Möglich wurden die gewaltigen Investitionen durch die Bescheidenheit des schlauen Unternehmers. Kredite nahm er kaum und nur über kurze Laufzeiten von bis zu fünf Jahren auf. Weil es ihm nichts ausmacht, in einem winzigen Renault Zoe über die engen Straßen der Hügellandschaft zu gleiten. „Wenn man auf einem Bauernhof aufwächst, denkt man in Generationen und Kreisläufen. Auch nach einer guten Ernte weiß man: Nächstes Jahr werden die Karten neu gemischt. Das sieht oft kleinkrämerisch aus, aber man ist geerdeter“, philosophiert der Steirer. Er bezeichnet diese Lebenseinstellung als „Segen der Scholle“. Aber es gäbe auch einen Fluch der Krume: „Man ist gefesselt, kann nicht weg.“ Er ist sehr dankbar, dass er nie den Wunsch verspürte, den Hof zu verlassen.

Der Rückzug

Auch jetzt nicht, obwohl der 64-Jährige seinen Rückzug geplant hat. Die Erbfolge wurde bereits geregelt, innerhalb der Familie offen diskutiert und beschlossen. David, der älteste seiner drei Söhne, bekommt das Unternehmen, seine Brüder Immobilien und Geldmittel. Eine weise Entscheidung: einerseits, weil Gölles oft genug mitansehen musste, wie durch Familienstreitigkeiten Unternehmen und Bauernhöfe verloren gingen, und andererseits, weil David Gölles schon heute überaus erfolgreich Whiskys, Gin und Rum produziert und auch im väterlichen Betrieb kräftig Hand anlegt. Er hat den Perfektionsdrang seines Vaters geerbt und veredelt Korn und Mais, das auf der mittlerweile 57 Hektar großen Landwirtschaft der Familie gedeiht. 2025 wird ihm Alois Gölles alle Unternehmensanteile überschreiben und sich komplett aus der Geschäftsführung zurückziehen. Langweilig wird ihm trotzdem nicht: Schon jetzt plant er einen neuen Garten. Natürlich mit Obstbäumen und Streuobstwiesen. Damit er weiter seinem Hobby nachgehen kann: der Kreation einzigartiger Geschmackserlebnisse. 

Info

Die Gölles GmbH produziert jährlich etwa 30.000 Liter Edelbrände und 100.000 Liter Essige. Der Sitz der Manufaktur im ­steirischen Riegersburg ist begehrtes Ausflugsziel, neben der Produktion und dem architektonisch beeindruckenden Gewölbekeller ist auch einer der größten Barriquekeller Österreichs zu besichtigen, der mit 1.400 Eichenfässern ­gefüllt ist. Gehalten werden die Anteile des Unternehmens über eine Familienholding, der auch das Genusshotel Riegersburg gehört – ein Vier-Sterne-Betrieb mit 46 Zimmern. Des Weiteren gehören zwei Miethäuser zum unternehmerischen Reich der Familie ­Gölles, Sohn David hat vor sechs Jahren zudem ein eigenes Unter­nehmen für die Erzeugung von Whisky, Gin und Rum gegründet. Insgesamt beschäftigt die Familie Gölles mehr als 50 Mitarbeiter.