Essay – Vier-Tage-Woche

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Der Autor: Nils Langhans ist Gründer und ­Geschäftsführer der Strategieberatung KAUFMANN/LANGHANS. Er berät Unternehmen in den Bereichen Strategy Making, Business Model Design und Equity Storytelling und hat Start-ups aus unterschied­lichen Industrien von der Pre-Seed-Finanzierung bis zum IPO bei der Entwicklung ihrer Equity Story unterstützt. Kontakt: nils@kaufmannlanghans.de www.kaufmannlanghans.de

Über individuelle Optimierung, volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und technologische Produktivitätssprünge.
Text: Nils Langhans

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Vier-Tage-Woche funktioniert“, konstatierte Joe Ryle, Direktor der 4 Day Week Campaign, nach dem großen Pilotprojekt in Großbritannien im Jahr 2023 wohl nicht ganz ohne Stolz. Das Projekt umfasste 61 Unternehmen mit insgesamt 2.900 Mitarbeitern. Die Resultate waren beeindruckend: 92 Prozent der teilnehmenden Unternehmen beschlossen, die Vier-Tage-Woche fortzuführen, und – wichtiger noch – 71 Prozent gaben an, dass die Produktivität gleich geblieben oder gestiegen sei. Aussagen wie diese befeuern auch hierzulande die Debatte um die Einführung einer verkürzten Arbeitswoche. Unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Münster startete kürzlich auch in Deutschland ein Pilotprojekt mit 45 Unternehmen zur Vier-Tage-Woche. Eine gute Idee angesichts von demografischem Wandel und akutem Fachkräftemangel – oder eine schlechte?

Vier-Tage-Woche führt in Modellprojekten zu Produktivitätssteigerung

Klar scheint: Eine verkürzte Arbeitswoche kann die Produktivität tatsächlich steigern. Das zeigen nicht nur die Ergebnisse aus Großbritannien, sondern auch Beispiele aus Unternehmen. Microsoft Japan etwa reduzierte bereits 2019 die Arbeitszeit auf vier Tage pro Woche und verzeichnete eine Produktivitätssteigerung von satten 40 Prozent.

Und die Liste der Vorteile ist noch länger: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung berichten 75 Prozent der Arbeitnehmer von hoher Arbeitsbelastung und Stress. Eine kürzere Arbeitswoche könnte helfen, diesen Stress zu reduzieren, was langfristig die Gesundheit der Mitarbeiter fördert und Krankheitskosten senkt. Mehr Freizeit reduziert jedoch nicht nur Stress, sondern dürfte auch die Zufriedenheit steigern. Zufriedene Mitarbeiter wiederum zeigen höhere Motivation und Loyalität.

Mehr noch: In einem hart umkämpften Arbeitsmarkt kann die Vier-Tage-Woche ein entscheidender Vorteil für Unternehmen im Wettbewerb um die besten Köpfe sein, denn besonders jüngere Generationen schätzen flexible Arbeitszeitmodelle. So zeigt eine Studie von Deloitte, dass Millennials und die Generation Z die Work-Life-Balance als wichtigstes Kriterium bei der Wahl eines neuen Jobs gewichten.

Vier-Tage-Woche könnte die Wettbewerbsfähigkeit verringern

Die Vier-Tage-Woche könnte tatsächlich ein Win-win-Geschäft für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein. Wird der Traum von weniger Arbeit bei voller Bezahlung also schon bald flächendeckende Realität? Daran gibt es auf Arbeitgeberseite zumindest erhebliche Zweifel. „Wir müssen wieder mehr arbeiten“, mahnt etwa Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Er hält die Diskussion über eine Vier-Tage-Woche für unrealistisch und verweist auf die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich.

Die These aus volkswirtschaftlicher Sicht: Die antizipierten Produktivitätsgewinne einzelner Unternehmen reichen hinten und vorne nicht aus, wenn anderswo schlicht länger und mehr gearbeitet wird. Eine strukturelle Reduktion der Arbeitszeit würde das Bruttoinlandsprodukt verringern oder zumindest sein Wachstum im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen bremsen. Die Folge wären letztlich Wohlstandsverluste.

Zugleich jedoch stehen wir durch Durchbrüche in der KI und Robotik vor dem wohl größten Produktivitätssprung in der Geschichte der Menschheit. Der einst lineare Zusammenhang zwischen Arbeitsdauer in Stunden und Arbeitsergebnissen wird immer unbedeutender. Künstliche Intelligenz verändert allen voran die Wissensarbeit von Grund auf, die Robotik hat ähnliche Potenziale mit Blick auf körperlich anspruchsvolle Arbeiten vom Handwerk bis zur Pflege.

Der Ausgang dieser technologischen Revolution: völlig ungewiss. Eine Studie von Stanford und dem MIT zeigt, dass die Nutzung von KI die Produktivität in einem Fortune-500-Unternehmen schon heute aus dem Stand um 14 Prozent steigern konnte. Tätigkeiten, die von ungelernten oder gering qualifizierten Mitarbeitern ausgeübt wurden, konnten laut der Studie gar um 35 Prozent schneller erledigt werden. Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass allein in den Industrieländern bis 2027 rund ein Achtel der Jobs durch KI wegfallen könnte.

Die Vier-Tage-Woche wird kommen – nur nicht kurzfristig für alle

Betrachtet man diese Zahlen und dazu die demografische Situation einer alternden Gesellschaft, wird die Vier-Tage-Woche mittel- bis langfristig wohl zur Realität werden. Sie ist dabei bloß ein weiterer Schritt der kontinuierlichen Reduktion der Arbeitszeit, die seit der beginnenden Industrialisierung in allen Industriegesellschaften zu beobachten ist. Zur Erinnerung: Noch Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten Menschen im Schnitt zwischen zwölf und 16 Stunden pro Tag – an sechs Tagen die Woche. Es folgten die Einführung des Acht-Stunden-Tages und die Einführung der Fünf-Tage-Woche. Zu einer nachhaltigen Wohlstandsminderung haben diese zivilisatorischen Errungenschaften nachweislich nicht geführt, im Gegenteil.

Auch die Vier-Tage-Woche wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entsprechend Schritt für Schritt einen diskursiven Wandel vom – wahlweise – Schreckgespenst oder Traumzustand hin zum New Normal durchlaufen. Doch klar ist auch: In näherer Zukunft wird sich der Kulturkampf um mehr oder weniger Arbeit angesichts einer schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage eher noch verschärfen. Die Vorteile einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich werden somit wohl zunächst nur jene Arbeitnehmer genießen können, deren Qualifikationen so rar und unentbehrlich sind, dass Arbeitgebern schlicht keine andere Wahl bleibt, als zähneknirschend auf die Forderungen nach mehr Work-Life-Balance einzugehen.