Ein Grazer Start-up ist in der Boombranche Longevity vorne mit dabei. Dessen Produkt spermidineLIFE soll Körperzellen bei der Erneuerung unterstützen, ist offiziell von der EU zugelassen und sorgt auch in den USA für Aufsehen.
Text: Paul Billisich
Ja, es hat etwas mit männlichem Samen zu tun. Aber eigentlich auch wieder nicht. Nicht mehr ausschließlich. Jedenfalls: Spermin ist ein sogenanntes Polyamin und als solches einer der viel zitierten „Bausteine des Lebens“. Konkret ist es für die Stabilität der DNA zuständig, also des Erbguts eines Lebewesens. Und wo würde es mehr Sinn machen, diesen Stabilisator in hoher Konzentration einzusetzen, als im Sperma – weist ja schon der aus dem Altgriechischen herrührende Name der Körperflüssigkeit auf „Samen“ und „Aussaat“ hin. Bereits im 17. Jahrhundert vermutete der niederländische Mikroskopie-Pionier Antoni van Leeuwenhoek, dass sich im männlichen Sperma „Kristalle“ befinden könnten. Isoliert wurde Spermin erstmals 1870, synthetisiert zuerst in den 1920er-Jahren. Und es bekam seinen Namen.
Im Zuge der Erfoschung dieser Flüssigkeit wurde festgestellt, dass Spermidin, ein Zwischenprodukt bei der natürlichen Entstehung von Spermin, in unterschiedlichen Konzentrationen in allen Körperzellen, aber auch in diversen Nahrungsmitteln vorkommt – etwa in Vollkornkeimen und Weizenkeimen, in gereiftem Käse, in Pilzen, Sojaprodukten sowie Hülsenfrüchten. Bei der Erforschung dieses Stoffs hat schließlich auch Österreich einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Der an der Karl-Franzens-Universität in Graz lehrende und forschende Molekularbiologe Frank Madeo und sein Team veröffentlichten in einer Fachpublikation im Dezember 2016 einen wissenschaftlichen Beitrag mit dem Titel „Cardioprotection and lifespan extension by the natural polyamine spermidine“ – also über die lebensverlängernden Potenziale des Spermidins dank positiver Wirkung auf die Alterung des Herzens. Vorerst von Labormäusen.
Es folgte eine Reihe von Beobachtungsstudien auch mit menschlichen Probanden. Aber einen tragfähigen Nachweis, dass die verstärkte Aufnahme von Spermidin tatsächlich das menschliche Leben verlängert, gebe es bis dato nicht, betont etwa die Düsseldorfer Verbraucherzentrale auf ihrer Plattform „Klartext Nahrungsergänzung“.
Smart Aging
Trotzdem sollen mit Spermidin angereicherte Produkte dem Körper vormachen können, er faste. Das soll die positiven Wirkungen des Kalorienverzichts auslösen – allen voran die Autophagie, das Recycling- und Selbstreinigungsprogramm von Zellen, das eingedrungene Krankheitserreger oder nicht mehr funktionelle Zellbestandteile abbaut.
Solche Produkte entwickelt The Longevity Labs GmbH (TLL), das Start-up/Spin-off der universitären Aktivitäten unter der Patronanz von Frank Madeo als Vorsitzendem eines insgesamt hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirats,. Auf der TLL-Website ist von „Smart Aging“ die Rede sowie von „20.000 begeisterten Kund:innen“. Das Besondere der unter dem Namen SpermidineLIFE vermarkteten Produkte sei ein „neuartiges Weizenkeimextrakt“ und ein „spezielles Verfahren zur Spermidinanreicherung, welches in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Graz entwickelt wurde“. Die Produktion befinde sich in Österreich, werde „laufend in klinischen Studien geprüft“ und hat die Novel-Food-Zulassung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit erhalten.
Auf seiner Website schreibt das Grazer Unternehmen weiters: „Mittlerweile beschäftigen sich weltweit mehr als 100 Forschungsgruppen mit Spermidin und allem, was es darüber zu wissen gibt, um das volle Potenzial von diesem kleinen Molekül auszuschöpfen. Für klinische Studien an Menschen wird aber weiterhin ausschließlich unser Produkt verwendet – der Dank dafür gilt Professor Frank Madeo und unserem Forscher- und Entwicklungsteam.“
Treibende Kraft
Firmenrechtlich gegründet wurde TTL 2016 von Herbert Pock und Gerald Sitte. Ersterer, gelernter Maschinenbauer und Unternehmensberater, ist nach wie vor als CEO der The Longevity Labs GmbH tätig, gemeinsam mit Petra Pongratz als CFO. Sitte, zuvor unter anderem bei Magna in führender Position engagiert, schied nach dem Aufbau der Organisationsstrukturen 2023 aus. Pock war auch die treibende Kraft, Madeos wissenschaftliche Erkenntnisse über Spermidin via Start-up zu kommerzialisieren, „bevor in zehn Jahren jemand in den USA dazu forscht und auf die Idee kommt“, so Pock im Podcast des Biohacking-Gurus und Lifestyle-Unternehmers Maximilian Gotzler. Also begann man sich intensiv vorzubereiten: Zwei Jahre lang wurden Produkte entwickelt, alle denkbaren Auswirkungen überprüft, selbst Wechselwirkungen mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln wurden genau unter die Lupe genommen. Dann war es endlich so weit: Die EU-Behörden zertifizierten die Produkte von TTL als Novel Food. Damit darf es auch in Apotheken verkauft werden und gilt als sicher.
Auskunft mit 90
2019, im Jahr, als die ersten Kapseln von spermidineLIFE zur oralen Einnahme auf den Markt kamen, trat bei TLL auch ein medial sehr bekannter neuer Investor auf den Plan: Hannes Androsch, Industrieller und in den 70er-Jahren Finanzminister der Republik Österreich. Ein Eigenkapitalzuschuss von drei Millionen Euro brachte ihm damals 51 Prozent des Unternehmens. Heute hält Androsch als Privatperson 62 Prozent der GmbH-Anteile, Pock rund 15 Prozent, Madeo knapp neun Prozent. „Er ist eine sehr erfahrene Person, was die Entwicklung von neuen Ideen und Unternehmen betrifft. Diese Erfahrung mitnehmen zu können, hatte neben seiner Persönlichkeit als Humanist, die es angenehm macht, mit ihm zu arbeiten, einen extrem hohen Mehrwert für uns“, wird Pock auf der Website dazu zitiert. Androsch, Jahrgang 1938 und heuer 86 Jahre alt geworden, sagte anlässlich seines Einstiegs vor fünf Jahren: „Ich nehme das Produkt seit drei Monaten. Wie es wirkt, sage ich Ihnen an meinem neunzigsten Geburtstag.“
Frank Madeo, gebürtiger Deutscher mit süditalienischen Wurzeln, tritt nicht mehr so oft als Altersforscher in den Medien auf wie vor dem Start von TTL. In einem Interview mit dem Magazin „Profil“ wies er 2015 beispielsweise darauf hin, dass die Stärke des Fastens „wahrscheinlich in der Prävention“ liege, dass es die „Entstehung altersassoziierter Krankheiten hinauszögern“ könne. Er selbst frühstücke nur Kaffee mit Mandelmilch und esse dann erst wieder am Abend, vertraute er 2017 dem „Stern“ an. Bis 2020 betrieb er außerdem einen Blog auf Facebook.
Die Zahlen der Firma entwickeln sich offenbar erwartungsgemäß : Bereits im ersten Jahr sei man laut dem Informationsdienstleister Insight Health, gemessen am Umsatz, mit dem zweiten Platz bei den Produkteinführungen in den österreichischen Apotheken geehrt worden. In Deutschland gewann das junge Unternehmen den Innovationspreis. Seit 2021 bearbeitet die Grazer Firma von Denver/Colorado aus den US-Markt, „um das Feld der Nahrungsergänzungsmittel zum ‚Stopp der Zellalterung‘ nicht vollständig internationalen Konzernen zu überlassen“, wie es damals seitens des Unternehmens hieß. Exportiert werden die Produkte weiters über den Webshop bis nach Russland und Indien.
Gesundheit ist kein Schicksal Spermidin-Produkte gibt es mittlerweile zuhauf. Der Markt ist umkämpft. Das zeigt auch die Tatsache, dass The Longevity Labs einen Mitbewerber geklagt hat, weil dieser mit angereicherten Keimen keine Zulassung als neuartiges Lebensmittel (Novel Food) vorzuweisen hatte und deswegen nicht von Apotheken verkauft werden dürfte. Der Fall ging bis vor den EuGH, die Grazer bekamen im Vorjahr Recht – unter Apotheken war die Aufregung wegen Abmahnungen durch Anwaltsbüros groß. Auch die üblichen Nachahmungstäter aus Asien versuchen, im Windschatten des Grazer Erfolgsprodukts ein Stück vom Länger-leben-Kuchen abzubekommen. Ohne wirklich großen Erfolg. Für spermidineLIFE, das auch in den USA geschickt vermarktet wird, erwartet man allerdings noch erhebliches Wachstumspotenzial. Denn, so CEO Prock zu „Profil“: „Bisher waren wir es gewöhnt, unsere Autos sorgfältiger zu servicieren als unsere Körper. Aber jetzt entsteht langsam ein Umdenken. Immer mehr Menschen realisieren, dass Gesundheit kein Schicksal ist, sondern dass wir selbst beeinflussen können, wie wir möglichst lange fit und vital bleiben.“